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Fahrenheit 9/11 von Mr. Michael
Moore
B. St. Fjøllfross
Er ist unbestritten das gute Gewissen
Amerikas. Ein Teufelskerl, dieser Mr. Moore! Einen aberwitzigen Mut hat
er. Anders kann man das nicht sehen, denn naiv ist er nicht, an die Unsterblichkeit
der Märtyrer glaubt er nicht und wer die Leute sind, die er im Namen
eines besseren Amerikas attackiert, das weiß wohl keiner besser
als er. Denn sein Intimfeind ist der amtierende Präsident der Vereinigten
Staaten, Mr. George W. Bush. Dieser Mann und dessen ganzer Klüngel,
bestehend aus unverblümter Raffgier, Eigennutz und Vetternwirtschaft,
finden sich plötzlich selbst in einem Fadenkreuz wieder. Nein, nicht
in dem des Viet-Kong, oder dem eines muslimischen Terroristen, in welches
sie so gerne die Kinder der einfachen Amerikaner postieren. Sie sind im
Fadenkreuz eines brillanten Schriftstellers vom Biß eines Pitbulls,
der sauber und tiefgründig recherchiert, der mit Fakten aufwartet
und der erbärmliche Gestalten demaskiert, deren Archetypen über
die Jahrhunderte hinweg dieselben geblieben sind. Diese Strolche entblöden
sich nicht, ein großes Geschrei von Patriotismus und nationaler
Sicherheit zu erheben, um damit ihre Landsleute zum x-ten Kreuzzug gegen
die anderen zu mobilisieren, die ewigen Feinde, diejenigen, die es satt
haben, sich von diesem Klüngel am Existenzminimum halten und bis
auf die Knochen ausbeuten zu lassen. Milliarden von Menschen haben nicht
einmal einen Dollar am Tag, damit einige wenige Abermilliarden Greenbucks
horten, die sie in einem Menschenleben gar nicht mehr auszugeben vermögen.
Diesen Menschen ist eine solche aberwitzige Menge Geld nur noch Ausdruck
und Mittel zur Macht. Sie spielen ein gigantisches Monopoly – die
Miete auf der immer teurer werdenden Schloßallee zahlen die armen
Schweine dieser Welt.
Die Bolschewisten nannten die westlichen Gesellschaftssysteme Scheindemokratien,
eine Art Kaschperltheater der Monopolbourgeoisie. Nun gut, wenn man die
Botschaft zum Verkünder ins Verhältnis setzte, wurde sie unglaubwürdig.
Begrenzte man sie aber auf das rein Inhaltliche, dann lohnte sie jedes
Nachdenken.
Solange der Eiserne Vorhang die Machthaber der westlichen Hemisphäre
zu einem gewissen Wohlverhalten zwang, solange befleißigten sie
sich, den Eindruck fairer Spielregeln zu erwecken. Seit der globalen Implosion
des alternativen Miteinanders aber, läßt die Hochfinanz allen
Schnickschnack beiseite und steuert vehement eine Orwell’sche Diktatur
an. Der Patriot Act der Amerikaner, die Idee des gläsernen Bürgers
in Zusammenhang mit den Hartz-IV-Gesetzen in der Bundesrepublik läßt
diese grauenvolle Fiktion mehr und mehr Gestalt annehmen.
Es war der Tischtennisspieler und begeisterte Rennsteig-Wanderer Walter
Ulbricht, dem das Wort unterstellt wird: „Es muß demokratisch
aussehen, aber wir müssen alles fest in der Hand behalten.“
Mr.Moore zeigt uns, daß George W. Bush, den viele gelinde gesagt
für eine absolute Fehlbesetzung auf dem Sessel des amerikanischen
Präsidenten halten, ein würdiger Nachfolger des Genossen Ulbricht
ist.
Was allerdings die Fehlbesetzung betrifft, so widerspreche ich vehement:
Mit der Wahl dieses Mannes zeigen die Machthaber in den U.S.A. zum ersten
Mal die wahre Natur der „Mutter aller modernen Demokratien“.
Und das ist ein nicht zu unterschätzender Erkenntnisgewinn: Das Volk
darf nur dann an die Wahlurnen treten, wenn es eine dem Kandidaten der
Elite genehme Stimme abgibt. Plumpester Wahlbetrug in Kalifornien, dem
Bundesstaat, in dem Bushs Bruder Gouverneur ist, eignet sich geradezu
als Matrix für Wahlpossen in Weißrußland, Serbien oder
irgendeiner gottvergessenen Bananenrepublik. Und da sich selbst diese
drastische Maßnahme noch als unzulänglich erwies, setzte der
Oberste Gerichtshof noch eins drauf und bestätigte den Betrug. Abgeordnete
konnten palavern, soviel sie wollten, das „Oberhaus“ verweigerte
die Unterstützung – die Farce war perfekt – ein Thronräuber
im Amt!
