Drei tote schwedische Soldaten im Garten
Archäologischer Jahresrückblick sprengt
Vortragssaal im Paulikloster
Mehr Gäste als Stühle brachten
den Vortragssaal des Pauliklosters fast zum Bersten.
Michael
L. Hübner
Wenn die Untere Denkmalschutzbehörde traditionell im Januar zu
ihrem öffentlichen Jahresrückblick lädt, dann ist eigentlich
immer mit einer gediegenen Besucherzahl zu rechnen. Diesmal aber brachten
die etwa 140 Gäste der Stadtarchäologen den kleinen Vortragssaal
des Landesarchäologischen Museums im Paulikloster an die Grenzen
seiner Kapazität. Dabei hätte das Schwerpunktthema auch ganz
gut in die Zeit um Halloween gepasst: War das die Attraktion für
die vielen jungen Besucher? Die Damen und Herren um Dr. Joachim Müller
spürten innerhalb der 72 Grabungen des letzten Jahres nämlich
verstärkt den Vorfahren nach, die bereits seit einigen Jahrhunderten
in der städtischen Erde ruhen. Und wo sie die überall fanden!
Da sollten Balkongründungen für das Sanierungsobjekt Kleine
Münzenstraße 2-5 in die Erde gerammt werden. Die Archäologen
gruben als Erste und – siehe da – drei kaum noch zu erkennende
Sargbestattungen kommen zum Vorschein. Bestattungen mit Seeblick! Nun
könne man das Gräberfeld im Bereich des Neustädtischen
Marktes in seinen Abmessungen zuverlässig verorten, so Stefan Dahlitz.
Eine Bestattung in Ufernähe erfuhren auch drei schwedische Soldaten,
die mutmaßlich im Jahre 1630 von der Pest dahingerafft wurden.
Im Felde unbesiegt mussten sich die Krieger des Löwen aus Mitternacht
den Läusen und den Pestbakterien geschlagen geben. Einem der drei
warf man sogar seine tönerne Tabakspfeife ins Grab hinterher. Da
rauche, aber kehr nicht wieder! Ähnlich rüde verfuhr man mit
Verstorbenen der frühen christlichen Begräbnisse rund um die
Nicolaikirche, denen der unkundige, mittelalterliche Brandenburger unterstellte,
schmatzend ihre eigenen Leichentücher aufzufressen. Flugs wurden
die gefräßigen Untoten enthauptet und ihnen der Schädel
zwischen die Beine gelegt. Siehste – das haste nun davon! Bei
diesen Ausflügen ins Reich des Morbiden gingen die Grabungsbefunde
rund um die Johanniskirche beinahe unter, mit Hilfe derer Dietmar Rathert
unter „extremarchäologischen“ Winterbedingungen die
Lage des alten Franziskanerklosters am Salzhof rekonstruierte. Auch
der kleine Rund-Ziegelofen an der Nordostecke der Domklausur aus dem
12. Jahrhundert konnte da kaum mithalten, obwohl er streng genommen
eine kleine Sensation darstellt. Er konnte ziemlich genau in die Bauphase
der Bunten Kapelle Anfangs des 13. Jahrhunderts datiert werden und steht
mit seiner Kuppelbauweise in der Havelregion einzig da. Einen weiteren
Ofen – einen Kalkbrennofen aus der römischen Kaiserzeit des
ersten nachchristlichen Jahrhunderts nämlich – förderten
die Archäologen in Schmerzke zutage. Den müssen noch die Sueben
betrieben haben, bevor sie sich auf die Völkerwanderschaft nach
Stuttgart begaben. Ebenfalls sensationell waren die Grabungsbefunde
vor dem Portal der Nicolaischule, wo man eine Abfallgrube aufspürte.
War hier dem alten Gertraudenhospital der Umzug ins Franziskanerkloster
teuer geworden und man entledigte sich eilig des Inventars? Ein weiteres
Hospital – das Heilig-Geist-Hospital der Altstadt konnte in der
Mühlentorstraße 38 verortet werden. Es ist immerhin das älteste
Heilig-Geist-Hospital Deutschlands. Wie lebendig der Organismus „Stadt“
ist, beweist das erfreulicherweise jährlich zunehmende Interesse
der Bevölkerung an der Tätigkeit seiner Archäologen.