Der Prozeß Wolf gegen
be.bra –
Tragödie wie bei Aischylos
K. K. Bajun
Auf hoher See und vor
dem Gericht sind alle Menschen in Gottes Hand, sagt der Volksmund.
Ob das Gottes Hand war, die dem vorsitzenden Richter im Berliner
Landgerichtssaal 2709 die Hand beim Schreiben seines Urteils
führte, wollen wir mal dahingestellt lassen. So viel Theologie
steht uns üblen Blasphemikern, wie wir schon mal launig
von einer ansonsten wirklich fähigen Juristin genannt wurden,
bei weitem nicht zu.
Zwar sind auch Gottes Wege oft ebenso unerforschlich und rätselhaft
wie destruktiv in ihrem Effekt, das aber ist wohl das Einzige,
was sie mit dem Berliner Urteil verbindet.
Gegenstand des Richterspruchs war die Auseinandersetzung zwischen
dem Autoren der Preußen-Krimis und geistigen Urheber des
preußischen Detektivs Honore Langustier und seinem –
man muß wohl nun mit dem Ausdruck tiefsten Bedauerns sagen
– ehemaligen Verlag be.bra.
Was dem im Vorfeld vorausging – der Landbote berichtete
(Ein Detektiv wird gestohlen). Der Verleger Ulrich Hopp setzte
sich gegen die erhobenen Vorwürfe zur Wehr – auch
seine Darstellung wurde im Landboten veröffentlicht (Gestohlener
Detektiv war nur verlegt).
Für unsere Leser, die der Muße ermangeln beide Werke
nachzuschlagen, soll an dieser Stelle eine kurze Zusammenfassung
stehen:
Seit einigen Jahren schreibt Dr. Tom Wolf exzellente Preußen
Krimis voller Esprit, Charme und hintergründigen Humors,
die er vom besagten Berliner Verlag an den preußischen
Bildungsbürger bringen läßt. Es steht angesichts
der ganz extraordinairen Qualität der Werke zu hoffen,
daß beide Parteien von den Werken profitieren durften.
Nun aber begab es sich, daß der Chef des Hauses be.bra
die Palette der Reihe um ein Kochbuch zu bereichern trachtete,
dessen Umsetzung er in die Hände eines Historikers und
eines Kochs legte. Das Zugpferd der Preußen Krimis, der
erzgescheite Zweite Hofküchenmeister Friedrichs des Großen
und passionierte Detektiv Honore Langustier, sollte auch diesmal
vor den Karren des Verkaufserfolgs gespannt werden. Und so glich
man den Einband an den der einschlägig bekannten Preußen
Krimis an und setzte auf den Buchdeckel den Untertitel: Kochen
wie Langustier!
Im Verlauf der Rahmenerzählung bekam der Detektiv posthum
dann auch einen neuen Freund dazugesellt, der sich dem Erfinder
der Gestalt noch nicht vorgestellt hatte.
Nun ließ man die Geschichte einige Jahrzehnte nach Langustiers
fiktivem Tode spielen um so der Versuchung zu entgehen den Detektiv
aktiv am Geschehen teilnehmen zu lassen. Lediglich die Vielzahl
der Rezepte, die der unbedarfte Leser mutmaßlich für
die des Zweiten Hofküchenmeisters halten könnte (Haben
wir uns juristisch unanfechtbar ausgedrückt, Frau Anwältin?)
und von denen der geistige Vater Langustiers gleichfalls nichts
wußte – die druckte man ab.
Und so sah sich der Bad Homburger Urheber des elsässischen
Detektivs am preußischen Hofe vom Berliner Verleger um
sein national fixiertes Urheberrecht betrogen und beantragte
beim Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung gegen
die Auslieferung und den Verkauf des Kochbuchs, der alsbald
stattgegeben wurde.
Der Geschäftsmotor des Verlegers begann nach dessen Aussagen
zu stottern. Was Wunder – das ist ein kleiner Fünf-Mann-Betrieb.