Ähnlich dem Raubkrieg Adolf Hitlers lagen die Planungen für
den Einmarsch in den Irak längst auf dem Tisch – wobei es um
das irakische Öl ging und um gar nichts anderes. Jedem Dorfdeppen
dieser Welt ist dieser Umstand mittlerweile bewußt und nur noch
Fanatiker oder andere geistige Insuffizienzen glauben noch an das Märchen
vom Atomwaffenarsenal des Iraks, respektive daran, daß die Amerikaner
nur kamen, um dieses Volk vom Tyrannen zu befreien und sie die Segnungen
der Demokratie erfahren zu lassen. Zu eng arbeiten sie mit kooperativen
Bluthunden in aller Welt zusammen, als daß man diesem Unsinn noch
den Zipfel seines Ohres leihen möchte.
Und sobald diese profillose Marionette von einem mehrmals gescheiterten
Unternehmer endlich auf dem Sitz des „mächtigsten Mannes der
Welt“ installiert war, ging es auch schon los: Die Truppen erhielten
den Marschbefehl und Hussein, der unbestritten ein großer Massenmörder
und Schweinehund war, hätte den Krieg nur noch verhindern können,
wenn er das von ihm terrorisierte Land kampflos übergeben hätte.
Der Mann, der diesen Kreuzzug wenigstens nominell zu verantworten hatte,
nannte sich von nun an Kriegspräsident. Wir erstarren. In Ehrfurcht?
Gott bewahre!
Wie ein verstörtes Karnickel saß er in der Grundschule vor
den Erstklässlern, als die Nachricht von den Angriffen auf die Türme
des World-Trade-Centers, respektive auf das Pentagon kam. Sieht so ein
Kriegspräsident aus? Der Feind schlägt zu und der oberste Heerführer
starrt eine Weile vor sich hin, um dann den Pimpfen die Geschichte vom
Zicklein vorzulesen. Ein Zeichen von Stärke, eisernen Nerven –
oder unendlicher Hilflosigkeit, Nichtbegreifen, Fassungslosigkeit? Letzteres
ist durchaus wahrscheinlich. Nein, es ist sicher!
Aus den brennenden Türmen springen verzweifelte Menschen Hunderte
Meter in die Tiefe, getrieben von ebenso verzweifelten Menschen, die sich
nicht mehr anders zu artikulieren wissen, als vollbesetzte Flugzeuge in
beispiellosen Kamikaze-Akten in Hochhäuser zu fliegen.
Und das Haupt der Verursacher dieser apokalyptischen Katastrophe sitzt
in einer amerikanischen Grundschule und liest Kindern Märchen vor!
Für die islamische Welt ein unersetzlicher Anblick: Der Schaitan
völlig paralysiert! Das war er wohl seit seinem legendären Sturz
aus dem Himmel Gottes nicht mehr.
Doch dieser hier ist nicht der Schaitan. Wäre er es! Ich wage zu
behaupten, der Welt ginge es besser. Dieser hier ist nur der kleine Georgie,
Daddy’s Sohn und der Garant dafür, daß sein Daddy über
die von der amerikanischen Verfassung limitierte präsidiale Amtszeit
hinaus regieren kann. Denn es dürfte wohl überhaupt keinen Zweifel
darüber geben, wer im Weißen Haus nach wie vor das Sagen hat.
Vier Amtszeiten! Bush senior, das macht dir keiner nach!
Doch ist natürlich auch Bush senior nicht der einzige, der in diesem
Machtgefüge bestimmt. Auch er muß seinen Willen letztendlich
mit anderen Granden des Reiches koordinieren. Das sind die Wirtschaftsmagnaten,
Bankiers und Topmanager der großen Unternehmen, die das Geld für
den Wahlkampf, die Parteienfinanzierung und nicht zuletzt für die
privaten Unternehmungen des Herrscherclans beisteuern. Dafür dürfen
sie dann ja wohl die entsprechenden Gegenleistungen erwarten!
