Königliche
Hoheit auf Talfahrt
Märkische Leselust stellt Thomas Mann
am Tiefpunkt seines Schaffens vor
Marianna Linden verzaubert mit ihrem neuenglischen
Dialekt, wenn sie die Imma Spoelmann gibt
Kotofeij
K. Bajun
War es einer dieser schwarzen Tage der Literaturgeschichte, es muss
so 1906 gewesen sein, als Thomas Mann, Meister der Deutschen Sprache,
in seinen Vorratsschrank blickte und siehe – der war leer? Genau
wie das Mann'sche Konto. Frau Katia rief aus der Küche: „Thomas,
ich brauche Wirtschaftsgeld! Wir können nicht ewig Papa anpumpen.
Schreib was, irgendetwas, aber schreib!“ Aber dem Thomas wollte
nichts rechtes einfallen. So etwas wie die Buddenbrooks schafft man
nun mal nicht alle Tage. Das war nun fünf Jahre her, die Tantiemen
waren aufgezehrt und vom Ruhm allein kann man keine Miete zahlen. Da
schnürte Thomas Mann sein Bündel, schulterte die doppelläufige
Gänsefeder, lud das Tintenfass und ging auf Wilderei aus. Schamlos
plünderte er das Revier der acht Jahre älteren Hedwig Courhts-Mahler,
die das deutsche Volk nicht nur seit Jahren mit sentimentalem Schund
und trivialem Kitsch quälte, sondern darüber hinaus einen
Teil der daraus gewonnenen Gelder Jahre später der SS zuschanzte.
Doch das ist eine andere Geschichte. Mann jedenfalls schrieb seinen
Roman „Königliche Hoheit“, der ihm am Tage des Jüngsten
Schriftstellergerichts noch böse auf die Füße fallen
wird. Mit dieser dunklen, weitestgehend unbekannten Seite des großen
Thomas Mann machten das Brandenburger Publikum Hans-Jochen Röhrig,
die Schauspielerin Marianna Linden, der Schauspieler Michael Schrodt
und die Harfenistin Eva Curth im Rahmen der Reihe Märkische Leselust
bekannt. Vierzig Gäste hörten im Foyer des Großen Hauses
an der Grabenpromenade exquisite Vortragende zu einem Stück, was
Mann der Öffentlichkeit gegenüber als „liebenswürdiges,
parodistisches „Lustspiel in Romanform““ bezeichnete.
Selbst jedoch erkannte er in einem lichten Augenblick, dass dieses Märchen,
das im Jahre 1909 an die deutschen Leser verteilt wurde, das Attribut
„läppisch“ verdiene. Es ist triefender Schmalz pur.
Auch meisterlicher Gebrauch der Sprache konnte das Sujet nicht retten.
Zumal sich der Autor nur allzu oft im Stil der Zeit in arabesken Schnörkeln
verlor, die im Abstand von hundert Jahren skurril, gestelzt und lächerlich
wirken. Leider versäumte es Mann, den einen, winzigen Schritt weiterzugehen
und den Stoff von vornherein als Satire anzulegen. Er hätte Tucholskys
„Träumereien an preußischen Kaminen“ gnadenlos
Konkurrenz machen können. Unter diesen Umständen ist die Kunst
der Lesenden nicht hoch genug zu loben. Ob es Frau Lindens herrlicher
neuenglischer Dialekt ist, den sie abrief, wann immer sie die Imma Spoelmann
gab. Ob es Hans-Jochen Röhrigs und Michael Schrodts Gelispel war,
wenn sie den Albert zitierten. Voller mimischer Einsatz – ein
guter Vorleser verlegt die Handlung in die Köpfe seiner Zuhörer,
so wie der Dichter eines guten Haikus ganze Landschaften zu zaubern
vermag. Der Kontrast zu einem Thomas Mann auf Abwegen wurde von der
Harfenistin Eva Curth geliefert, die unter anderem mit Händels
Harfenkonzert B-Dur das Werk eines Meisters präsentierte, der sich
selbst treu geblieben war. Obwohl das Werk eine 65.000er Auflage erreichte,
nach all den Gräfinnen, Hoheiten, Durchlauchtigkeiten und Exzellenzen,
die der Feder oder der angestrengten wirtschaftlichen Situation Thomas
Manns entsprangen, erscheint es nunmehr verständlich und nachvollziehbar,
dass man sich 1919, zehn Jahre nach Erscheinen der „Königlichen
Hoheit“ in Deutschland zur Abschaffung des Adels entschloss. Dank
gebührt den Potsdamern um den wunderbaren Röhrig, dass sie
uns mit dieser Märkischen Leselust vor fataler Nostalgie bewahrten!