Dem wollen wir seinen Überlebenskampf abkaufen. Von einem
Verlust im fünfstelligen Bereiche war da die Rede. Was
also tat er? Richtig: er verwahrte sich gegen die einstweilige
Verfügung und just dieser Streit wurde am 05. Juno 2007
ab 11:30 Uhr im besagten Saale 2709 des Berliner Landgerichts
verhandelt.
Sah es zunächst noch so aus, als bekenne der vorsitzende
Richter die Wahrhaftigkeit der einstweiligen Verfügung,
bahnte sich eine unverhoffte und tragische Wendung an. Des Verlegers
Geheimwaffe, eine Anwältin, um deren Dienste der blasphemische
Landbote nachsuchen wollte, wenn es ihm denn in den Sinn käme
des Teufels Großmutter wegen Eigenbedarfs aus der Hölle
zu klagen, ergriff das Wort. Donner und Doria! Die Frau hatte
ihre Hausarbeiten gemacht. Mit voller Stimme und wahrhaft ciceronischen
Beiträgen ohne äh und öh gelang es ihr das Gericht
nach und nach umzustimmen, während sie Sure um Satz aus
zwei dünnen BGH-Urteilen zitierte, die mit dem Fall Wolf
contra be.bra Ähnlichkeiten aufweisen sollten.
Was den Prozeßbeobachter des Landboten dabei irritierte,
ist der Umstand, daß er sich im Wirkungskreis des deutschen
Rechts wähnte, welches doch bekanntermaßen ein Abkömmling
des rezipierten römischen Rechts ist. Also müßte
das Abstraktionsprinzip den Vorgang der Rechtsfindung determinieren,
bei dem die Kausalkette Stück um Stück und immer hart
an den Fakten aufgerödelt wird.
Nein, es hatte den Anschein, der Verhandlungssaal hätte
einen Sprung über den Großen Teich gemacht und wäre
dem case-law des angloamerikanischen Rechtsraumes verfallen.
Vor und zurück wurden die Präzedenzfälle gewälzt,
des BGHs seinerzeitige Urteilsbegründung mit all ihren
Eventualitäten zitiert und so pu a peu begann die Anwältin
des Verlages trockenen Boden unter die Füße zu bekommen.
Dieses spürend lenkte sie feinsinnig das Thema der Verhandlung
mehr und mehr fort von dem in seinen Rechten gekränkten
Autor hin zu den wirtschaftlichen Schäden des Beklagten.
Das Gericht folgte ihr aufs klebrige Band und – blieb
haften. Totschlagsargumente wie die wirtschaftlichen Folgen
eines Kavaliersdeliktes eines fürsorgepflichtigen Arbeitgebers
sind beliebt noch immerdar…
Ihrer Sache noch nicht zur Gänze sicher, folgte die Frau
Anwältin einer Einladung des Gerichtes, in einer Verhandlungspause
mit dem Anwalt des Klägers die Möglichkeiten eines
Vergleiches auszuloten. Wie gesagt, sie war sich noch nicht
zu Hundert Prozent sicher, erzählte gar was von „fifty-fifty“-Chancen
beider Parteien – was sie aber anbot, läßt
darauf schließen, daß sie fünf von sechs Kammern
ihres 86ers mit scharfer Munition gefüllt wähnte.
So legte sie denn eine Art Versailler Vertrag im Miniatur-Format
als Verhandlungsbasis vor. Das hörte sich etwa so an: Du
Autor erklärst Dich zum Verzicht auf Deine Rechte aus der
einstweiligen Verfügung bereit und wir verkaufen das umstrittene
Buch weiter. Nach eins, zwei Jahren, wenn die Verkaufszahlen
vorliegen, setzen wir uns noch mal zusammen und überlegen,
ob und wieviel wir Dir im Rahmen, sagen wir mal zwischen ein
und zwei Prozent Beteiligung anbieten. Unausgesprochen im Raume
aber stand die weiterhin damoklesschwertartige Drohung mit den
Regressforderungen des Verlages in Bezug auf den entstandenen
wirtschaftlichen Schaden. Das Werk, so Verleger Hopp, sei für
den Markt definitiv gestorben. Unabhängig davon, ob der
Kunde es ablehnte oder es wie hier durch ein gerichtliches Verfahren
aus dem Buchhandel gezogen worden sei – der Weg zurück
ins Sortiment sei für alle Zeiten versiegelt, versperrt
und verschlossen.
