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Deutsche Polizei
auf Deutschen Autobahnen

Don M. Barbagrigia
Peter und Immanuel sind Autobahnpolizisten irgendwo im Westen Deutschlands. Woher ich das weiß? Das Fernsehen, n-tv nämlich, ein sonst sehr achtbarer und seriöser Sender, begleitet die beiden bei ihrer Arbeit. Da haben die Fernsehfritzen eine neue, lukrative Marktlücke entdeckt, die reichhaltige Einnahmen aus den zwischengeschalteten Werbeblöcken verspricht. Das ganze läßt sich auch so herrlich scheinheilig verkaufen. Zunächst einmal liegt ja die Motivation der allermeisten Zuschauer im übermächtigen Prinzip der Schadenfreude. Sie rasen wie die Blöden ohne zu wissen warum, wurden selbst schon angehalten und abgestraft und jetzt ist es einfach herrlich vor der Glotze zuzusehen, wie es mal die anderen erwischt. Das ist ein Grundbedürfnis des Publikums, eine Goldader auf welche die Formatentwickler des Fernsehens da gestoßen sind. Wie oft gellt denn täglich das gequälte, nach Erlösung hechelnde Gejaule durch die deutschen Gauen: „Warum passiert so was immer mir?“
Nun könnten sich die Klagenden und Jammernden diese Frage mit einem Mindestmaß an Objektivität sich selbst gegenüber sehr wohl, sehr rasch und sehr effektiv beantworten. Aber dazu sind sie zu doof oder zu feige oder beides zusammen. Nein, dieser Trost wäre auch gar nicht erwünscht. Red’ ihnen ins Gewissen und sie werden bockig, verstockt, verbiestert. „Nu erst recht! Wollen doch mal sehen, wer hier den längsten Atem hat…!“
Übrigens, die den Staat vertretende Polizei hat!
Nein, sie wollen einen anderen Trost: Dem Nachbarn, dem Anderen soll es genauso gehen. Und sie wollen dabei zusehen. Sie wollen nicht aus dem Höllenkessel mit dem siedend heißen Öl hinaus, sie wollen, das der andere auch da rein muß. Sie wollen gemeinsam leiden. Oh, menschlicher Schwachsinn – welche Grenze überrennst du noch! Und dann ist noch ein gewisser Vorteil nach Punkten auszumachen: Der Nachbar, der Andere, der öffentlich-rechtstaatlich Gefilmte hat sie in ihrer eigenen schweren Stunde nämlich nicht gesehen. Wenigstens die Anonymität blieb ihnen. Er sitzt am Pranger. Ällerbätsch und Zunge raus!
Dem Fernsehen bringt es Einschaltquoten und Werbeeinnahmen. Das sagten wir schon. Und die Polizei geht auch nicht ganz leer aus. Die vielleicht meistgehaßte Berufsgruppe Deutschlands kann ihr ramponiertes Image ein wenig aufpolieren. Wenn sie den Anderen abkassieren, belehren, schulmeistern, dastehen lassen wie einen Trottel, dann sind sie dem Rest der Nation sogar einen Augenblick lang sympathisch. Selbst die Opfer können noch profitieren, indem sie bundesweit ihrem Ärger Luft machen dürfen und so manchem Zuschauer dabei heimlich aus der Seele brüllen.
Die perfekte Sendung eben…
Ich sehe sie selten. Dem ganzen Quatsch läßt sich für mich nichts abgewinnen. Ich bin Preuße und fahre gesetzestreu – den Nachfahren der Büttel liefere ich wenig Berührungspunkte. Schadenfreude ist mir widerlich und Gegreine über selbstverschuldetes Elend ödet mich an.
Nun aber sehe ich Peter und Immanuel, während ich meine Hemden bügele. Die beiden Häscher rauschen heiß wie die Bluthunde voller Beutegier an einem kirgisischen LKW vorbei. Der kommt aus dem Osten, aus den unendlichen Weiten, wo, wie wir von unseren kriegserfahrenen Großvätern wissen, die Untermenschen auf einer aberwitzig niedrigen Stufe der Zivilisation hausen. 1939 sind wir schon einmal mit fröhlichem Marschgesang aufgebrochen um den Halbaffen aus der Steppe mal zu demonstrieren, wer hier das kulturell erworbene Lebensrecht hat und wer nicht. Nebenbei wollten wir auch noch ein bißchen ihre Rohstoffe und andere natürliche Ressourcen bergen, mit denen das Gesindel sowieso nichts anfangen kann. Na gut, das ganze ging schief. Die Untermenschen haben uns zurückgeschlagen und uns gezeigt wo der Hammer hängt. Das heißt aber noch lange nicht, daß wir unsere Ansicht über die Erdhöhlenbewohner deshalb korrigieren müßten. Dazu sind wir großdeutsch – demokratisch gewendeten Welterlöser doch Gottlob viel zu arrogant und piefig.
Da kommt also der Kirgise mit seinem Schrotthaufen angeschüsselt und droht mit dem nächsten Massaker auf den Deutschen Reichsautobahnen. Na dem werden wir mal…! Kelle raus! Anhalten! Selbst die Kamera des n-tv – Reporters beginnt zu geifern.
Plötzlich baffes Erstaunen! Wo isser denn? Ja, wo isser denn? Abgebogen isser, der Lump, der Strolch. Will sich der deutschen Staatsmacht durch feige Flucht entziehen, die rollende Bombe, dieser potentielle Selbstmordattentäter. Na, aber so nicht mit uns! Jetzt beginnt das Polizistenblut zu kochen! Wenn sie was nicht vertragen, dann Unbotmäßigkeit. Sie, die Erzieher der Nation, die schon seinerzeit den Prügelpersern gegen das eigene Volk beistehen durften. Die kann keiner – und dafür stehen sie ein!
