Zwischen Wasser und Feuer
Silvesterspaziergang zum Thema Brandenburger
Mühlengeschichte
550 Teilnehmer besuchten den Silvesterspaziergang
2011
Michael L. Hübner
Mühlen sind eine sichere Bank.
Das wussten schon die askanischen Markgrafen, die sich bereits vor 800
Jahren bei ihren Eroberungen rund um die alte Brandenburg die Mühlenregalien
sicherten. Ebenfalls eine sichere Bank für die Kultur der Stadt sind
die traditionellen Silvesterspaziergänge von Stadtführerin Gabriele
Gòbi. 305 Besucher hatten sich angemeldet. 550 kamen und ließen
den Treffpunkt, den Rieselspeicher der Burgmühle in der Krakauer
Straße, aus allen Nähten platzen. Die Brandenburger Mühlengeschichte
war denn auch das Thema der diesjährigen Stadtwanderung. Gabriele
Gòbi verstand es gewohnt spannend umzusetzen. Mit kraftvoller Stimme
und ihrem enormen Faktengedächtnis, gepaart mit geübter Eloquenz
bannte sie ihr Publikum, dessen neugierige Blicke nicht nur an der Burg-
und der Havelmühle hafteten, sondern auch sehnsuchtsvoll nach den
Villen der Müllerpatriarchen schielten. Ganz arm können diese
nämlich nicht gewesen sein, wovon das ehemalige Heim für „gefallene
Mädchen“ (Villa Tiede, 1912) sowie der alte Wasserschutzgroßposten
der Volkspolizei (Villa Kähne, 1925) am Grillendamm und die Heidrich-Villa
neben dem Havelpegel beredtes Zeugnis ablegen. Zwar warnte der alte Müllermeister
Karl Tiede, dem die Burgmühle gehörte, seine Söhne Arno
und Paul vor dem Müllerhandwerk, das unselig zwischen Wasser und
Feuer angesiedelt ist und davor, dass den Bauern das Korn stets zu billig
und den Bäckern das Mehl immer zu teuer sei, dennoch scheint das
Geschäft ein paar Groschen abgeworfen zu haben. Man musste nur ein
Auge darauf haben, wie der alte Tiede, der noch als Senior von seinem
Balkon aus seine Mühlknechte bei der Arbeit beobachtete. Seinem Schwiegersohn,
dem Juristen Dr. Kähne, war das Glück eines in erster Lage erbauten
Wohnsitzes allerdings nicht lange beschieden. Als „Klassenfeind“
von den neuen Herren 1945 verhaftet, verhungerte er in einem Internierungslager.
Von Brandenburgs rührigem Unternehmergeist wusste Gabriele Gòbi
ebenfalls zu berichten. Mit dem Blick auf die Havelmühle erzählte
sie, wie diese am 1.9.1900 eingeweiht wurde und schon tags darauf lichterloh
abbrannte. Doch schon ein Jahr später hatte Müller Heidrich
seine Mühle wieder aufgebaut und hielt sich sogar unter den klassenbewußten
Kommunisten, wenn diese seinem Sohn auch einen Steuersatz von bis zu 80%
und eine Erbschaftssteuer von 40.000 DDR-Mark aufdrückten. Dann kam
die Teilprivatisierung – die DDR stieg mit 40% ins Unternehmen ein,
was jedoch zu einer moderateren Besteuerung führte. Doch das war
der Arbeiter- und Bauernmacht noch immer nicht genug. Die Zwangsenteignung
des „Ausbeuters“ traf ihn folgerichtig, hinderte aber den
letzten Müller Heidrich nicht daran, bis zum Schluss in seiner Mühle
zu arbeiten. Nun wird in Brandenburg an der Havel kein Mehl mehr gemahlen.
Die Wasserräder haben schon lange ausgedient, die Motoren und Transmissionen
stehen still und rosten. Die Havelmühle bekam eine neue Funktion
als apartes Wohngebäude zugewiesen. Gleiches ist nun auch für
die Burgmühle und ihren Rieselspeicher geplant, die mitsamt der Remise
wieder aufgebaut und für die wohnliche Nutzung hergerichtet werden
sollen. Somit bot der Silvesterspaziergang für die Brandenburger
die Gelegenheit, Teile ihrer alten Burgmühle noch einmal im vertrauten
Zustand und von innen zu besichtigen. Doch damit allein lässt sich
der immense Zulauf der Stadtführungen zum Jahreswechsel von Gabriele
Gòbi und Marcus Alert nicht erklären. Sollte sich die aus
dem am 21.12.2012 endenden Maya-Kalender abgeleitete Prophezeiung nicht
erfüllen, so wird man zweifelsohne erleben, dass die immer beliebter
werdenden Silvesterspaziergänge im nächsten Jahre trotz Anmeldepflicht
wieder einen neuen Besucherrekord aufstellen. Es muss wohl an der Art
liegen, wie die Stadtführerin die Geschichte der Havelmetropole lebendig
macht.
Gabriele Gobi versteht zu fesseln
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