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Journalistisch angehaucht
Sandra Maischbergers Porträt des Helmut Schmidt

B. St. Fjøllfross
Vielleicht wird das deutsche Volk begreifen, was es an ihm hatte, wenn er eines Tages nicht mehr da sein sollte. Denn er war einer der ganz großen, der reellen, der handfesten. Helmut Schmidt, Retter der Menschen in der Sturmflut vom Dezember 1962 und Altbundeskanzler, SPD-Mann, Intellektueller von Format…
Sandra Maischberger und ihr Mann Jan Kerhart begleiteten Herrn Schmidt von 2001 bis 2006, erstellten daraus ein Fernsehporträt.
Der NDR strahlte es aus, wir haben es uns angesehen. Nun, liebe Frau Maischberger – das war einmal nichts. Fünf, setzen!
Ein hartes Urteil, zugegeben. Das bedarf schon einer Begründung. Und die soll gegeben werden.

Ein Porträt, ob es sich nun um das Bildnis aus der Hand eines Malers oder ein filmisches Werk handelt, sollte dem späteren Betrachter deutlich nicht nur die Meisterschaft des Porträtierenden aufzeigen, es sollte das Wesen des Abgelichteten beleuchten und – bei verdienten Persönlichkeiten - den Respekt des Künstlers oder Bildschaffenden vor der dargestellten Person Pinselstrich für Pinselstrich, Szene für Szene verdeutlichen.
Gerade diese fundamentale Forderung finden wir bei Frau Maischbergers Arbeit nicht einmal ansatzweise erfüllt.

Vielleicht würden wir von ihr verstanden werden, wenn sie damals im Dezember 1962, auf einem Hamburger Dach am Elbdeich gesessen hätte, die Hosen naß von den sturmgepeitschten und saukalten Wassern der Elbe und den eigenen Exkrementen, wenn die heulende Todesangst aus ihren Pupillen ins Dunkel dieses Infernos gestarrt hätte. Viele dußlige Fragen wären nicht gestellt worden – mit Sicherheit nicht!
Helmut Schmidt ist ein Macher. Jawohl, Frau Maischberger! Und die Frage nach der Brüskierung durch diesen Begriff ist wohl die schwächste von allen gewesen – denn nur ein Macher konnte die armen Teufel aus den Fluten der Elbe retten, nicht die Staatstheoretiker und Diätenverfresser.

Wir wollen diese Großtat nicht überstrapazieren, Herr Schmidt hatte einiges mehr geleistet. Aber das klingt nach. Das bleibt. Das zählt vor Gottes Antlitz.
Es war sicher auch nicht nötig die Freundschaft mit Henry Kissinger so ans Licht der Öffentlichkeit zu exponieren. Kissinger ist kein unumstrittener Mann, Nobelpreis hin oder her. An den Händen dieses fürwahr erstklassigen Intellektuellen klebt Blut, viel Blut. Manche bezeichnen ihn gar als Kriegsverbrecher. Und die Idee erscheint so abwegig nicht. Er hat dem Imperium Quartum in der ersten Phalanx gedient. Und dieses Vierte Rom verfolgte mit menschenverachtender Verve andere Ziele als die deutsche Sozialdemokratie. Sei’s drum.
Das wäre zu verschmerzen gewesen. Aber was sollen diese elenden, penetranten Fragen nach dem frühverstorbenen und wohl behinderten Sohne Helmut Schmidts? Was soll diese Impertinenz? Wen zum Teufel geht das etwas an?

Mangelt es Frau Maischberger an der elementarsten Empathie oder was reitet sie, nach einem Klavierstück aus den Fingern Herrn Schmidts zu quengeln? Der Mann leidet unter dem Verlust seines Gehörs. Er leidet darunter, daß er seinen geliebten Bach nicht mehr hören kann und Frau Maischberger spielt das süße Enkelchen: „Ach Opi, spiel doch mal…!“

Und dann der traurige Tiefpunkt der Reportage. Frau Maischberger berichtet lang und genüßlich davon, daß sich Herr Schmidt auf einer Ostasienreise befand, während Frau Loki stundenlang hilflos auf dem Boden ihrer Küche lag, ein Schicksal wie es alten Leuten nicht eben fremd ist. Da soll doch der Blitz dreinschlagen! Welcher Dämon gestattet es diesem Gänseküken diese wunderbare Hanseatin in einer so entwürdigenden und intimen, in einer solch erbärmlichen Lage vorzuführen? Sollte die Familie Schmidt auf diese Weise „vermenschlicht“ werden? Dann war das eine saudumme Idee! Diese Menschen zählten wohl kaum zu den abgehobenen ihrer Zunft. Eine solche Entkleidung war von keiner Notwendigkeit begleitet.
Die blitzgescheite Frau Loki brachte es postwendend anläßlich einer weiteren völlig unerheblichen Frage auf den Punkt: „Nun sind Sie ja auch ein klein bißchen journalistisch angehaucht…!“ Bravo, Bravissimo! Brillanter, stechender hätte man das nicht formulieren können. Dieses Attribut bringt es auf den Punkt, gnadenlos und staubtrocken. Humor der Königsklasse.

Wer ein filmisches Porträt auf diese Art und Weise gestaltet, der ist eben nur „journalistisch angehaucht“! Nicht ein Fitzelchen mehr!

Als Frau Maischberger den Herrn Altbundeskanzler auf das ihm anhaftende Klischee ansprach, er bezeige sich intellektuell unterlegenen Gesprächspartnern gegenüber oftmals arrogant, konterkarierte Herr Schmidt die Peinlichkeit mit einem knallharten und unhaltbaren Rückhand-Slice. Anstelle des rechtfertigenden und abstreitenden Gewäschs, was nun von den allermeisten Politikern in dieser Situation zu erwarten gewesen wäre, kam nur: „Und was ist jetzt ihre Frage?“
Wir lernen daraus: Wenn auch Arroganz keine sehr angenehme Charaktereigenschaft ist, so findet sie ihre legitimierte Berechtigung im Umgang mit penetranten Hohlköpfen. Dem stimmen wir vorbehaltlos zu.
Auf die Frage, welcher Ära er sich in Bezug auf sein 60. Hochzeitsjubiläum zugehörig fühle, verwies Herr Schmidt auf eine Epoche, deren Wertekanon heute keine Gültigkeit mehr zu haben scheint. Wir reden von Werten wie Respekt, Dezenz, Diskretion, Achtung und Anstand. Auch wir Preußen begreifen diese Dinge noch immer als essentiell für die Gestaltung unseres Daseins und als Grundlage des zwischenmenschlichen Miteinanders. Frau Maischberger erweist ihre Referenz einer neuen Zeit, die uns von der widerlichen, die moderne Welt leider prägenden Seite Amerikas kündet: es ist dieses Gnadenlose, Kaltherzige, Penetrante, Demütigende, Rücksichtslose. Das lehnen wir ab. Davon wenden wir uns ab. Damit wollen wir nichts zu schaffen haben.
Eine unangenehme, kalte, ins Quäkige fallende Stimme stellte unangenehme Fragen, die in uns schon beim Hören Übelkeit verursachten. Keine leichte Hand, keine fühlbare Sensibilität entwarf das Porträt. Einem Mann und einer Frau wie Helmut und Loki Schmidt wäre ein Günter Gaus angemessen gewesen, nicht eine Sandra Maischberger.
Doch eine Legende wie das Ehepaar Schmidt wird selbst diese Reportage unbeschadet überstehen. Dessen darf man gewiß sein.

10. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2007