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Ein Detektiv wird gestohlen

Don M. Barbagrigia
Man denke nicht, Detektive hätten ein sorgenfreies Leben – je höher ihre Erfolgsquote, desto mehr Aufwand müssen sie auf den Erhalt der eigenen Existenz verwenden. Diese traurige Erfahrung machte seinerzeit der berühmteste Ermittler der Welt, Sherlock Holmes, als er von seinem ebenso genialen Widerpart, dem finsteren Professor Moriarty, in die Schweiz gelockt wurde und nach einer Art „Kampf der Giganten” sein vorläufiges Ende in den Reichenbachfällen bei Meiringen fand. Die Leserschaft allerdings wollte die Untat nicht akzeptieren. Ein Sturm der Entrüstung erhob sich. Sherlock Holmes mußte überleben, ob er nun wollte oder nicht.

Einhundertzwanzig Jahre später, im Herzen Preußens: Der preußische Detektiv Honoré Langustier wird Opfer eines nicht minder aggressiven Anschlags. Am 17. April 2007 wird der Zweite Hofküchenmeister Friedrichs des Großen und Spezialermittler mit Sondervollmachten in der Thalia-Buchhandlung im Berliner Stadtbezirk Zehlendorf – nein, fassen Sie sich – nicht gleich hinterrücks ermordet, aber immerhin gewaltsam entführt.

Die Täter sind bald ausgemacht. Ein Verlag, ein Koch und ein Historiker hatten sich zu gemeinsamer Tat verschworen. Was nun hatte dieses Trio mit dem gleichermaßen beleibten und beliebten Kriminal-Commissär zu tun? War er ihnen auf Füße oder Schlipse getreten bei zwielichtigen Machenschaften, die in der Verlagsbranche ebenso vorkommen wie in der Gastronomie? Jetzt, da der Detektiv unfreiwillig abwesend ist, müssen wir wohl seine Arbeit verrichten.

Zunächst stellen wir beim Sammeln der Fakten fest, daß sich beim Berliner Vorfall wie beim Anschlag auf Holmes – die Grenzen zweier Welten verwischen: die der fiktiven und die der ganz realen. Holmes und Langustier nämlich haben so nie gelebt. Holmes ist eine Schöpfung des Krimiautors Arthur Conan Doyle, Langustier eine Erfindung des Krimi-Autors Tom Wolf.

Geistiges Eigentum wird in der Bundesrepublik Deutschland vom Urheberrechtsgesetz geschützt, damit sich keiner einfach mit fremden Federn schmücken und die Ideen von anderen für die seinen ausgeben oder frei mit diesen wirtschaften kann. Doch es gibt eine Sorte Mensch, die sich im Streben nach eigenem Profit nicht gern was vorschreiben lassen. Und dann wollen sie’s eben wissen ...

Ein probates Motiv ist also vorhanden. Jetzt sei der Täterkreis beleuchtet, angefangen beim Verlag. In welcher Beziehung steht das Haus be.bra zu den Herren Wolf und Langustier? Just dieser Verlag brachte die Abenteuer des Hofküchenmeisters unters Volk. Aber halt, mal, Moment – ist das nicht ganz widersinnig? Der Verlag macht doch längst rentablen Gewinn mit seinen nunmehrigen Opfern …

Das Motiv droht zu entschwinden, oder? Nein, keineswegs. Denn das Zauberwort heißt an dieser Stelle: „Viel ist nicht genug! Da muß noch mehr herauszuholen sein.“ Der Verleger witterte seine Chance: Ganz Deutschland ist im Kochtaumel. Altmeister Biolek brachte die brutzelnde und blubbernde Lawine ins Rollen, und itzund verabsäumt kaum noch ein Fernsehkanal, die Nation mit Rezepten und Topfkiekerei zu beglücken. So unwahrscheinlich es klingen mag: Auf diesem Markte gibt es noch Reserven, da sind noch immer Nischen! Freie Herdplatten! Ganz sicher. Und Langustier, der kochende Früh-Kriminalist, der Schrecken des preußischen Rokoko-Verbrechertums, dieser kreuzbrave Mann mit seinem saucenbeträufelten Ranzen, bot sich dank seiner Profession als ideales Opfer an. Ein böser Streich wurde ersonnen, und mit Chuzpe und Selbstherrlichkeit wurden die Grenzen der Legalität überrannt.

Der Tathergang war nun folgender: Eingedenk der kulinarischen Zugpferdwirkung des Herrn Langustier betraute das Haus be.bra einen Koch und einen Historiker mit der Erstellung eines Kochbuchs, das Rezepte aus friderizianischer Zeit unters Volk bringen sollte. Der Historiker dachte sich dazu eine Rahmenhandlung aus, die das Ganze in den von Tom Wolf seinerzeit ersonnenen Kontext stellen sollte. Ja – und an dem Punkt kochte die übel riechende Sauce über.

Glauben Sie nur nicht, die Sache wäre mit Herrn Dr. Wolf abgesprochen worden. Der Mann blieb ganz ahnungslos, bis das Buch auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt war und er ein Freiexemplar vom Verlag zugeschickt bekam. Er kannte die Autoren nicht, und sie nicht ihn. Daher konnte er sich ganz inkognito eine Lesung des Autoren-Duos anhören – ganz recht: am 17. April 2007, in der Thalia-Buchhandlung in Zehlendorf. Da mußte er dann staunend miterleben, wie seinem entführten und vergewaltigten Detektiv Rezepte in den Mund gelegt wurden, ihm Bekanntschaften angedichtet wurden, von denen er als Autor der Preußenkrimis noch nie etwas vernommen hatte. Und – am Schlimmsten: Die von Langustier gelösten Fälle wurden als historisch hingestellt!

