Machtwechsel
in Rußland
K. K. Bajun
Der deutsche Herr Bundesaußenminister
ist schon ein Herzchen. Oder ein mit allen diplomatischen Wassern
gewaschener Fuchs. Oder ein knallharter Pragmatiker. Oder von
allem ein bißchen.
Während er mit Herrn Medvedjew, dem amtierenden Aufsichtsrats-Chef
des russischen Energie-Giganten Gasprom, gemeinsam einen symbolischen
Knopf niederdrückt, der die Förderung im gewaltigen
Erdgasfeld Juschno-Russkoje in Nordwest-Sibirien anlaufen läßt,
verkündet er, das zu erwartenden Machtgeschiebe im Kreml
wäre ein Zeichen für Kontinuität und Stabilität.
Das schauen wir uns mal genauer an! Zunächst einmal wissen
wir, daß tief unter dem Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen
etwa 805 Milliarden Kubikmeter Erdgas und fünfeinhalb Millionen
Tonnen Erdöl lagern. Nur nebenbei, um etwaigen erstaunten
Fragen vorzugreifen: Dieser Autonome Kreis ist, wie der Name
schon sagt, ein Kreis und keine Sphäre. Das heißt,
wir sprechen hier um zweidimensionale, an die Erdoberfläche
gebundene Autonomie. Von dem, was da unter ihren Füßen
liegt, werden die Jamal-Nenzen sicher keinen roten Heller sehen,
geschweige, daß sie irgendeine Mitsprache bezüglich
der Förderung hätten. Aber das sind müßige
Grillen, nicht wahr. Jedenfalls für Kenner Rußlands.
Man wird Herrn Steinmeier davon unterrichtet haben, daß
mit den Erdgasreserven unter den jamal-nenzischen Rentierhufen
der bundesrepublikanische Erdgasbedarf der nächsten anderthalb
Jahrzehnte gedeckt wäre, wenn denn die Beziehungen zwischen
Moskau und Berlin weiterhin so herzlich bleiben. (Nicht die
zwischen Salechard* und Berlin, Sie kleiner Schelm, Sie!)
Vergessen die Zeiten als sich Rote Armee und Deutsche Wehrmacht
zähnefletschend gegenüberstanden und es zumindest
den Entsendern letztgenannter Truppe auch um nichts anderes
ging als ebenjene Rohstoffe und Energieträger. Na ja, den
slawischen Lebensraum hatte man so nebenbei auch noch im Sinne.
Und daß diese üble Zeit nicht mehr so eklatant in
die Tagespolitik hineinzuwirken scheint, ist schon sehr begrüßenswert.
Über alles, alles streicht der Dollar mit lindernder Hand,
heilt selbst die tiefsten Wunden, die sich Menschen gegenseitig
schlugen. Der Name des Dollars sei gepriesen immerdar!
Kein Krach mehr zwischen dem russischen Bärchen und dem
teutschen Aar! Ganz im Gegenteil. Seit den Präsidialzeiten
der Zaren Michail Gorbatschow, Boris Jelzin und nun Wladimir
Putin fand man zum traditionellen deutsch-russischen Schulterschluß
zurück, der dem Preußischen Landboten im Übrigen
auch recht natürlich dünkt.
Sicher, es gab zwischenzeitlich einige Verstimmungen, wie anläßlich
der leidigen Tschetschenien-Geschichte und der Vorgehensweise
der Russen gegen ihre inneren, äußeren und angenommenen
Feinde. Mein Gott, mein Vater...! Das ist Rußland und
nicht der verzärtelte Westen. Die gehen anders mit den
Leuten und den Dingen um und wenn man nicht gerade das Pech
hat, zwischen die Fronten zu geraten, dann ergibt die harte
Hand des Dritten Rom sogar einen nachvollziehbaren Sinn. Dort
herrschen andere Regeln und der Westen soll doch um Christi
Willen mit dem an Krokodilstränen so gesättigten Gejammer
aufhören. Dem Westen und seinen Dollars zuliebe hat sich
Mütterchen Rußland sogar ein schneeweißes Mäntelchen
zugelegt, auf dem deutlich das Wort „Demokratie“
zu lesen ist. Und anfangs leuchtete der weiße Pelz auch
porentief rein. Alle, bis auf die Russen und ihre Kenner waren
begeistert. Heute fallen nur noch Ignoranten und Hohlköpfe
auf diesen Mumpitz rein.
