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Ein verlassenes Haus
den Großeltern gewidmet
K. K. Bajun
Seit sie Mitte der Dreißiger
geheiratet hatten, gehörte das Haus zu ihnen. Es war untrennbar mit
ihrem gemeinsamen Leben verbunden gewesen. Es war der Mittelpunkt ihres
Daseins. In dieses Haus kehrten sie tagtäglich von der schweren Feldarbeit
zurück. Es war ihnen ein Dach und Schutz und Wärme und vieles,
vieles mehr.
Selbst wenn sie dann zuhause waren, ging der Alltag ungebrochen weiter.
Die Frau hantierte in der Küche, der Stube und der Diele, schuftete
im Gemüsegarten, hing auf dem Hof die Wäsche auf, fütterte
das Vieh und sperrte abends die Hühner weg. Der Mann werkelte in
der Werkstatt, drechselte ein neues Rad für den Leiterwagen, der
im Herbst zur Ernte gebraucht werden würde - das war sein Lehrberuf
- grub im Garten um, flickte den Zaun, und - wenn seine Frau ihm nicht
so über die Schulter sah, dann verschönerte er ein wenig die
Veranda nach dem Hof hinaus. Eine kleine Freude sollte es für sie
werden. Denn dort saßen sie abends beisammen, die Frau hatte für
beide noch einen Kaffee aufgesetzt. Manchmal erzählte die Frau dann
noch, daß sie Schulzens Emma im Konsum getroffen hätte, die
hätte ihr erzählt, daß Heinrichs Else wohl demnächst
wieder Großmutter werde. Der Mann paffte eine kleine Zigarre und
hörte zu. Manchmal auch nicht so recht, dann war er mit den Gedanken
bei den Obstbäumen, die wohl nächster Tage beschnitten werden
mußten, wenn sich bloß das Wetter hielte.
Einen Fernseher besaßen sie und manchmal hatte ihn die Frau auch
angemacht, am Abend, wenn Hänschen Rosenthal zu sehen war, oder eine
Sendung mit böhmischer Blasmusik. Die Blasmusik hatte sich auch der
Mann mit angeschaut. Und dann blickten sie zueinander herüber und
dachten beide dasselbe - wie sie vor vielen Jahren auf ihren Fahrrädern
des Abends über den dunklen, sandigen Wald- und Feldweg vom Tanz
im Nachbardorf zurückkamen. Wie er in den Graben fuhr und sie auf
ihn rauf, wie sie lachten - das Lachen hallte leise, leise noch immer
aus den Mauern ihres Hauses.
In der Stube hatten sie die Geburtstage gefeiert, die Taufe, Konfirmation
und die Hochzeit ihres Sohnes, hier wurde Leichenschmaus gehalten für
die Dahingegangnen - dann wieder das Lärmen der spielenden Kinder
in der Diele, auf dem Hof und in der Scheune: "Wollt ihr wohl von
der Tenne runter, ihr Rangen! Wartet, gleich kommt Oma mit dem Kehrbesen!"
Nun ist es still. Im vorigen Sommer sind beide gestorben. Kurz hintereinander.
Die Oma zuhause, der Opa im Krankenhaus. Als sie ihn holten mit der Ambulanz,
wußte er, daß er das Haus nicht mehr wiedersehen würde.
Er hatte seine Frau beneidet, der im eigenen Bette zu sterben vergönnt
war. Was würde nun werden, mit dem Garten, der Scheune, dem Haus?
Der Sohn war verheiratet in einer Stadt, weit, weit weg. Seit er fortgezogen
war, konnte er sowieso nur noch einmal im Jahr nach den Eltern sehen.
Meist zu Opas Geburtstag. Der fiel auf einen Feiertag. Das Haus würde
er nicht übernehmen können. Er hatte sich in der fernen Stadt
eingelebt, hatte dort Familie und Freunde und Arbeit. Um das Vieh brauchten
sich die beiden Alten in den letzten Jahren Gott sei Dank nicht mehr zu
sorgen - das hatten sie lange schon abgeschafft. Nur die getigerte Katze
mit dem eingerissenen Ohr - Oma hatte sie immer Minka gerufen, wie sie
alle Katzen "Mulle" oder "Minka" rief - war noch auf
dem Hof. Aber Katzen sind Überlebenskünstler. Und der Nachbar
kannte sie und würde ihr schon Milch und Freßchen hinstellen.
