Frau Bundeskanzlerin im Reich der
Mitte
B.
St. Fjøllfross
Als Admiral Zheng He (sprich: Dschöng Hö) 1433 von
der siebten und damit letzten seiner gewaltigen Erkundungs-,
diplomatischen und Handelsreisen zurückkehrte, war das
Fundament für Chinas Weltherrschaft definitiv gelegt. Damals
schon eine Supermacht in Asien, hochentwickelt und bevölkerungsreich,
hatte China alle Optionen offen, zur führenden Nation in
der Welt zu werden. Doch es sollte anders kommen. Zheng He’s
Kaiser Xuande starb, nach ihm bestiegen weniger visionäre
oder mit größeren innenpolitischen Schwierigkeiten
behaftete Kaiser den Drachen-Thron und China begann sich zu
verkapseln. Das war ein Kardinalfehler, den die Chinesen hätten
bemerken müssen, wenn sie auf ihren großen Lehrer
Konfuzius gehört hätten: Wer aufhört gegen den
Strom anzuschwimmen, treibt unweigerlich zurück. Als nun
die Chinesen ein halbes Jahrtausend im eigenen Sud von Arroganz,
Prunk, Abgehobenheit und Größenwahn vergammelt waren,
kamen die europäischen Barbaren, die großfüßigen
Winzlinge, vor allen anderen die Engländer und die Deutschen
und zeigten der einstigen Kulturnation, die zwischenzeitlich
im Mittelalter hängen geblieben war, wo der Hase lang lief.
Das war eine schlimme Demütigung für das Reich der
Mitte. Das war noch übler als die Mandschu-Herrschaft.
Das war der Tiefpunkt der Erniedrigung. Im Zweiten Weltkrieg
machten noch die Japaner den Chinesen klar, wer auf welcher
Entwicklungsstufe stand. Die einst stolzen Chinesen degenerierten
zu einem Volk von Kulis. Dann kam der Bauernsohn Mao Tse Tung
und rottete mit seiner despotischen Idiotie um die vierzig Millionen
Landsleute aus und brüstete sich gar, 100 mal mehr Gelehrte
lebendig begraben zu haben als der Qin-Kaiser Shih Huang-ti,
nämlich 46.000! Das Land drohte in großen Teilen
vom Mittelalter in den Feudalismus zurückzukippen.
Doch irgendwann besann sich das Reich der Mitte – Kommunismus
hin oder her – und führte den Turbo-Kapitalismus
ein. Der Name und das Programm der kommunistischen Partei waren
nurmehr ein faules Etikett für eine Führungselite,
die dem Land den gerechtfertigten und längst fälligen
Schubs in Richtung Fortschritt brachten.
Nun ist aber an der Sache ein nicht unbedeutender Haken: So
wie Geologen mutmaßen, daß der überdimensionale
Drei-Schluchten-Staudamm des Yangtse-Kiang die Erdrotation verändern
könne, so wird das Emporschießen der chinesischen
Wirtschaftsnation ein globales Beben auslösen, das die
Grenzen der ökonomischen und ökologischen Belastbarkeit
unseres Planeten auf eine ernste Probe stellen wird. Die chinesische
Nation ist ein Gigant von unvorstellbaren Ausmaßen, dem
es gelingen wird den Rest der verfügbaren fossilen Brennstoffe
und der Rohstoffe in Nullkommanichts aufzusaugen und zu verbrauchen.
Wie man die Welt dann unter dem beinahe völligen Fehlen
von Alternativen zur Energieentwicklung weiterbewohnen soll,
wie man die wirtschaftlichen Standards weiterhalten soll, wenn
Eisen, Aluminium und Kupfer mit Gold aufgewogen werden, das
gehört zu den Fragen der Zukunft, über deren Auswirkungen
man nur hinter vorgehaltener Hand oder am besten gar nicht spricht.