Rußland wird vom Zaren und seinen Bojaren, wahlweise vom
Präsidenten und seinen Oligarchen regiert – daran
beißt die Maus keinen Faden ab. Das ist die Jahrhunderte
währende Kontinuität – die Herr Steinmeier so
bejubelt. Herr Putin hat seine nach Recht und Gesetz limitierten
Amtszeiten erschöpft. Wer da aber hofft, jetzt könne
per Duma-Wahl eine Veränderung erzielt werden, der mag
sich auf seinem westlichen Diwan umdrehen und weiterträumen.
Herrn Putins Intimus ist obgemeldeter Herr Medvedjew von der
Gasprom. Dieser wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
der nächste russische Präsident von Gottes und vor
allem Herrn Putins Gnaden. Herr Putin selbst wird Regierungschef
und weiter geht’s. Das zu prophezeien bedarf es keiner
Sehergabe. Das Schwergewicht der Macht wird sich zwar etwas
vom Präsidentensessel hin zum Sessel des Ministerpräsidenten
verlagern, aber wen stört das schon? Ob das Mäntelchen
links herum oder rechts herum getragen wird, Hauptsache es hält
Mütterchen Rußland und den kleinen Deutschen Michel
schön warm in den nächsten fünfzehn Jahren.
Wie man im Kreml um die Macht ringt, soll uns an dieser Stelle
nicht weiter interessieren. Wir haben eine Ahnung davon und
das ist schon weitaus mehr, als 99% der europäischen Bevölkerung
behaupten könnte. Was uns amüsiert, ist die treuherzige,
eingangs zitierte Bemerkung unseres in Sachen Demokratie und
Menschenrechte so eifrig reisenden Herrn Außenministers.
Dieser wirklich kluge Mann ist den 99% nämlich bei weitem
nicht zuzurechnen! Der weiß, wie es hinter dem Spasskij-Turm
zugeht. Aber wenn es sich darum dreht, daß Michel nicht
der Winterkälte wegen in den nächsten Jahren den deutschen
Rest-Waldbestand abholzen muß, sondern statt dessen schön
in seiner gasbeheizten Wohnung hocken und fernsehen kann, dann
trällert man schon mal das Hohelied auf die Kontinuität,
auch wenn diese eine Perpetuierung ebenso zweifelhaft erworbener
wie behaupteter Macht bedeutet, statt die Hymne der echten Demokratie
zu blasen. Was sind schon ein paar heimtückisch ermordete
russische Enthüllungsjournalisten, die mutig ihr Leben
für eine echte russische Demokratie wagten? Was ist schon
ein mit Plutonium zu Pluto beförderter russischer Ex-Agent,
der sich beim Zaren unbeliebt gemacht hat und darob in Ungnade
gefallen ist? Ich sag’s Ihnen: Nichts! Nichts im Vergleich
mit einer gutgeheizten Wohnung für den braven deutschen
Michel, dem an der Tankstelle die amerikanischen und arabischen
Ölmultis den Spaß an der Spaßgesellschaft eh
schon bis zur Unerträglichkeit verdrießen.
Wir verstehen es. Zumindest ich, der ich ja auch ein durchaus
korrupter Sibirjake bin, welcher über solch vorgetragene
Bigotterie nur hämisch grinsen kann. Rußland ist
groß, der Zar ist weit und Herr Steinmeier wird kein Wässerchen
der Moskwa trüben. Das ist nett von ihm.
Wenn jetzt noch die Glocken von der Christus-Erlöser-Kathedrale
herüberklängen und die Sonne über der Moskwa
versänke, zum Brummen der Donkosaken und wodkatrunkenen
Johlen der deutschen Touristen – dann könnte es ein
richtig romantischer Abend werden – inmitten der gelobten,
russischen Kontinuität!
* Salechard die
Hauptstadt des Autonomen Kreises der Jamal-Nenzen.