Kultur –
wie weiter?
Christian Kneisel empfing Hinrich Enderlein
zum Podiumsgespräch
Hinrich Enderlein (li) und Intendant Christian
Kneisel ziehen ihr Publikum über zwei Stunden in ihren Bann.
Kotofeij K. Bajun
Nicht nur das Land, auch die Stadt
Brandenburg an der Havel verdanken ihm unendlich viel. Der Kultusminister
a. D. Hinrich Enderlein weilte auf Einladung des Brandenburger Intendanten
Christian Kneisel zu einem Podiumsgespräch an der Grabenpromenade.
Wie gering das Bewusstsein der Bevölkerung dafür ausgeprägt
ist, was dem Wirken des mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse geehrten
Enderlein zu danken ist, schlug sich in der geringen Anzahl der Besucher
nieder. Gerade mal drei Dutzend Menschen fanden den Weg zu diesem hochrangigen
Kulturereignis. War doch der gebürtige Luckenwalder derjenige,
der als Minister für Wissenschaft, Forschung und Kultur im ersten
Kabinett Stolpe für die brandenburgische Hochschulreform verantwortlich
zeichnete. Wollte Manfred Stolpe noch die nicht mehr zu haltenden Industriekerne
der Mark revitalisieren, so setzte Enderlein massiv auf die Karte einer
neu zu etablierenden Bildungslandschaft. Diese erst, so erklärte
er Christian Kneisel gegenüber, konnte die Grundvoraussetzung für
die Erstarkung eines die Wirtschaft tragenden Mittelstandes sein. Dass
die westdeutsche Großindustrie an einer Erstarkung des ostelbischen
Wirtschaftsraumes mehrheitlich alles andere als interessiert gewesen
sei und diesen bestenfalls als verlängerte Werkbank dulden würde,
war schon damals absehbar. Es galt, entsprechend zu reagieren und vor
allem denen ein attraktives Tätigkeitsumfeld zu schafften, die
hierbleiben und aufbauen wollten. So verdankt ihm Brandenburg an der
Havel seine Fachhochschule. Lukrative Bedingungen aber werden nicht
nur durch eine hochmoderne Verkehrs- und Bildungsinfrastruktur geschaffen,
sondern auch durch eine florierende Kulturszene. Es sei ihm hart angekommen,
so Enderlein, mitzuerleben, wie seine Nachfolger aus Budgetgründen
ein Schauspielorchester nach dem anderen abwickelten, ein Ensemble nach
dem anderen in die Wüste schickten, ein Theater nach dem anderen
schlossen. Freie Kulturgruppen, die sich aus DDR-Zeiten hinüber
gerettet hatten, wurden plattgewalzt. Die Schornsteine mussten rauchen...!
Aber sie rauchten nicht und Christian Kneisel musste sich im Kreise
anderer Intendanten und märkischen Kulturschaffenden anhören,
dass man keineswegs auf sie angewiesen sei. Was Brandenburg an Kultur
bräuchte, könnte Berlin mit der linken Gesäßhälfte
abdecken. Es dauerte lange, bis man regierungsseitig begriff, dass Kultur
vor Ort zu den knallharten Standortfaktoren, zu den ökonomischen
Aktivposten zählt. Enderlein steckte nicht auf und so arbeitet
der 70jährige seither unermüdlich und ehrenamtlich als Vorsitzender
des Brandenburgischen Kulturbundes, der brandenburgischen Landesverbände
der Musikschulen, der Freien Theater und des Brandenburgischen Chorverbandes.
Was er sich wünschen würde, wenn ihm die Gute Fee begegnete,
fragte ihn Kneisel. Da wäre schon was, antwortete ein ganz ernsthafter
Enderlein: „Jeder Steuerbürger sollte die Gelegenheit eingeräumt
bekommen, einen Teil seiner Steuerschuld frei an kulturelle oder gesellschaftliche
Projekte zu verfügen! Nicht nur die Kultur würde milliardenschwer
profitieren. Diese Gelder selbst kämen über den Wirtschaftskreislauf
dem Bürger selbst ganz unmittelbar wieder zugute.“ Nachdenkliches
Schweigen..., dann – starker Applaus! Ein kluger Mann und ernstzunehmender
Liberaler mit ebenso klugen Ideen. Man sollte solchen Leuten und ihren
Ideen nur endlich auf breiter Front Beachtung schenken!
Hinrich Enderlein versteht es nach wie
vor, seine Zuhörer zu fesseln.