Uns dünkt es so zu sein, daß einzig die Australneger,
die Buschmänner, die Lappen, die sibirischen Tschuktschen,
die Dschungelindianer und andere angeblich primitiv lebende
Völker beim großen Kollaps der Weltwirtschaft die
Nase vorn haben werden, wenn…, ja, wenn sie nicht in den
Strudel der letzten großen Verteilungskämpfe hineingezogen
werden.
Wie dem auch sei – mit fünfhundertjähriger Verspätung
hat sich der Koloß China nunmehr aufgemacht, die alten
Versäumnisse aufzuholen.
Die deutsche Frau Bundeskanzlerin weilt in den letzten Augusttagen
des Jahres 2007 in China und hat mit der Führung des Anderthalbmilliarden-Volkes
einiges zu besprechen. Da wären zum Beispiel die Menschenrechte,
deren Beachtung durch die chinesische Führung Frau Bundeskanzlerin
anmahnt. Muß sie tun, obgleich diese ausgesprochen kluge
Frau sicherlich weiß, wie blödsinnig das ist. China
tickt seit Jahrtausenden nach anderen sozialen Werten; seit
einer Zeit, als die Europäer gerade mal begannen, an einer
Kultur zu basteln, geschweige denn an einem Ethos. Diesem Volk
die Einhaltung von Menschenrechten abzuverlangen, die dem christlich-abendländischen
Wertekanon entlehnt sind, ist nicht nur paradox, es ist eine
versteckte Forderung neokolonialer, westlicher Arroganz. Wie
gesagt, die Führungseliten Deutschlands und Westeuropas
werden das wissen. Nicht aber diejenigen, die in Europa die
Massen bilden und die doch etwas Schönes fürs Gemüt
erwarten.
Des weiteren soll die Produktpiraterie eingedämmt werden.
Man lächelt still in der Redaktion des Landboten. Paßt
mal auf, ihr Milliarden-geschädigten Originalhersteller
in Europa und Amerika: Es wird nicht lange dauern, da werden
die Chinesen euch als die kleinen, rebellischen und zänkischen
Produktpiraten am Westrand Chinas ansprechen. Recht hat, wer
die Macht hat. Recht hat im Allgemeinen, wer in der Überzahl
ist. Und das gilt, solange eine gewisse Menschenmasse die Macht
hat oder in der Überzahl ist. Das mag euch schmecken oder
nicht - ihr solltet euch beizeiten den Luxus eines gesunden
Pragmatismus leisten und die Dinge einfach so sehen, wie sie
sind.
Der interessanteste Teil des Abmahnungskataloges aber betrifft
den Fingerzeig der Frau Kanzlerin in Richtung ökologischer
Verträglichkeit des chinesischen Wirtschaftsbooms. Die
Herren Wen Jiabao und Hu Jintao lächeln asiatisch-hintergründig
und verweisen auf Chinas Recht, endlich auch an der Weltwohlstands-Tafel
speisen zu dürfen. Wenn man das den armen Teufeln in Schwarzafrika
verwehren könne, nun ja. Wenn man denen nach neokolonialistischer
Manier Vorschriften machen könne und mit ihnen umspringe,
daß einem die Tränen kommen – apropos Menschenrechte,
nicht wahr? – das ist alles sehr bedauerlich. Hier aber
hat man es mit China zu tun. Hier spricht eine Deutsche mit
sechzehn Chinesen. Eine einsame Stimme gegen ein Klassenzimmer.
Na ja, noch hört man wenigstens höflich zu in China,
denn die Eine weiß wenigstens eine halbe Milliarde Europäer
hinter sich. Und rechnet man die übrigen westlichen geprägten
Staaten hinzu, dann wird’s noch einmal eine Milliarde
und dann kann man dem Titanen vom Yang-tse schon mal Paroli
bieten. Wenn man den mit einer Stimme spräche. Tut man
aber nicht. Jeder von den Anderthalbmilliarden „Christen“
will für sich die besten Geschäfte mit dem Roten Trumm
machen. Das dividiert die Abendländischen ganz gut auseinander
und das weiß man auch in der Verbotenen Stadt. Also hört
man höflich zu – und das war’s dann auch.
