Isetta,
Capri und Petticoat
Theaterschiff Lübeck bringt mit der Revue
„Sing, Baby, Sing“ eine herrliche Hommage an die Fünfziger
Jahre
Michael L. Hübner
Ach ja, die schöne, alte Zeit...
Dat is nu all wedder 60 Johr her. Die Fuffziger, die Zeit nach dem verlorenen
Krieg. Es ging voran. Für die jungen, attraktiven Frauen lag die
Hoffnung in den Uniformen der schnieken Besatzungssoldaten, für die
heimgekehrten Männer lag sie in der Möglichkeit, mit dem sauren
Schweiß der täglichen Aufbauarbeit das Erlebte auszuwischen.
Vergessen war das Zauberwort. Das Vergessen der dunklen Tage, das Vergessen
des Pfeifens der Granaten und des Schreiens der verwundeten Kameraden
– Caterina Valente schmetterte es hinweg. Conny Froboess zwitscherte
von der Sehnsucht zweier kleiner Italiener. Man stieg von vorn in die
Isetta ein und schlug sich durch bis nach Capri, wo die rote Sonne im
Meer versank und die Fischer bei Mondenschein ihre Netze auswarfen. Die
Ruinen wichen aus dem Stadtbild in dem Maße, wie helle, freundliche
Wohnsiedlungen um sich griffen und das Leben begann, wieder lebenswert
zu werden. Wenn da nur nicht die halbstarken Rowdies und Rocker auf ihren
Mopeds gewesen wären, die den jungen Mädchen die züchtigen
Köpfe verdrehten und die Petticoats in Schwindel erregende Höhen
fliegen ließen. Nun aber hatte der ehemalige Gestapo-Mann von nebenan
keine rechtliche Handhabe mehr gegen die "jugendverderbende Negermusik".
Zähneknirschend musste er zusehen und lachend quittierte ein auf
156 Plätzen ausverkauftes Theaterschiff auf der Untertrave zu Lübeck
die Karikatur des Ewiggestrigen, wie er da aus seiner Pappkulisse schrullige
Randbemerkungen absonderte. Denn Constanze Jungnickel brachte mit ihrer
Regie der mitreißenden Revue „Sing, Baby, Sing“ diese
Zeit der goldenen Fünfziger auf das fest vertäute Theaterschiff
am Lübecker Holstenhafen und sechs ambitionierte Schauspieler auf
dessen Bühne. Die gaben alles und das Publikum ging mit. Das klatschte,
das schunkelte, das sang mit, das strahlte. Die hanseatische Zurückhaltung
wurde mit einem Eimer quicklebendiger Nostalgie über Bord gespült.
Apropos quicklebendig – da war eine, die hieß Tanja Bahmani
– ein knuddeliger, kleiner Feger mit ungeheurem Selbstvertrauen
und herzenserwärmendem Talent. Die tanzte und trällerte allen
Frauen Mut zu, die mit der eigenen Figur im Hader liegen, die sich selbst
nicht schlank genug sind, denen der Blick in den Spiegel nur allzuoft
und völlig zu Unrecht den Tag vergällt. Das Publikum dankte
es ihr und ganz besonders ihr. Tanja Bahmani produzierte eine selbstverständliche
Präsenz, sie war offensiv und ungeheuchelt lebenslustig und das hatte
Sexappeal. Ja, und einmal, da haben sie auch den knallharten Kritiker
gekriegt, die Mimen von der Waterkant. Der hat schon viel auf den Bühnen
Berlins und Brandenburgs gesehen. Große und solche, die sich für
groß hielten. Er sah Laien, die ihr Herzblut gaben an Thalias Altar.
Er sah bezaubernde Leistungen und er klatschte und pfiff und trampelte.
Aber dass ihm die Augen feucht wurden und die Tränen liefen, dass
ihm die Stimme wegblieb und versagte, als er mitzusingen versuchte, nee
– das hat's noch nie gegeben. Das war seine Premiere. Das war, als
die sechs vom Theaterschiff den Seemann aufforderten, dass Träumen
zu lassen und nicht an zu Hause zu denken. Da hatten se ihn – Blattschuss
– sauber zur Strecke gebracht! Einmal lief es also umgekehrt, lieber
Christian Schliehe, David Wehle, Marco Linke und liebe Mary C. Bernet,
Petra Stockinger und vor allem – liebe Tanja Bahmani. Diesmal hat
nicht der Kritiker seine Barden über Kimme und Korn angepeilt, sonder
ihr in und ihr habt ihn glatt erlegt. Gratulation und gönnt Euch
einen Köm drauf!
Wer das aber selbst miterleben möchte, der mache sich noch im ganzen
Januar auf den Weg zur Königin der Hanse! 300 Meter nördlich
vom Holsten-Tor am linken Traveufer gelegen, findet man das Schiff. Der
Parkplatz ist nahebei. Von 21 Euro an bekommt man ein Billett und das
ist jeden einzelnen Cent wert.
Theaterschiff Lübeck
Direktorin Theresa Gebhardt
Willy-Brandt-Allee 10k
(Am Holstenhafen - An der Muk)
23554 Lübeck
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