Hmm.
Wir wollen die kleine Denkpause zu einem hypothetischen Rechenexempel
nutzen. Sagen wir, das Buch wäre zu einem Stückpreis
von € 10,- in einer Auflage von 20.000 erschienen. Macht
in Summa € 200.000,-, vorrausgesetzt, wirklich alles wird
verkauft. Davon müssen Autoren, Verlags-, Werbungs-, Hersteller-
Vertriebs- und Buchhändlerkosten, das Finanzamt und vielleicht
noch einiges mehr bezahlt werden. Lassen Sie uns die Herstellung
des Gesamtbestandes € 50.000,- gekostet haben. Nehmen wir
€ 100.000,- zur Grundlage für eine großzügige
Abfindung des Autors in Höhe von 1% bei 50% verkauften
Exemplaren, dann bekommt Herr Dr. Wolf von Herrn Verleger Hopp
€ 1.000,- vor Steuer. Während Herr Hopp also die beiden
500er überreicht, hält er die andere Hand seines ehemaligen
Autoren fest und sagt: „Lieber Herr Dr. Wolf! Ich bekäme
dann noch von Ihnen einen Ersatz für den Schaden von 10.000
nicht verkauften Büchern. Macht € 100.000,-, abzüglich
Ihrer € 1.000,-. Ich sehe Ihrer Zahlung von € 99.000
in den nächsten vierzehn Tagen entgegen. Bei gutem Zinsfuß
auch gern in Raten.“ Soweit unser kleines Gedankenspiel
mit frei und willkürlich gewählten Zahlen, die natürlich
weit, weit von der Realität entfernt sein können.
(Zufrieden, Frau Anwältin?)
Irgendwo war es uns zumindest verständlich, daß die
Wolfsche Seite sich diesem von der be.bra’schen Partei
initiierten „Vergleich“, dessen Punkte an keiner
Ecke verhandelbar waren, verschloß.
Warum das schöne Wort „Vergleich“ in Tüttelchen
steht? Nun, wir hätten lieber von einem Strangulationsdiktat
gesprochen – aber wir werden uns hüten! Soll nicht
heißen, wir verstünden die desolate Lage eines kleinen
Verlagshauses nicht, für den Fünfzig Riesen eben keine
Peanuts sind. Aber wir können uns ja schließlich
nicht zerreißen – so gespalten sind wir denn doch
nicht, nicht wahr!
Um so schockierender war dann die Verkündung des Urteils.
Im ersten Moment möchte man meinen, im Hause be.bra hätten
die Sektkorken geknallt. Da wir aber in Herrn Ulrich Hopp einen
honetten Mann sehen, dessen Worte nicht in Zweifel zu ziehen
sind, so schafft das Urteil seinem Hause keineswegs die lebensrettende
Erleichterung. Das Geschäft mit den Kochbüchern ist
futsch. Herr Hopp hat keine Reserven. Die kleine „Bismarck“
namens be.bra stampft vom Kreuzer HMS „Wolf“ schwer
am Ruder getroffen in der wütenden Buchmarkt-Biskaya dahin,
nur noch auf den Fangschuß der Konkurrenz wartend.
Glauben Sie es ruhig, der Landbote wäre das allerletzte
Presseorgan Preußens, das den Untergang dieses Hauses
bejubeln wurde. Dazu schätzten wir es viel zu sehr. Wem
nun aber nutzt dann dieses Urteil? Qui bono, hä? Das ist
doch die universelle Kernfrage allen menschlichen Agierens!
Der Kreuzer HMS „Wolf“ gehört ebenfalls nicht
der Hoodklasse an. Will heißen, ob ihm nun die Gesamtschadensforderung
von einem Gerichtsurteil legitimiert in einem Stück oder
auf Raten präsentiert wird – völlig egal –
das Geld sieht der Verleger nie. Keinen Pfennig. Müßte
er wissen, denn schließlich hatte er ja jahrelang seinem
besten Autoren die Brötchen auf den Tisch gestellt. Ein
Pyrrhus-Sieg? Sieht ganz so aus.
