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Michael L. Hübner
Man kennt das: keine Fuseratze mehr
im Portemonaise, schnell an den Bankautomaten, einen Fünfzig-Euro-Schein
geholt, weiter geht's in die Innenstadt - allüberall Parkraumbewirtschaftung,
ja wohin jetzt auf die Schnelle mit dem Wagen, die Geldkatze beherbergt
noch drei einzelne Cent-Stücke, eine Fünfzig-Cent-Münze
sollte es aber schon sein. Ja, was nun?
Also flugs die Parkuhr auf die genaue Uhrzeit gestellt, einen Zettel hinter
die Windschutzscheibe plaziert und mit großen und deutlichen Lettern
geschrieben: "Bin Kleingeld einwechseln - in spätestens zehn
Minuten wieder am Wagen! Danke!"
Danke? Ja, liebe Politessen, vielen Dank auch - für den Ordnungszettel
nämlich.
Sechs Minuten hat's gedauert. Manche Händler der umliegenden Geschäfte
haben geknurrt, manche abgewinkt, es war nicht leicht, einen zu finden,
der einem eine Fünfzig-Euro-Note dergestalt einwechselt, daß
ein bißchen Hartgeld für den Parkautomaten rausspringt.
Trotzdem, nach sechs Minuten war auch das geschafft. Doch dann die böse
Überraschung: Genau über der Bitte um etwas Geduld der postkartengroße
Hinweis, daß man seines Falschparkens wegen zur Kasse gebeten werde.
§ 49 StVO in Verbindung mit § 24 StVg. Überzeichnet mit:
Die Oberbürgermeisterin. Unterzeichnet mit: freundlichen Grüßen!
Hohn, Heuchelei oder schon abgestumpfte Phrasen-Vordrucks-Drescherei?
Gemeint ist die Oberbürgermeisterin der Stadt Brandenburg an der
Havel, Frau Doktor Tiemann. An sie wollen wir uns daher wenden.
Liebe Frau Oberbürgermeisterin!
Sie sind eine gelernte DDR-Bürgerin, wie wir auch. So werden Sie
also wissen, welche Folgen es hat, wenn sich in der Bevölkerung Unmut
ausbreitet und welch unscheinbare Details diesen Unmut auszulösen
in der Lage sind.
Es gibt ein altes deutsches Sprichwort, das sagt: "Manch einer suchet
einen Pfennig und verbrennt dabei drei Lichte!" Wird der Pfennig
dann gefunden, so könnte man es auch einen Pyrrhussieg nennen, denn
dieser Erfolg hat mehr gekostet, als er einbrachte.
Genau das kann man in Deutschland nun schon seit Jahrhunderten beobachten:
Kaltherzige Paragraphenreiterei, herzlos und stumpf bis zur Idiotie, vergrämt
den Bürger. Müssen Obrigkeiten so mit ihren Völkern umgehen?
Müssen sie das wirklich?
Wenn wir durch das Königreich Dänemark fahren, so weht uns aus
fast jedem Schrebergarten ein Danebrok entgegen. Ganz selbstverständlich
wurde Egon Olsen mit dieser schönen Fahne von seinen Kumpanen begrüßt,
wenn er wieder mal das Albertslund-Gefängnis verließ. Was fehlt
uns Deutschen, daß es uns peinlich wäre, Schwarz-Weiß-Rot
im Vorgarten aufzupflanzen. Daß wir Brandenburger nicht einmal ohne
Anlaß unsere Häuser mit der Fahne der Stadt Brandenburg schmücken?
Es ist dieses ewig gespannte Verhältnis des Michels zu seiner ach
so gesetzestreuen Beamten. Man lese das bei Tucholsky nach!
Hier, verehrte Frau Oberbürgermeisterin, hier an einer Parkbucht
in der Brandenburger Kurstraße, der RFT-Geschäftsstelle gegenüber,
hier wird Politik gemacht! Keine Wahlkampfveranstaltung, keine Straßenteilabschnittseröffnung
in Begleitung der amtierenden Havelkönigin, kein Wahlplakat mit dauerlächelnden
Kandidaten kann gut machen, was hier sträflich versäumt und
versaubeutelt wird.
Denn hier befinden wir uns an der Nahtstelle zwischen Bürger und
erlebbarer Politik. Was immer Sie sich hinter den Kulissen an Titanen-Mühe
geben mögen, für die Stadt und ihre Bewohner etwas zu bewegen
- das registriert die Masse bestenfalls aus der Gazette. Das ist alles
abstrakt. Man liest es, nickt vielleicht anerkennend - und hat es im nächsten
Augenblick wieder vergessen.
Aber das hier, diese kleine Niedertracht einer absolut korrekten Politesse,
die auch nur ihren Anweisungen folgt und wahrscheinlich auf Beteiligung
arbeitet, hier hat der Bürger etwas Greifbares. Hier wird ihm ans
Bein gepinkelt - und zwar richtig boshaft. Au - das tut weh! Und das merkt
er sich!
Hier geht es für nichts und wieder nichts an seinen ohnehin schon
schmalen Geldbeutel.
Ich, liebe Frau Oberbürgermeisterin, bin ein Preuße. Ich hätte
meinen Obolus entrichtet - treu und brav. Ich war auf dem Weg zum Automaten
mit meinem Fuffziger in der Hand, für den ich mir in sechs Minuten
die Hacken abgerannt habe. Doch dann, im Augenwinkel - der unheilvolle
weiße Zettel aus Politessenhand.
Nee! So nicht!
Ein Wütender mehr, der auf die Stadt und ihre Bediensteten wirklich
sauer ist. Vernünftige Arbeit kann die Gemeinde ihm nicht geben -
aber abkassieren - das kann sie! Bravo!
Und, was haben wir aus dem Jahr '89 gelernt? Nichts! Denn, hätten
wir etwas gelernt, dann wüßten wir, daß man einen Staat
oder eine Kommune - das ist völlig gleich - nur retten kann, wenn
deren Bewohner ihre Fahne mit Stolz über ihrem Garten wehen lassen.
Jeder, der sich frustriert von seinem Gemeinwesen abkehrt, ist einer zuviel.
Er fehlt. Verstehen Sie? Der stellt seine Arbeitskraft, seine Ideen, seinen
Enthusiasmus anderen zur Verfügung. Er hinterläßt ein
Loch.
Und genau das ist mit dem Eingangs zitierten Sprichwort gemeint: Kassieren
Sie Ihre 10,- Euro für das Stadtsäckel und verzeichnen Sie den
Verlust eines Bürgers, weil der sagt: Laßt uns dahingehen,
wo man das Wort "laissez faire" erfunden hat und wo Beamte einen
Kopf zum Denken und ein Herz zum Fühlen haben! Dann werden Sie eines
Tages über die jämmerlichen zehn Euro fluchen - denn Tausend
mal mehr ist Ihnen verloren gegangen.
Sie geben die Richtlinien der städtischen Politik vor, verehrte Frau
Oberbürgermeisterin. So ist es an Ihnen, Ihre Subalternen auf den
rechten, den menschlichen Weg zu bringen - und sie solch dummer Herzlosigkeiten
zu verweisen.
Damit könnten Sie Wahlen gewinnen, bevor die anderen überhaupt
an Wahlkampf denken. Denn dann führen Sie ihn mit geringem Aufwand
täglich - auf den Straßen Brandenburgs!
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