Ein Schneemann namens Kasimir
Regisseur Rolf Losansky stellte im Kiju seinen
beliebtesten Kinderfilm vor
Kotoefij K. Bajun
Es war irgendwann um 1975 herum,
als die "Shen Da" noch "Wismar" hieß. Da reiste
auf diesem Schiff der "Afrika-Klasse" ein gewisser Kasimir
aus Buna zu einem zehnjährigen, kohlrabenschwarzen Mädchen
aus Leipzig in deren Heimat nach Afrika. Doch Kasimir wurde es zu heiß
unter der äquatorialen Sonne und so heuerte er auf einem Schiff
der sowjetischen Handelsflotte an und entfloh in kühlere Breitengrade.
Kasimir war nämlich ein Schneemann, den hatte sich das schwarze
Mädchen Asina vom DDR-Matrosen Karli gewünscht, der hielt
Wort, das Abenteuer des Schneemann-Exports begann und Rolf Losansky
verfilmte das entzückende Drehbuch nicht minder abenteuerlich in
dem DDR-Kinderstraßenfeger "Ein Schneemann für Afrika".
Der KiJu, das Haus der Kinder, Jugend und Familien in der Willibald-Alexis-Straße,
legte den Klassiker für die Brandenburger Kinder ein – und
entführte die Jüngsten in die exotische Welt, welche einst
die jetzige Elterngeneration faszinierte. Afrika – der dunkle
Kontinent, nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet – unerreichbar
für die Mehrzahl der 17Millionen DDR-Bürger. Diesen Teil der
Welt filmisch zu thematisieren, war in der DDR schon ein Tanz auf dem
ideologischen Vulkan. Ihn aber auch noch teilweise an Originalschauplätzen
drehen zu wollen, stellte für manchen Genossen den Gipfel der Realitätsferne
dar. In Polen wollte man die afrikanische Küste nachbauen –
Losansky winkte ab. "Ich betrüge die Kinder nicht", positionierte
er sich gegen den allmächtigen DEFA-Direktor Wilkening. "Wenn
ihr in Polen drehen wollt, dann macht ihr den Film ohne mich! E basta!"
Der Sturkopf Losansky setzte sich durch und heuerte mit seinem kongenialen
Kameramann Helmut Grewald auf der "Wismar" an, welche seinerzeit
die Handelsrouten nach Westafrika befuhr. Drei Monate, acht Länder,
deren Häfen angelaufen wurden. Eigentlich hätte Losanskys
Crew die Hafenzonen nie verlassen dürfen – weder die DDR-Behörden
noch die Offiziellen vor Ort gaben bis auf wenige Ausnahmen ihre Zustimmung.
"Heute kann ich's sagen", grinst Losansky, "ist alles
verjährt: "Ein Schneemann für Afrika" ist , was
die afrikanischen Szenen betrifft, komplett illegal unter vielfachem
Bruch des internationalen und Völkerrechts gedreht worden!"
Da wasserte man schon mal ein Schlauchboot seeseitig, damit die Hafenbehörden
es nicht merken und dann ab durch die Flussmündung ins Hinterland!
Ein Dschungeldorf von Eingeborenen – welch herrliche Kulisse!
Doch die Dörfler waren auch nicht von gestern, jeder Zoll des belichteten
Zelluloids wurde mit Unmengen DDR-Waschmittel, Caro-Zigaretten und Bonbons
erkauft. Die Matrosen der Wismar überließen Losanskys Crew
bereitwillig die eigenen Vorräte und halfen auch sonst mit jahrelang
aufgebauten Beziehungen. Ein westdeutsche Unternehmer karrte die Crew
mit dem eigenen Privatwagen durch die Gegend – Mielkes Stasi wäre
in Ohnmacht gefallen, hätte sie von jenen streng verbotenen Kontaktaufnahmen
Witterung bekommen. Der Schock erwischte Schwert und Schild der Partei
spätestens dennoch, als jener Westdeutsche die Ansichtskarten der
DEFA-Leute nicht wie versprochen in Ostberlin sondern stattdessen in
Genf einwarf. "Losansky mit Crew geschlossen in die Schweiz getürmt",
titelte die DEFA-Hauspostille unter der Hand. Das war er nicht. Er kam
zurück und zeigte seinen Film, der in Spanien, Usbekistan, China
und dem Sudan einen Ersten Preis nach dem anderen abräumte. All
diese Anekdoten interessierten die kleinen Gäste von KiJu-Häuptling
Axel Krause weniger. Generationenübergreifend lachten sie über
dieselben Szenen, die auch schon bei Mutti und Papa, Omi und Opa vor
37 Jahren für Heiterkeit sorgten. Das kleine Mädchen Asina
ist heute übrigens auch schon 45 und arbeitet als Architektin in
Hamburg. Wenn sie in den Hafen hinausblickt, so wird die Wismar, die
ihr einst den Kasimir brachte, nicht mehr an der Pier liegen. Sie wurde
später in "Shen Da" umgetauft und unter diesem Namen
1991 am Strand von Kalkutta abgerissen. Und was den kleinen Schneemann
Kasmir betrifft, wenn ihm der Klimawandel nicht allzusehr zu schaffen
macht, dann erfreut er Kinderherzen noch immer und bis heute und in
Axel Krauses KiJu vor allem Kinder, für die eine Kinokarte ansonsten
unbezahlbarer Luxus darstellt. Das vor allem ist der schönste Lohn
eines einstigen völkerrechtlich bedenklichen Afrika-Abeteuers.
Regisseur Losansky's Schneemann bringt
noch immer Kinderherzen zum Leuchten.