|
Entzauberte Mythen Michael L. Hübner Es sticht ins Auge, dass Fesser die Rezeption der napoleonischen Besetzung und der Stein/Hardenbergschen Reformen zu keiner Zeit einseitig nur aus der bürgerlichen Sicht der westdeutschen Historiker wiedergibt. Nie vergisst er zu erwähnen, was die DDR-Geschichtsschreibung einst zu diesen Ereignissen und jenen Persönlichkeiten verlauten ließ und vor allem – warum! Das allein schon lässt Gerd Fessers „Preußische Mythen - Ereignisse und Gestalten aus der Zeit der Stein/Hardenbergschen Reformen und der Befreiungskriege“ aus dem Einerlei des gesamtdeutschen Büchermarktes herausstechen. Damit profiliert sich das Büchlein als ein Muss für jeden aufrechten Freund Preußens. Denn dieses Land, dieser Staat polarisiert: Preußen wird überhöht, man zitiert die preußischen Tugenden, sonnt sich in der Erinnerung an die Tage, da sich ein armes, qualvoll hart arbeitendes Land aus den Trümmern des 30jährigen Krieges zur europäischen Großmacht hochgearbeitet hatte. Die andere Fraktion trampelt zur gleichen Zeit auf dem vermeintlichen „Hort des Militarismus“ herum, auf der Brutstätte jener, die aussehen, als „...hätten sie verschluckt den Stock, mit dem man sie einst geprügelt...“ Fesser tut das nicht. Er analysiert mit großer Sachkenntnis und arbeitet sauber und präzise mit einem Werkzeug, das ihm seine Ausbilder einst an die Hand gaben – der Dialektik. Es tut gut, Fesser zu lesen, denn der Mann nähert sich einer entscheidenden Wegmarke der preußischen Entwicklung unaufgeregt und trotzdem fesselnd. Personen, welche Preußen aus seiner postfriderizianischen Erstarrung lösten, nur um ein Dutzend Dekaden später vom schlimmsten Ungeist vereinnahmt zu werden, stellt Fesser umfangreich und ausführlich vor. Es sind dieselben Personen, die das seltene Kunststück fertigbrachten, hernach sowohl von den demokratischen, als auch von den diktatorischen Siegern über den braunen Ungeist als Traditionsstifter vereinnahmt zu werden. Fesser erklärt, sachlich, auf dem historischen Teppich bleibend und Gneisenau, Scharnhorst, Blücher, Schill, vom Stein und Königin Luise steigen empor, ohne Paukenschlag und Drommetenschall, aber mit viel Würde und vielem Anstand. Der Autor spinnt schlüssig den kausalen Faden zwischen dem Desaster von Jena über Memel, Leipzig, die Beresina, Waterloo bis nach Karlshorst und seine Glaubwürdigkeit wird gestützt durch ein für ein 192seitiges Buch immenses Quellenwerk von 21 Seiten, einer wunderbaren Bibliographie von 8 Seiten und einem informativen Personenregister. Ein wissenschaftliches Werk bar jeder Polemik, kein Fernau – aber auch bar jeden drögen Abhandlungsstils, gut geeignet für die Lektüre nicht nur vor preußischen Kaminen. Mit den Preußischen Mythen legte der Bremer Donat-Verlag sein Geschenk zum 300sten des Alten von Sanssouci auf den Gabentisch und – alle Wetter! – dieses Geschenk ist originell und verdient jede Empfehlung. Gerd Fesser |
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012
06.02.2012