Was nur ist ein Cimbalom?
Ein vergessenes Instrument und eine Posaune verzauberten die Studiobühne
Auch mit Fliegenklatschen lässt sich
ein 3.000 Jahre altes Instrument bespielen.
Michael
L. Hübner
Selten traf der Titel "Unerhörtes Brandenburg" so sehr
ins Schwarze. Die wenigsten der fünf Dutzend Zuhörer werden
vor diesem Abend etwas von einem Instrument namens Cimbalom gehört
haben. In Westeuropa nahezu in Vergessenheit geraten, gab sich der Großvater
des Pianos in der Studiobühne die Ehre und zwar kunstfertig traktiert
von den zarten Fingern einer blonden Fee aus der Puszta, einer Piroschka
mit verführerischem Schmollmund und einem ausdrucksstarken Lächeln.
Das etwa 3.000 Jahre alte Cimbalom, das sich der Laie als ein Klavier
ohne Klaviatur vorstellen mag, eröffnet der Musikerin nach deren
eigenen Worten den intimsten Kontakt, den ein Instrument zu bieten hat.
Die Fee Enikö Ginzery bespielte die Saiten mit Schlegeln, die aussahen
wie überlange japanische Teelöffel mit Wattebäuschen.
Sie gebrauchte aber auch Fliegenklatschen, Milchshake-Handmixer, ihre
eigenen Stimme gar, die Handflächen und ihre – Fingernägel.
Das Geheimnis um ihre mutmaßlich exzellente Maniküre behielt
die magyarische Schönheit allerdings für sich. Was sie mit
ihrem grandiosen Partner András Fejér an der Posaune zu
Gehör brachte, war Musik des zwanzigsten Jahrhunderts. Wer sich
auf die Suche nach harmonischen Akkorden begab, verlor sich bald im
Gewirr stakkatierender Arpeggios, die sich dann doch wieder auf wundersame
Art zu einem einheitlichen Ganzen fügten. Da zauberten die beiden
mystische Klangwelten, die das Hier und Jetzt überwanden und das
Tor in eine wie auch immer geartete Anderswelt aufstießen. Hollywood
hätte so manche Tonfolge für romantische Stimmungsfilme der
Oberklasse, aber auch für spannungsgeladene Thriller mit Gänsehauteffekt
brauchen können – aber Hollywood war nicht da. Schade nur,
dass man das exotische Instrument nicht in seinen klassischen Möglichkeiten
erleben konnte. Wo doch selbst Il Grande Vivaldi fürs Cimbalom
komponierte...
Enikö Ginzery (li) und András
Fejèr geben ein Kammerkonzert
Der Scharfrichter
moderner Musik ist wohl die Frage, ob man den Sender wechseln würde,
läge man im Bette und lauschte einem ARD-Nachtkonzert solcher Facon.
Nein, hier wäre das Umschalten obsolet gewesen, diese Musik würde
jeder kunstsinnige Hörer auskosten bis zur letzten Note. Wie Fejér
seine Posaune zärtlich quaken ließ, das machte wohl selbst
die Enten des nahen Schleusenkanals glücklich. So etwas haben selbst
die noch nicht gehört – unerhörtes Brandenburg eben.
Zielsicher traf er seine Töne und die kleine Boshaftigkeit des
Kritikers, bei moderner Musik käme man dem Musiker sowieso nie
auf die Schliche, wenn er sich mal vergriffe, blieb diesmal im Ansatz
und im Halse stecken.
Ein Instrument wird bestaunt...
Mit im Publikum saßen
drei Komponisten, deren Werke zum Vortrag kamen. Da war zum Beispiel
der fünfundachtzigjährige György Kurtág aus Ungarn,
der in seinem Zyklus Játékok - „Spiele“ sogar
einen Hund in Musik verwandelte. Und dann saß da noch Rainer Rubbert,
der Brandenburg an der Havel seinerzeit mit „Kleist“ eine
richtige Uraufführung einer großen Oper bescherte. Das hatte
Flair, das beeindruckte. Denn auch die von den beiden Musikern dargebotenen
Stücke waren eigens in Auftrag gegeben und uraufgeführt worden.
Die „Bilder der Nacht“ trugen als Widmung sogar den Namen
der zauberhaften Cimbalomistin. Wenn sie ihre Musik ankündigte
und wenn sie ihr Instrument vorstellte, in jenem breiten Dialekt, der
die Worte so dehnt wie die Puszta weit ist, da wurde es feucht in den
Augenwinkeln: Und als sie mit ihrem Kollegen András Fejér
zur eingeforderten Zugabe noch einmal die Bühne betrat, da sagte
sie mit unschuldigem Augenaufschlag: „Und wejl wirrr die Hundää
so liebäään, spieläään wirrr noch mal
dään „Hund“...“ Und genau dafür, Frau
Ginzery, lieben wir Sie!
Julian Gretschel, Enikö Ginzery, György Kutág, Luigi
Manfrin und András Fejèr (v.l.n.r.)