850 Jahre Domkapitel
Schnell und Steiner legen Festschrift vor
Dr. Rüdiger Freiherr von Schnurbein
und Verlagsrepräsentant Dr. Hubert Kerscher
Kotofeij K. Bajun
"Wer nicht weiß, woher
er kommt, der oft nicht weiß, wohin er geht!" Das dürfte
die Standardbegründung eines jeden Historikers sein, wenn er von
der mitfühlenden Bevölkerung gefragt wird, warum er sich wohl
mit einem solch drögen Fach wie der Geschichte befasse. Ist Geschichte
dröge? Mitnichten. Zumal, wenn sie in einem so exquisiten und wunderbar
aufbereiteten Habitus einher kommt, wie das jüngste Werk zur Geschichte
des Brandenburger Domkapitels aus dem sehr aparten Hause Schnell und Steiner.
Dieses zu Regensburg ansässige Verlagshaus hatte nach der Wende einen
guten Riecher und sicherte sich beispielsweise die schon auf dem DDR-Buch-
und Schriftenmarkt angesehene Reihe „Das christliche Denkmal“.
2007 warteten Schnell und Steiner für den engagierten Brandenburger
mit einem Paukenschlag auf: „St. Petri Brandenburg/Havel Bauhistorische
Untersuchungen“ hieß das Buch – und spätestens
die Qualität dieses Werkes verlieh den Regensburgern am Havelstrand
eine Hausnummer. Nahtlos knüpft der Band 5 der Schriften des Domstifts
Brandenburg mit dem schlichten Titel „850 Jahre Domstift Brandenburg“
an diesen Standard an. Nicht nur mit dem an seine Prädecessoren angeglichenen
Erscheinungsbild, sondern gerade über den sauber und tiefgründig
recherchierten Inhalt betont also dieses von einem hochkarätigen
Autorenkollektiv verfasste und von Dr. Rüdiger Freiherr von Schnurbein
herausgegebene Werk die enge Verwandtschaft zu seinen Vorgängern.
Von der Intention geleitet, mit einer Rückschau 850 Jahre Brandenburger
Domkapitelgeschichte zu würdigen, gelang es von Schnurbein, der auch
mit einem eigenen Beitrag vertreten ist, wie bereits angeführt, eine
handverlesene vierzehnköpfige und in der Mark ausgewiesene Gruppe
von Spezialisten ins Boot zu holen. Darunter finden sich Namen wie der
des emeritierten Chefs des ältesten Archivs östlich der Elbe,
des Domarchivars i. R. Wolfgang Schößler, der die Geschichte
seines Doms im kleinen Finger hat. Da beschreibt der Altministerpräsident
Brandenburgs und ehemalige Konsistorialpräsident der Ostregion der
Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, Manfred Stolpe, das schwierige
Überleben des Domkapitels auch als regionaler Arbeitgeber in der
vom Atheismus geprägten DDR-Epoche. Wie das im einzelnen vor sich
ging, wie sich die Wirtschaftsstrukturen im Detail darstellten, das erläutern
Hans Müller und Robert Hinz. Die Wendezeit, die auch das Kapitel
mit immense Herausforderungen konfrontierte, beleuchtet die ehemalige
Dompfarrerin Cornelia Radecke-Engst. Die an den Dom angeschlossene Ritterakademie,
jahrhundertelang Elite-Kaderschmiede der preußischen Staatsverwaltung,
wird von niemand Geringerem besprochen, als dem Nachfahren eines der mächtigsten
unter den Brandenburger Bischöfen, Dietrich III. von der Schulenburg.
Johann-Matthias Graf von der Schulenburg wandte sich dem bisher in der
Öffentlichkeit noch kaum bekannten Thema der Gründungs- und
Frühzeit dieser Bildungseinrichtung des märkischen Adels zu.
Überaus spannend lesen sich die neuesten Erkenntnisse der Stadtarchäologen
Dr. Joachim Müller und Dietmar Rathert zu lesen, die 2008 und 2009
die Petrikapelle grabungstechnisch erschlossen und sowohl auf sensationelle
Funde stießen, als auch zu ebenso spektakulären Schlussfolgerungen
fanden. Hier findet Dietmar Ratherts Aufsatz aus dem 19. Jahresbericht
des Historischen Vereins noch einmal eine ausführliche Aufbereitung
und Fortsetzung, in der nicht nur das Aussehen der vermuteten, in diesem
Siedlungsraum absolut selten anzutreffenden Doppelkapelle anschaulich
illustriert wird, sondern auch noch einmal explizite auf den im Volksmund
bereits etwas voreilig „Pribislav-Grabstein“ genannten Fund
zu sprechen kommt. Letzterer wurde bekanntlich als als verschüttete
Türschwelle in der Südwand der Kapelle geborgen. Die im brandenburgischen
kunst- und kulturhistorischen Betrieb arrivierten Kenner Carljürgen
Gertler und Ernst Badstübner runden den Kanon der Experten mit Beiträgen
zu den mystischen Kapitellplastiken im Kreuzgang der Domklausur, sowie
zum Ostgiebel der Petrikapelle ab. In letzterer wurde das neue Buch dann
auch am Abend des 13. Dezember 2011 vorgestellt. Der überschaubare
Rahmen der Teilnehmer illustrierte allerdings auch die Kehrseite des Werkes.
Als Weihnachtsgabe für die bildungsferne Bevölkerung ist es
ungeeignet. Populärwissenschaftlich sind die Aufsätze keineswegs
gehalten. Hier braucht es Vorwissen, Verstand und rezeptiven Intellekt.
Das drückt such auch in dem Preis aus, mit dem das Buch an den Markt
tritt. 39,95 Euro kennzeichnen es schon als kleines Fachbuch, an dem jedoch
die anvisierte Zielgruppe eine immense Freude haben wird. Denn im Duktus
schlüssig und flüssig ist die Lektüre so angenehm wie belehrend.
Man kann getrost resümieren: Wo man als Laie noch vor zwei Jahrzehnten
gezwungen war, mit der Taschenlampe in der die Mark maßgeblich prägenden
Geschichte des Domes herumzustochern, hat Schnell und Steiner jetzt einen
weiteren Flak-Scheinwerfer aufgefahren, der das Geflecht der eigenen Wurzeln,
tausend Jahre tief in märkischer Erde, erfahrbar und erlebbar macht. |