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Entzauberte Mythen
Gerd Fesser wartet mit einer hervorragenden kleinen Abhandlung zur preußischen Geschichte auf

Michael L. Hübner
Sinne hatte – alle Welt liegt sich seither in den Armen und gratuliert sich gerührt. Vergessen der vermaledeite Kontrollratsbeschluss vom 25.2.1947, der den Staat Preußen als "Hort des Militarismus" liquidierte. Selbst der deutsche Büchermarkt jubiliert: Friedrich, Friedrich über alles...! Jede Schlacht wird noch einmal geschlagen, jeder Stein von Rheinsberg bis Charlottenburg noch einmal umgewendet, jedes Musikstück aus SEINER Hand noch mal geflötet, jede Pointe aus SEINEM Munde ein weiteres mal genüsslich interpretiert. Einer aber, der Gerd Fesser, der sticht wohltuend ab von dem gigantischen Rummel, der gerade um den Großen König veranstaltet wird. Gerd Fesser, der siebzigjährige Thüringer, schert aus der Reihe. Ja, auch sein neuestes Werk thematisiert Preußen. Sein Gegenstand der Betrachtung aber ist das Preußen nach Friedrich. Es ist das Preußen, das sich auf den Taten eines großen Königs ausruhte, bis es bei Jena von einem kleinen Korsen überrannt wurde. Fesser ist gelernter Historiker. An der Leipziger Karl-Marx-Universität studierte er sein Handwerk. Vielleicht fällt sein Büchlein deswegen auf – es hat trotz seines unterhaltsamen und angenehmen Duktus so etwas ausgewogen Nüchternes.

Es sticht ins Auge, dass Fesser die Rezeption der napoleonischen Besetzung und der Stein/Hardenbergschen Reformen zu keiner Zeit einseitig nur aus der bürgerlichen Sicht der westdeutschen Historiker wiedergibt. Nie vergisst er zu erwähnen, was die DDR-Geschichtsschreibung einst zu diesen Ereignissen und jenen Persönlichkeiten verlauten ließ und vor allem – warum! Das allein schon lässt Gerd Fessers „Preußische Mythen - Ereignisse und Gestalten aus der Zeit der Stein/Hardenbergschen Reformen und der Befreiungskriege“ aus dem Einerlei des gesamtdeutschen Büchermarktes herausstechen. Damit profiliert sich das Büchlein als ein Muss für jeden aufrechten Freund Preußens. Denn dieses Land, dieser Staat polarisiert: Preußen wird überhöht, man zitiert die preußischen Tugenden, sonnt sich in der Erinnerung an die Tage, da sich ein armes, qualvoll hart arbeitendes Land aus den Trümmern des 30jährigen Krieges zur europäischen Großmacht hochgearbeitet hatte. Die andere Fraktion trampelt zur gleichen Zeit auf dem vermeintlichen „Hort des Militarismus“ herum, auf der Brutstätte jener, die aussehen, als „...hätten sie verschluckt den Stock, mit dem man sie einst geprügelt...“ Fesser tut das nicht. Er analysiert mit großer Sachkenntnis und arbeitet sauber und präzise mit einem Werkzeug, das ihm seine Ausbilder einst an die Hand gaben – der Dialektik. Es tut gut, Fesser zu lesen, denn der Mann nähert sich einer entscheidenden Wegmarke der preußischen Entwicklung unaufgeregt und trotzdem fesselnd. Personen, welche Preußen aus seiner postfriderizianischen Erstarrung lösten, nur um ein Dutzend Dekaden später vom schlimmsten Ungeist vereinnahmt zu werden, stellt Fesser umfangreich und ausführlich vor. Es sind dieselben Personen, die das seltene Kunststück fertigbrachten, hernach sowohl von den demokratischen, als auch von den diktatorischen Siegern über den braunen Ungeist als Traditionsstifter vereinnahmt zu werden. Fesser erklärt, sachlich, auf dem historischen Teppich bleibend und Gneisenau, Scharnhorst, Blücher, Schill, vom Stein und Königin Luise steigen empor, ohne Paukenschlag und Drommetenschall, aber mit viel Würde und vielem Anstand. Der Autor spinnt schlüssig den kausalen Faden zwischen dem Desaster von Jena über Memel, Leipzig, die Beresina, Waterloo bis nach Karlshorst und seine Glaubwürdigkeit wird gestützt durch ein für ein 192seitiges Buch immenses Quellenwerk von 21 Seiten, einer wunderbaren Bibliographie von 8 Seiten und einem informativen Personenregister. Ein wissenschaftliches Werk bar jeder Polemik, kein Fernau – aber auch bar jeden drögen Abhandlungsstils, gut geeignet für die Lektüre nicht nur vor preußischen Kaminen. Mit den Preußischen Mythen legte der Bremer Donat-Verlag sein Geschenk zum 300sten des Alten von Sanssouci auf den Gabentisch und – alle Wetter! – dieses Geschenk ist originell und verdient jede Empfehlung.

Gerd Fesser
Preußische Mythen
Ereignisse und Gestalten aus der Zeit der Stein/Hardenbergschen Reformen und der Befreiungskriege
Donat-Verlag Bremen 2012
ISBN 978-3-943-425-01-7
€ 16,80

 
B
10. Volumen

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012

06.02.2012