Das musste ihn wie ein Hieb treffen. Hatte er doch am 24. Januar 2006 in einem Vortrag vor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten in Schloss Glienicke wortreich dargelegt, wie genau er es in seinen Romanen mit der Trennung von Historie und Realität nimmt. „Wieviel Fiktion verträgt der König?” ist der Titel der gedruckten Fassung, die als 23. Rheinsberger Bogen beim Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum im Schloss Rheinsberg gegen Schutzgebühr zu beziehen ist.

Was der Koch da zusammenbrachte, können wir nicht nachvollziehen. Wir sind nicht vom Fach. Also reden wir nicht drüber. Was auch immer es ist, es ist eine soupe a la voleur! Dann aber traf Wolf der nächste, der stilistische Schlag: Historikus Balkow-Gölitzer, verantwortlich für den erzählerischen Teil dieses „Preußen-Krimi-Kochbuchs”, hätte lieber bei seinem Leisten bleiben sollen und sich seine Krimi-Experimente besser bis nach Pflaumenpfingsten aufgespart ...

Hier vermisst man all die wundervollen Klänge aus den echten Preußenkrimis. Langustiers Esprit – wo ist er? Sein Humor? Wo? Wer von harmonischer Musik nichts versteht, soll Strawinsky nachkupfern, aber doch nicht Mozarten. Etwas Ebenbürtiges wäre leichter zu verschmerzen, wäre vielleicht gar eine gute Reklame gewesen, an der man den geistigen Urheber freilich hätte kräftig beteiligen müssen. Dann hätte man die Sache mit einem drohenden Zeigefinger aus der Welt schaffen können.

Dies aber? Das grenzt schon an Diskreditierung und lässt an diese ridiküle TV-Werbung denken, bei der ein paar junge Inder sich aus Blechdosen eine Karosse zusammenschustern, die an das unerreichbare Original des beworbenen Automobils gemahnen soll. Mit einer plakativen Hochnäsigkeit nehmen sie in dem Schrotthaufen Platz und demonstrieren ihren prätendierten Status, das Phantomauto und somit ihren Wahn.

Wenn Sie nun rechtsstaatlich aufbegehren und uns mahnen niemanden zu verurteilen, bevor nicht ein Richter die Schuld rechtskräftig festgestellt hat, dann wollen wir antworten: Einen Baum am Wegesrand festzustellen, bedarf es auch keines Richters. Der offensichtliche Fakt spricht für sich. Ob sich der Verlag mit einem längeren Marsch auf dem Rechtsweg selbst sowohl bezüglich seiner Finanzen als auch seiner Reputation zu schaden gewillt ist, können wir dabei getrost außer Acht lassen. Das ist seine Sache.

Besser wär’s, er zieht sich kleinlaut und tief verschämt zurück, so wie nun sein „Preußen-Krimi-Kochbuch” laut „Einstweiliger Verfügung” des Berliner Landgerichtes vom 24. April 2007 zügig vom Markte zu verschwinden hat. Denn der Angriff, hinterrücks vorgetragen auf zwei preußische Ehrenmänner, ist beileibe kein Kavaliersdelikt, sondern eine „unzulässige Bearbeitung im Sinne von § 23 UrhG”. Kurz gesagt: eine Lumperei. Das sei auch den Strohmännern des bösen Verlagstreibens ins Stammbuch geschrieben.

Die Reaktion der beiden Herren auf besagter Lesung war kurz und schäbig: Sie freuten sich aufrichtig, durchs unerwartete Erscheinen des von ihnen Beklauten keineswegs sonderlich beeindruckt, dass Tom Wolf ihre Veranstaltung besuchte, ließen jedoch seine Entrüstung an sich abperlen. Brüsk verwiesen sie ihn, gefragt, wer ihnen denn erlaubt habe, Langustier vor ihren Karren zu spannen, an ihren Spießgesellen be.bra. Der Verlag, so die beiden Buchautoren und Kommissaren-Diebe, habe das Bubenstück veranlaßt und ihnen versichert, daß sie mit Langustier machen könnten, was sie wollten. Sinngemäß.

Sind die beiden Herren wirklich so – lassen Sie es uns gelinde ausdrücken – unbeschlagen, wie das anwesende Publikum, das sich in völliger geistiger Umnachtung sogar erdreistete, Tom Wolf als Störenfried zu denunzieren, wenngleich die Veranstaltung beendet und die Diskussion eröffnet war, als er seine höflichen Fragen stellte. Würde es den Herrn Pietzner und Bölkow-Gölitzer wohl gefallen, wenn ich ihre geistigen Ergüsse für mich reklamieren und vermarkten würde? Würde es ihnen wohl genügen, wenn ich sie mit dem Verweis abspeiste, ein gewisser Krause von nebenan hätte mich mit dem Werke betraut und damit gut?

Nein, wir machen einen anderen Vorschlag: Die beiden Herren mögen sich noch einmal an den Schreibtisch setzen und ein Buch, betitelt: „Zaubern wie Harry Potter – mit einem Vorwort wie von David Copperfield“, entwerfen. Und be.bra soll es herausbringen. Sollten Sie das drauf haben, leisten wir öffentlich für diesen Artikel Abbitte. Inzwischen aber sei, denn da ist Eile geboten, ein Verdikt verhängt über jenes Buch. Ob seiner Entstehungsgeschichte gehört es in den Giftschrank und nicht in die Küche. Möge Langustier sich derweil den üblen Staub von seinem tressenbesetzten Rock klopfen, und dem König in gewohnter Manier über das ihm Widerfahrene Bericht erstatten. Was musste der wackere Mann schon alles durchstehen – Chapeau!

10. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2007