Fraktionszwang
B. St. Fjøllfross
In der Diskussion um die
Einführung von Mindestlöhnen forderte der Grünen-Chef
Bütikofer nun, die Abgeordneten beim Entscheid vom Fraktionszwang
zu entbinden. Gut gebrüllt, Löwe!
Aber – Moment mal! Fraktionszwang. Was um Himmels Willen
ist das? Bedeutet das etwa, daß Fraktionen auf die Abgeordneten
ihrer Parteien beim Abstimmungsverhalten einen wie auch immer
gearteten Zwang ausüben?
„Menschenskind, Fjøllfross, nun seien so doch man
nich so förchtelich naiv, Mann! Det war schon in Weimar
so.“
Mag sein, aber schon damals war es verfassungswidrig. Das Grundgesetz
der Bundesrepublik Deutschland bestimmt in Artikel 38 Absatz
1 eindeutig: ...Sie [die Abgeordneten] sind Vertreter des ganzen
Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur
ihrem Gewissen unterworfen.
Nun gibt es zwar Argumente, die sich für einen Fraktionszwang
aussprechen, wenn Abgeordnete beispielsweise nicht über
alle Sachthemata gleichgut Bescheid wissen können und sich
daher notgedrungen auf das Urteil ihrer sachverständigen
Kollegen verlassen müssen. Daß sie in solchen Fällen
geneigt sind, eher dem Urteil ihrer Parteigenossen zu vertrauen,
ist verständlich.
Alle anderen Gründe jedoch wollen wir nicht gelten lassen.
Wenn Abgeordnete auch Tausend mal ihr Mandat über ihre
Partei erhalten haben, ohne die sie selbst keinen Wahlkampf
hätten gestalten, geschweige finanzieren können –
so sind sie doch im Falle ihrer Wahl mit dem Augenblick der
Überreichung ihres Mandats nur noch und ausschließlich
Abgeordnete. Das muß denen Parteien ganz klar sein und
den Abgeordneten gleichermaßen. Die einen mögen Startrampe
für die Parlamentarierkarriere spielen und darauf vertrauen,
daß sich die zukünftige Frau Abgeordnete oder der
Herr Abgeordnete an die politischen Richtlinien ihrer Parteien
halten. Ansonsten wäre ein Wahlkampf kaum zu führen.
Welche Partei könnte widrigenfalls noch irgendein Programm
versprechen? Aber dieses mit Zwang einfordern? Reicht es nicht
schon, daß die deutschen Parlamente vom elenden Virus
des Wirtschaftslobbyismus durchseucht sind und dem Land ein
übelriechendes Odeur von Bananenrepublik vermitteln Reicht
es nicht, daß Abgeordnete oftmals parallel zu ihrer parlamentarischen
Tätigkeit zusätzlich Aufsichtsratsposten bekleiden,
die man Volksvertretern für die Dauer ihrer Abgeordnetentätigkeit
generell verbieten sollte?
Wie üben Fraktionen eigentlich Zwang auf ihre Abgeordneten
aus? Sind das nicht geheime Abstimmungen im Parlament? Zwang
kann doch nur mit Erfüllungskontrolle funktionieren.
Ein weiteres Argument für den Fraktionszwang, welches besagt,
daß Abgeordnete der Regierungspartei den Handlungsspielraum
und die Entscheidungsmacht ihrer Regierung gefährden, wenn
sie permanent ihrem Gewissen folgten und sich somit des Öfteren
auch mal der Opposition anschlössen, kann ebenso nur bedingt
angeführt werden.
Sicher – eine Regierung muß handlungsfähig
bleiben, sonst wird das Land insgesamt instabil. Verhältnisse
wie beim barocken polnischen Seijm kann sich niemand ernsthaft
wünschen. Das wäre eine Scheindemokratie, die in eine
Diktatur der Platzhirsche mündet, der kleinen Barone und
Lokalfürsten.
Desungeachtet stehen wir felsenfest auf dem Standpunkt: der
Abgeordnete ist nicht mehr Herr seines Gewissens – das
hat er dem gesamten Volke verliehen. Dem Volke nota bene –
nicht seiner Partei oder deren Oberen.
Fraktionszwang ist der Stoff aus dem Filz gewalkt wird. Filz
und Dynamik aber schließen einander aus.