Doch auch diese Gedanken vergingen, verwehten, verloschen.
Und so war es jetzt still auf dem Hof.
Das Haus stand zum Verkauf. Der Sohn hatte einen Makler beauftragt. Ab
und an kamen Leute und besahen sich das Anwesen. "Ja, ein schöner
Garten, aber die Scheune fällt ja bald um." "Das Dach vom
Haus müßte auch wieder gedeckt werden, wer weiß, wie
der Dachstuhl aussieht." "Ach was, die haben früher ganz
solide gebaut, wird schon noch halten. Was mir Sorgen macht, ist der Fleck
im Mauerwerk, wenn das feucht ist, was das kostet, das trockenzulegen!"
"Ja und innen müßte man auch umbauen, das sind ja Puppenstuben.
Und anbauen müßte man, das ist doch kein Bad, wie die sich
hier waschen konnten."
Die? Das waren zwei Leute, die in diesem Haus ein Leben verbracht haben,
die ihr Herzblut in den Mörtel und die Scholle gaben, ohne sich dessen
bewußt zu sein. Das waren Menschen, denen jede Ecke vertraut war
und lieb und wert, und denen man das Herz aus dem Leibe gerissen hätte,
wäre auch nur ein Baum gefällt worden. Nach dem Kriege hatten
sie Ostflüchtlinge aufgenommen. Nicht, weil es verordnet war, sondern
weil sie das namenlose Elend derer fühlen konnten, die alles verloren
hatten, woran die Seele hing. Sie hatten diese heimatlos gewordenen Menschen
untergebracht und mit ihnen das karge Nachkriegsessen geteilt. Sie gaben
ihnen mit ihrem Haus ein Obdach, als die Not am größten war
- und die Flüchtlinge hatten es ihnen nie vergessen. Noch Jahrzehnte
später kamen sie aus dem Westen, brachten Sachen mit und Kaffee und
Schokolade und - ihre Dankbarkeit.
Aber halten all diese Dinge dem nüchternen Pragmatismus stand, der
in Leuten herrscht, die ein Haus auf dem Lande zu kaufen beabsichtigen
und zu der Geschichte dieses "Objektes" keinen Bezug haben?
Sind wir sentimental, wenn wir ein solches Bild entwerfen und diesem Pragmatismus
gegenüberstellen?
Möglich. Doch sind wir überzeugt, daß ein Haus eine Seele
hat - so albern das vielleicht klingen mag.
Dieser leere Hof rührt an: Da liegt der Stechbeitel auf der Werkbank,
als hätte ihn der alte Mann gerade abgelegt. Die Töpfe der Frau
stehen auf dem Herd, als riefen sie: "Nur hinein mit den Kartoffeln!"
Die getigerte Katze streicht um den Klammerkorb unter der Wäscheleine,
um sich kurz daneben auf die Seite fallen zu lassen und in der Sonne faul
zu räkeln. Weder sie noch den alten Mann, der nun nicht mehr ist,
stört mehr der Star im Kirschbaum neben der Scheune.
Die Interessenten haben sich dann doch nicht entscheiden können.
Der Bus fuhr zu selten durch das Dorf, die Haltestelle war zu weit weg
und mehr als ein Auto können sie sich nun mal nicht leisten. Na ja,
und dann die Sanierungs- und Umbaukosten! Maklerprovision, der Notar will
bezahlt werden. "Nein, wir überlegen uns die Sache noch."
Als sie den Hof verließen und der Makler das Tor absperrte, war
es wieder einsam. Eine Spinne flocht ihr Netz zwischen dem Schippenstiel
und dem Torweg, ein altes Spinnengewebe schaukelte derweil im Wind, der
durch die Ritzen der Schuppenwand strich, eine kleine Maus huschte über
den Rinnstein und die abgedeckte Jauchekute, in die Oma nach dem Waschen
das verbrauchte Wasser gekippt hatte. Die Katze blinzelte und wackelte
kurz mit dem angerissenen Ohr - und schlief dann weiter.
Die beiden Alten liegen nun nebeneinander auf dem Kirchhof, draußen,
vor dem Dorf. Aber da ihr Haus eines der letzten vor dem Ortsausgang gewesen
war, so liegen sie gar nicht mal so weit weg.
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