Alice Schwarzer, die Bild
und die Wahrheit
B. St. Fjøllfross
„Jede Wahrheit braucht
einen Mutigen, der sie ausspricht“, tönt die Bild-Zeitung
neuerdings von vielen Plakaten. Über diesem markanten Spruch
finden sich Porträts von bekannten Köpfen, die einst
erfolgreich wider den Stachel löckten und der Menschheit
Fortschritt brachten. Gandhi, Luther…Diese Leute werden
nun zu Transportmitteln der Werbebotschaft degradiert, die recht
eigentlich Bild für sich in Anspruch nimmt. Viele von den
Abgebildeten können sich gegen diese Vereinnahmung nicht
zur Wehr setzen, weil sie – schon tot sind.
Eine aber weilt noch unter uns – und wie wir hoffen, noch
recht lange. Kennen Sie die Grande Dame der neuzeitlichen deutschen
Emanzipationsbewegung? Hilft es Ihnen weiter, wenn wir verlauten
lassen, daß diese Dame, so etwas scheint Revolutionen
nun mal immanent zu sein, mehr als einmal kräftig über
das Ziel hinausgeschossen ist? Die Rede ist von Frau Alice Schwarzer.
Eine famose Frau, hoch intelligent, blitzgescheit, ein Energiebündel.
Und da der Landbote eine Spur anders tickt als die allgemeine
Klientel von Bild, messen wir die Attraktivität des weiblichen
Teils der Menschheit nicht nach der Straffheit von deren Pos
und Brüsten, sondern nach Werten wie Intelligenz, Rechtschaffenheit
(früher sagte man: Herz am rechten Fleck), und Souveränität.
Eine starke Frau an der Seite ist eine Herausforderung für
einen richtigen Mann. An ihr kann er seine politischen und diplomatischen
Fähigkeiten schulen; an ihr kann er lernen, sich selbst
nicht zu wichtig zu nehmen und den unproduktiven Egoismus zu
beschneiden.
Das alles sind Dinge, die längst noch nicht gedankliches
Allgemeingut in den teutschen Gauen ist. Ja, ja. Sie lesen richtig.
Das Mittelalter ist in den Köpfen noch omnipräsent.
Frau Schwarzer ergriff nun das Schwert in Gestalt der Feder
und drosch mit großer Courage auf die elenden Strukturen
ein, die Frauen tagtäglich zu kontrollierten Objekten von
kleingeistigen und feigen Männchen machen. Tausende, vielleicht
Zehntausende Frauen verdanken ihr ihren Weg, ohne es selbst
zu wissen.
Nach Ansicht des Preußischen Landboten hätte man
ihr das Bundesverdienstkreuz nicht einmal zu Unrecht verliehen,
wenn sie sich denn hätte verkneifen können, ins Horn
der Gewalt zu tuten. Kein Krieg ist lobenswert – auch
der Geschlechterkrieg ist destruktiv und brachte schon viele
Opfer auf dem Altar der menschlichen Dummheit. Wer dabei angefangen
hatte ist am Ende nicht von Belang. Da zählen nur die Opfer!
Auch nicht zu vergessen ist, daß Söhne zu allermeist
von ihren Müttern geprägt werden und im Zuge der Auslese
zu ebenjenen aggressiven Gestalten geformt werden, die sie sein
müssen um im Wettlauf um den besten sozialen Status zu
bestehen. Und leider ist die Welt noch immer so gestrickt, daß
sich der überwiegende Teil der Frauen der nächsten
Generation genau zu solch sozial erfolgreichen Individuen hingezogen
fühlt, weil diese nun mal das beste genetische Material
und die besten Aufzuchtbedingungen für den eigenen Nachwuchs
offerieren. Daß nun das Naturell diese Leute oft nicht
unterscheiden läßt, auf wen sie ihre Grundaggressivität
applizieren und die Frauen früher oder später selbst
zu den Opfern solch forscher Männchen werden, ist die dunkle
Kehrseite dieser logischen Medaille.
