Stacheldraht und demokratische
Klamotten – das Fiasko von Heiligendamm
Don M. Barbagrigia
Jahrzehntelang hatte die
Springerpresse getönt: Wer sich einmauert, muß Angst
vor der eigenen Bevölkerung haben. Ganz laut wurde das
Getöse, das sich im Allgemeinen gegen den Eisernen Vorhang
und im Speziellen gegen die Mauer richtete, als Olof Palme,
seines Zeichens schwedischer Ministerpräsident, abends
in Stockholm Hand in Hand mit seiner Frau ins Kino ging. Wie
das wohltat, den Kontrast zwischen dem bodenständigen und
weltoffenen Palme und der abgeschotteten Bonzensiedlung zu Wandlitz
einschließlich total überwachter Protokollstrecke
zu beleuchten!
Die Springerpresse hatte recht. Jawoll! Hatte sie. Hundertprozentig!
Erbärmlich war’s mit anzusehen, wie ein paar vergreiste
Parvenüs ihre Ideale und ihre Klasse verrieten und an der
Etablierung eines neuen Proletenadels feilend, strebend sich
bemühten, die feudalen Errungenschaften und Erfahrungen
derer für sich zu reklamieren und nachzuholen, welche sie
einst bis aufs Blut bekämpften.
Insofern stellt sich die Frage ob der Zaun zu Heiligendamm mit
den Verhältnissen von damals zu vergleichen ist.
Sicher nicht zur Gänze. Die sich da jetzt, begleitet von
gigantischen Kosten, vor dem wütenden Volk in Sicherheit
bringen, sind beileibe keine paar halbgewalkten Pseudofürsten,
die lediglich 17 Mio. Menschen um der eigenen Machtgelüste
willen zu 28 Jahren Knast verurteilen und bis zum Staatsbankrott
bespitzeln können – die hier haben wirklich Macht!
Sie haben die Macht, die Weichen der Menschheitsgeschichte hin
zum Verlöschen dieser Spezies zu stellen. Die Macht, die
Menschheit zu retten, diese Macht haben sie nun gerade nicht.
Dazu sind sie zu sehr Marionetten ihrer jeweiligen Großkonzerne
und Lobbyisten. Sie haben die Macht, die Völker Europas
und der übrigen Welt wiederum an die Schwelle eines nuklearen
Infernos zu führen. Sie davor zu bewahren und eine friedliche
Zukunft festzuschreiben, dazu sind sie zu schwach und einflußlos.
Das Volk regt’s auf. Es will seinen Unmut kund tun. Damit
die exponierten Weltzerstörer davon nicht allzusehr betroffen
werden, wird Heiligendamm mit einem dreizehn Kilometer langen
Sicherheitszaun kurzerhand hermetisch abgeriegelt. Es ist den
„demokratisch“ legitimierten Vertretern ihrer Völker,
wie dem Zaren Putin oder dem „rechtmäßigen“
Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika und
ihren europäischen und asiatischen Vasallen also bewußt,
daß sie da Dinge verhandeln, die keineswegs von der Billigung
ihrer Völker getragen werden. Nichts da von wegen „…im
Auftrag ihrer Nationen“. Eher „…im Auftrag
ihrer Wirtschaftsmagnaten.“
125 Mio. €. Diese Summe lasse man sich auf der Zunge zergehen
wie einen alten Rotwein. Man schmatze sie hin und her, gurgele
sie und schiebe sie von einer Gaumenseite auf die andere! Mit
diesem Betrag wäre Mitteldeutschland sicher nicht zu retten,
wohl aber massiv anzuschieben gewesen. O geliebtes Brandenburg
an der Havel, was brächten dir 125 Mio. €!
Wozu also wird eine achtel Milliarde in den Ostseesand gesetzt?
Antwort: Damit die hohen Herrschaften nicht von den Pflastersteinen
getroffen werden, die statt dessen die Existenz des Rostocker
Wirtes vom „Tom Kyle“ zerstören. Damit statt
den Limousinen und Karossen die Vehikel derer brennen und zerschmettert
werden, die sich womöglich kein neues Auto auf die Schnelle
mal eben leisten können und deren Job eventuell an dem
Wagen hängt?
Irgendein verrückter Politiker belfert, man müsse
den an solchen Einsätzen beteiligten Polizisten eine Gefahrenzulage
zahlen. Wer soll die zahlen? Wer? Die hohen Herrschaften um
deren Sicherheit es geht und die von den armen Teufeln in ihrer
grasgrünen Vermummung mit Leib und Leben geschützt
werden. Oder der schwafelnde Politiker selbst? Zahlt er’s
von seinen fetten Diäten? Gewiß nicht. Michel soll
löhnen. 125 Millionen reichen noch nicht!
Immer reingegriffen in die Taschen des doofen Volkes, dessen
Ruinierung zu Heiligendamm gleich mit verhandelt wird. Noch
haben sie’s ja, die blöden Stimmviecher.
Furchtbar sind die Bilder der Gewalt von Rostock. Daß
das keine Protestierer sind sondern zerstörungswütige
Asoziale, das ist ganz klar. Das brauchen wir hier nicht zum
Gegenstand der Diskussion erheben.
Worüber wir aber debattieren sollten, ist, wie man 125
Millionen Euro aus dem deutschen Steuertopf auch und gerade
diesbezüglich sinnvoller verwenden könnte, als auf
einen Zaun und Hundertschaften hilfloser Knüppelgarden.
Wie wär’s denn mit der Anschaffung eines großen
Zuckerbrotes und eines anständigen Ochsenziemers? Man kann
der wütigen Canaille das Angebot machen, ein vernünftiges,
soziales und menschenwürdiges Leben zu führen. Macht
sie davon keinen Gebrauch sondern sucht ihre Befriedigung in
der Zerstörung des Lebens und Eigentums anderer, dann sollen
sie bei Wasser, Brot und die Tagesration bestimmender Schwerstarbeit
ihre restlichen Tage fristen – fernab von jeder Möglichkeit,
der anständigen Gesellschaft fernerhin zu schaden.
Den konstruktiven Kritikern aber den Zutritt zur Verhandlungsstätte
zu wehren ist nicht nur eine bodenlose Frechheit, eine Demonstration
namenloser Schwäche – es ist ein Eingeständnis
über das wahre Wesen unserer „Demokratien“,
ihrer Scheinheiligkeit, ihres Versagens, ihrer Volksferne.
Was in Heiligendamm abläuft – Honecker hätte
es gefreut, Olof Palme hätte angewidert ausgespuckt –
wenn er dazu nicht zu fein gewesen wäre. Und wir denken
– er wäre!