Wenigstens wird die Frau Bundeskanzlerin ein paar kleinere Wirtschaftsverträge,
schöne Eindrücke von Land und Leuten und eine Desillusionierung
mehr – wenn es denn je eine für sie war – mit
nach Hause nehmen. Wieder einmal viel Sprit mit der Luftwaffe
Nr. 1 verpulvert: Erst auf dem Flug nach Grönland, um sich
von der katastrophalen Entwicklung der globalen Umweltschädigung
augenscheinlich zu überzeugen und dann nach Peking, um
den Mandarinen lauter unnützes Zeug zu erzählen. Soviel
zur deutschen Umweltpolitik. Aber wir haben’s ja. Noch
jedenfalls.
Was China anlangt: Auch dieses neue Riesenreich wird nicht ewig
halten. Die Tibetaner mögen sich schon mal auf ihre Freiheit
freuen. Die Geschichte lehrt, daß solch riesigen Gebilde
nicht dauerhaft als Ganzes regierbar sind und alsbald auseinanderfallen.
Sollen sie im Potala-Palast einen Rechenschieber zur Hand nehmen
und die Mittelzunge auf den Eulerschen- oder biologischen Logarithmus
einstellen! Dann bekommen sie einen ganz guten Näherungswert,
wann der Aggressor von 1959 kollabiert. Auch die Tibetaner dürften
aufgrund ihrer sehr angepaßten und einfachen Lebensweise
zu den Profiteuren dessen gehören, was nach diesem Kollaps
kommt. Wir nicht. Uns wird es mit hinabziehen in den Malstrom
einer untergehenden Welt, die von so blutigen und gräßlichen
Verteilungskämpfen zerrissen werden wird, daß die
Kriege des zwanzigsten Jahrhunderts dagegen erscheinen werden,
wie kleine Scharmützel.
Vorrausgesetzt natürlich, es geht dabei nicht die gesamte
Weltbevölkerung zugrunde.
Für uns heißt das im Klartext, wir sollten schon
mal das Auto stehen lassen, den Kühlschrank abschalten,
und bei den Naturvölkern oder bei Rüdiger Nehberg
das Überleben unter einfachsten und härtesten Bedingungen
erlernen. Das wäre besser angelegte Zeit als ins Reich
der Mitte zu gondeln um den sich leider im Recht befindlichen
Totengräbern der Weltbevölkerung bei ihrem zweiten
Frühling zuzusehen, der für uns alle mit Sicherheit
im atomaren Winter enden wird.
Das aber sei den Nachfahren der ehemaligen Kolonialherren ins
Stammbuch geschrieben: Für alles in der Welt zahlt man
einen Preis! Und wenn man nicht selber zahlt, dann doch die
Enkel oder Urenkel. So haben die Chinesen für ihren Isolationismus
mit einer barbarischen Rückständigkeit und nicht enden
wollenden Demütigungen bezahlt. Und so zahlen jetzt wir,
daß wir die Chinesen noch anfangs des letzten Jahrhunderts
als gelbe Affen diffamierten. Aus jeder Demütigung erwachsen
Minderwertigkeitskomplexe. Und aus jedem Minderwertigkeitskomplex
erwächst der starke Drang nach Kompensation, nach Korrektur,
nach Revision, nach Rache. Der deutsche Michel konnte seit dem
Dreißigjährigen Kriege ein schauerlich Liedlein davon
singen. Begleitet wurde dieser Furien-Gesang vom höchst
unmelodischen Pfeifen von Schrapnellen und Granaten währende
des Ersten -, vom Jaulen der Stukas und der Stalinorgeln während
des Zweiten Weltkrieges. China wird ganz friedlich den Rest
der Welt an Energie und Rohstoffen leer saugen, solange es noch
etwas zu saugen gibt. Erst dann wird es krachen. Und wenn das
noch zwanzig Jahre währt, währt’s lang. Bis
dahin laßt uns noch ein wenig um die heile Welt reisen
und von universalen Menschenrechten träumen. Gute Nacht!