Doch mit solchen Überlegungen konnte oder wollte sich Frau
Schwarzer zunächst nicht aufhalten. Ihr galt es dringlichst
die Ketten zu zerschlagen, die von solch besitzheischenden Männchen
um ihre mitunter wahrhaft gepeinigten Geschlechtsgenossinnen
geschlungen wurden. In diesen beinahe aussichtslos erscheinenden
Kampf zog sie wie einst Jeanne d’Arc. Wieviel Anfeindungen
und Schmäh und Häme mußte diese Kämpferin
ertragen und wie hat sie sich gehalten! Doll! Respekt!
Und jetzt – das!!! Es ist eine Katastrophe. Es ist eine
Nemesis. Es ist ein Fiasko!
Da, wie Bild es so schön formuliert, jede Wahrheit einen
braucht, der sie ausspricht, wollen wir uns mal – auch
unplakatiert vom Intimfeind – zur Verfügung stellen:
Einer der Köpfe, die auf den Plakaten der Bild zu sehen
sind ist also der von Frau Schwarzer. Ein Charakterkopf, fürwahr.
Unverwechselbar. Dieses Gesicht hat in Deutschland sicher denselben
Wiedererkennungswert wie die Marke Persil oder der Mercedes-Stern.
Was wirbt eine solche Frau für Bild? Was zum Teufel? Was
ist in sie gefahren sich für eine Postille herzugeben,
die ohne nackte Dummchens, versehen mit abgrundtief dümmlichen
Spruchblasen, nicht auskommt; die der Volksverblödung als
eine der Quellen geschlechtsdiskriminierenden Verhaltens jeden
Tag, den Gott werden läßt, eifrig zu Diensten ist!
Die einzige uns bekannte Wahrheit, die Bild Tag für Tag
vermittelt, ist die traurige Wahrheit über das geistige
Niveau des deutschen Michels, der dem Hause Bild nicht nur zu
Millionenverdiensten verhilft sondern auch zu einer einzigartigen
Machtposition in diesem Staate. Kann es sein, daß die
Führungseliten die Fragen eines Bild-Korrespondenten mehr
fürchten als die eines Journalisten der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung? Wenn die FAZ, oder die Süddeutsche, die Neue Zürcher
oder die TAZ, meinetwegen auch die Emma eine solche Kampagne
gestartet hätte – wir hätten es verstanden.
Aber Bild?
Liebe Frau Schwarzer! Wir haben schon gehört, daß
manch einer mit einer einzigen Dummheit sein ganzes Lebenswerk
in Frage stellte. Aber ausgerechnet Sie? Shakespeare läßt
Heinrich V. bei der Verhaftung der drei abtrünnigen Barone
sagen: „Das dünkt mich wie ein zweiter Sündenfall…“
Auch der Preußische Landbote, sicher kein Freund des radikalen,
den Krieg der Geschlechter anheizenden Feminismus, wohl aber
dessen um Verständnis bemühter Beobachter, ist bis
in die Knochen erschüttert. Ein Urgestein ist zerbrochen
und ins Meer gestürzt. Das halten wir für die Wahrheit.
Nun ja, Wahrheit, Wahrheit…
Die Alten sagten, die Wahrheit liege bei Gott! Auch für
unreligiöse Menschen dürfte mit dieser Aussage klargestellt
sein, daß es keine absolute Wahrheit gibt und Menschen
selten gut daran tun, eine solche philosophische Kategorie für
sich in Anspruch zu nehmen. Vielleicht irren auch wir. Denn
eines ist sicher. Diese durch das individuelle Streben nach
Macht generierte Idiotie um den Begriff der „Wahrheit“,
dieses Raufen um den Besitz von „Wahrheit“ hat in
der Menschheitsgeschichte Hekatomben von Blut gekostet.
Apropos Idiotie… Menschenskind, Bild! Solche dußligen
Werbeaktionen dürftet ihr doch kaum nötig haben. Eure
Rohstoffbasis ist doch ewig und unerschöpflich. Selbst
wenn der Dummentöter, der Popanz unserer Kindheit, im Akkord
arbeiten würde – Euren Umsatz vermöchte er nicht
einmal um ein winziges Prozent zu schmälern.
Wie es um die Verkaufszahlen der Emma nach der Aktion ihrer
Chefin bestellt ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Aber wenn
in Punkto gesunden Menschenverstandes in uns noch ein Fünkchen
Hoffnung glimmt, dann – ja dann allerdings haben wir Anlaß
das Schlimmste zu befürchten.