Das Gericht selbst lieh sich die Figur des Tolstoi’schen
Bärchens, das in bester Absicht seinem schlafenden Herrchen
eine Fliege auf der Nase totschlagen wollte. Wir kennen das
traurige Ende: Fliege futsch, Herrchen auch futsch! Na prima!
Doch das angeblich blinde, schwert- und waagebehaftete Bärchen
hat noch mehr Schaden angerichtet: Mit seiner großzügigen
Auslegung, daß geistiges Eigentum in Form von literarischen
Figuren nur dann urheberrechtlich geschützt seien, wenn
sie in voller Montur und umgeben von ihrem ganzen Beziehungsgeflecht
zitiert würden und der Aneigner gleichsam eine Fortschreibung
der Geschichte betreibe, öffnet die Büchse der Pandora
ein zweites Mal.
Wir hätten nicht übel Lust den Versuch aufs Exempel
zu machen und tatsächlich ein Buch mit dem Untertitel „Zaubern
wie Harry Potter“ herauszubringen. Da ja, wie uns die
gut präparierte Frau Anwältin so anschaulich vorführte,
Präzedenzen nicht dazu da sind kritisch in Frage gestellt,
sondern vielmehr unangefochten übernommen zu werden, (O
Heiliger Ptolemäus, kreiset die Sonne noch immer über
unseren Häuptern…?) könnte das Landgericht Berlin
für uns zum Goldesel werden. Ade und über Bord mit
klarem Rechtsverständnis! Fort mit unbestechlicher Analyse
vorliegender Fakten, die da fragt: Zu welchem Zweck wurde Langustiers
Name in den Untertitel integriert?!
Apage Satanas! Zu wahrem Heil führt uns nur die Erkenntnis,
daß Klaus-Peter und das Bärbele vom BGH, oder wie
die Vornamen der obersten Rechtsfinder immer lauten mögen,
in ähnlicher Situation sich schon mal so und so geäußert
haben. Das möge nun so bleiben bis zum Verlöschen
der Sterne! Warum folgen wir eigentlich nicht mehr den Texten
auf Hammurabis Stele? Warum liegt der Schönfelder statt
Eike von Repgows Sachsenspiegel auf dem Richtertisch?
Nun gut. Das sind müßige Fragen. Viel zu müßig
für all die frohgemuten Trittbrettfahrer, die sich nach
Bekanntwerden dieses Urteils vor Freude besaufen werden. Der
einzige klare Gedanke vor dem Delirium wird noch der Bestellung
des neuen Cabrios gelten, das ihnen nunmehr ohne große
Mühen sicher ist. Die einen denken – die anderen
kassieren. Das sei nun Parole! Das muß aufs Panier!
Der weitaus unkomischste Treppenwitz aber wäre, wenn das
Urteil zugunsten des gebeutelten be.bra Verlages diesem nun
selbst auf die Füße fallen würde; wenn sich
das entfesselte Pandämonium nun auch an das bislang sicher
verwahrt geglaubte geistige Eigentum der Verlagswerke macht.
Es wird den Verleger nicht trösten, wenn ihm die Diebe
scheinheilig grinsend mit Verweis auf das Urteil des LG Berlin
vom 05. Juno 2007 erklären, Sie hätten ja schließlich
nur Bezug auf jenes geistige Eigentum genommen.
Zwei Parteien, denen der Landbote aufgrund Ihrer erstklassigen
Erzeugnisse sehr verbunden ist, zerschmettert am Boden…
Das gibt Stoff für eine klassische Tragödie.
Ja, genau: Landbote Zehntes Volumen: Tragödien schreiben
wie Aischylos! Jetzt können wir, auch wenn wir’s
nicht können – weil uns nämlich das Format des
Alten aus Eleusis vorn und hinten fehlt. Aber wen interessiert
das schon?
Urteilsbegründung
des Landgerichts Berlin vom 05.06.2007 (pdf)