Ach, sie möchten doch eigentlich so schön leutselig sein, die Herren Uniformierten. Man muß doch nur bescheiden und demütig den Schwanz zwischen die Beine klemmen und die Ohren anlegen, wenn man sie reumütig anspricht.
Aber fliehen, sich wehren… Na warte mal, Freundchen!
Und sie kriegen ihn. Hat ja auch kein Zweck ihnen mit einem 40-Tonner auskommen zu wollen. Da steht er nun, der Kirgise, der freche Bettler mit seinem rollenden Schrotthaufen.
Motor aus! Der Kirgise versteht nicht. Motor aus!!! Peter der Große springt wie einst King Kong auf das Empire State in die Fahrerkabine und killt die Maschine.
Verängstigt greift sich der Kirgise die Frachtpapiere. Das wird doch wohl bloß eine Ladungskontrolle sein…? Er muß raus. Und jetzt zeigt ihm der Herrenmensch das Sinnbild der Überlegenheit abendländisch-kolonialistischer Hochkultur: DIE BELEUCHTETE POLIZEIKELLE!
„Das ist eine Kelle. EINE KELLE! So was habt ihr in Rußland nicht, was?“ Der Kirgise stammelt. Er versteht nicht. Nein, so etwas kennt er wirklich nicht. Wie auch? Schließlich kommt er aus der Untermenschen-Steppe. Kamele hält man nicht mit Kellen an.
Währenddessen prüft der, „mit dem Gott ist“, oder auch auf hebräisch „Immanuel“ geheißen, die Bremsen des Schrotthaufens. Alle kalt.
He, wachen Sie auf! Haben sie das eben realisiert: ALLE KALT!!! 22°C mißt das Thermometer. Das entspricht exakt der Außentemperatur. Deutschland freut sich auf eine standrechtliche Erschießung eines Kameltreibers im deutschen Straßengraben. „Gerda, mach mir mal noch’n Bier klar! Und mir noch’n Kurzen dazu!“ Die Blondbezopfte springt mit wogenden, deutschen Brüsten dem Tresen entgegen… Ja, ja – Rache ist süß. Und wie erst bei einem kühlen Bier genossen!
Doch im ehemaligen Volke der Dichter und vor allem Denker gibt es noch ein paar Rudimente des Geistes, die da vorsichtig einzuwenden wagen: Aber der LKW steht doch. Der hat doch angehalten. Bißchen spät zwar, aber der steht. „Halt dein Maul!“
Aber zu spät! Zu spät: Immanuel muß das auch aufgefallen sein. Ja, wie jetzt? Also nuschelt Immanuel irgend etwas Unverständliches von einem zweiten, möglicherweise elektrischen Bremskreislauf, und das alles in Ordnung sei. Überhaupt ist der ganze Schrotthaufen des Kirgisen völlig in Ordnung. Das gibt’s doch nicht! Das darf doch wohl nicht wahr sein! Das ist ja noch schlimmer, als wenn er bei den ihm vorschriftsmäßig unterstellten Verbrechen ertappt worden wäre. So aber macht er sich schuldig des vorsätzlichen Betruges am untrüglichen Riecher der deutschen Polizei und am festgefügten Weltbild des deutschen Fernsehzuschauers. Das ist ein Angriff auf unsere Weltordnung! Das dürfen wir uns nicht bieten lassen. Michel, zu den Waffen! Greif den Spieß, wackerer Spießbürger!
Aber Peter ist ebenso konsterniert, lächelt milde und leise vor sich hin und entschuldigt das Übersehen der TEUTONISCHEN KELLE, der auf dem Fuße die TEUTONISCHE KEULE hatte folgen sollen, mit der ausgedünnten und unterentwickelten Zivilisation nahe der chinesischen Grenze. Ach Gottchen, wäre das doch die deutsch-chinesische Grenze geworden… Aber lassen wir das Träumen und befassen wir uns wieder mit der unerträglichen Realität: Peter verzichtet sogar, den Kirgisen wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt in den Würgegriff zu nehmen. Zu sehr erledigt ihn das, was er gerade erleben mußte. Ein vorschriftsmäßiger LKW aus der Steppe. Nein, das geht zu weit!
Einen Augenblick lang mußte ich daran denken, wie es vor zweiundsechzig Jahre war, als der Großvater des Kirgisen die Großväter von Peter und Immanuel aus Mütterchen Rußland hinausgeprügelt hatte, wie der kirgisische Großvater die deutschen Großväter mit vorgehaltener Maschinenpistole aus den Kellerlöchern zerrte, in die sie sich versteckt hatten. Zwei Generationen später schon haben deutsche Uniformierte wieder das große Maul, wenn sie mit dem armen Schwein aus dem tiefen Osten umgehen. Heiliger Max Liebermann, steh’ uns bei und leihe uns deinen Kotzkübel. Deutsches Volk, du hast die Nachkommen der Büttel, die du verdienst! Filme sie, laß dir vorführen, wie sie dich in die Knie drücken, in den Staub, wo du hingehörst! Und merk es nicht einmal! Wach nicht auf! Michel, träume weiter! Das Erwachen wäre schrecklich für Dich und den Rest der Welt, das weißt du ja mittlerweile. Denn Du wachst immer so komisch auf, so anders eben. Du bist und bleibst halt nur der dumme Michel! Gute Nacht, Michel. Zipfelmütze über den Kopf, Licht aus, Verstand aus und – Motor aus!

10. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2007