Amerikaner aufgewacht! Die ihr euch in der modernsten und fortschrittlichsten,
der freiesten Demokratie der Welt wähnt, ihr seid unbemerkt wieder
im Feudalismus angekommen. Doll, was? Natürlich in einer der Neuzeit
angepaßten Form. Die Grafen und Herzöge, die Peers und Barone
heißen jetzt lediglich Vorstandsvorsitzende, Vorstandsprecher, Konzerneigner,
Bürgermeister von Chicago oder New York – und so weiter. Das
Lehnsrecht schreitet etwas verwaschen daher – funktioniert aber
immer noch durch das Getriebe hierarchischer Abhängigkeiten, Verbindlichkeiten,
Verpflichtungen. Das Spielfeld wurde etwas aufgepeppt, die Spielregeln
indeß sind nach wie vor bis zur Deckungsgleichheit dieselben.
Bush junior aber hatte für seine Edlen noch ein anderes Bonmot parat:
„Some people call you „the Have’s“, …and
the „Havemores”. Gelächter. (Von einigen Leuten werden
Sie die Habenden genannt, … und die Mehrhabenden.) Dann: They call
you „Elites“, I call you my basics! Dröhnendes Gelächter.
(Man nennt sie Eliten, ich nenne Sie meine Grundlage!)
Was ist das? Zynismus? Ach wo! Dazu fehlt dem Mann das geistige Hinterland.
Besoffene und Kinder sagen die Wahrheit. Und dieser Präsident ist
wohl beides – ein Kind im Zustand permanenter Trunkenheit, die eine
Zufuhr von Alkohol getrost entbehren kann.
Seine „Basis“ hat gut lachen: sie ist sich dieses für
den Rest des amerikanischen Volkes und der Welt durchaus traurigen Zustands
wohl bewußt. Für sie aber bedeutet er, daß sie die Zügel
fest in der Hand halten. Es ist ein Feudalismus der starken Partikulargewalt.
Sollte er auch besser sein. Jetzt noch. Denn einen Feudalismus der starken
Zentralgewalt nennen wir im Allgemeinen eine Diktatur. Weißrußland
macht uns das gerade vor! So etwas in der „Mutter der modernen Demokratien“
unverblümt zu etablieren, braucht so seine Zeit. Aber die ist vorhanden
– massig. Sie arbeitet sogar für dieses hehre Ziel: Eine dauerhaft
kränkelnde Weltwirtschaft, Hochkonjunktur dagegen in China, Zeit
zu säen. Und die Aussaat besteht im Schüren von Furcht vor auswärtigen
Strolchen, in der damit verbundenen Forcierung von Überwachungsgesetzen,
deren Zielgruppe, als klitzekleiner Kollateralschaden sozusagen, unter
anderem die eigene Bevölkerung ist. Nur zu deren Schutz versteht
sich… Wenn dabei auch noch ein paar Daten für das FBI, die
Personalchefs der Konzerne oder die Versicherungswirtschaft abfallen –
ist das doch eigentlich begrüßenswert. Zumindest für die
Letztgenannten.
Das alles deckt Mr.Moore unverblümt und gnadenlos auf. „Wacht
auf, Amerikaner, Hüter der Freiheit!“, ist sein Fanal.
Doch befürchten wir, daß es ungehört verhalle. Die Amerikaner
sind mehrheitlich zu ignorant, zu vollgefressen, zu dekadent, zu uninformiert,
zu desinteressiert. Und sie werden in Dummheit, Ignoranz und Desinteresse
gehalten. Die freie Presse ist nicht mehr weit von der Gleichschaltung
entfernt – die Eigentumsverhältnisse der großen Sender
und Blätter verdienen durchaus nähere Betrachtung. Statt ausgewogenen
Informationen gibt’s Wrestling für den Junior, eine nette Soap
für Mami, und für Papa einen kernigen Actionthriller. God bless
America! God bless the Dudes!
Mr.Moore wird kein neuer Dr.Martin Luther werden. Eher wird sich sein
Schicksal dem tragischen Weg von dessen vormaligem Kampfgefährten
Dr.Thomas Müntzer annähern. Die Vereinigten Staaten haben da
so ihre Erfahrung, wie mit der unliebsamen Freiheit des Wortes und der
Tat umzugehen ist. Martin Luther King, Malcolm X., John F. und Bobby Kennedy,
Abe Lincoln – wir sagten schon: Mr.Moore ist sich seines Risikos
durchaus bewußt.
In einem kurzen Zuruf wurde dieser tapfere und kluge Mann von dem Thronräuber
Bush schnoddrig beschieden, er möge sich einen ordentlichen Job suchen.
Mr.Moore hat schon einen – und denn macht er weitaus besser, als
jener Unsäglichste unter allen Bewohnern des Weißen Hauses.
Kunststück! Der macht ihn nämlich überhaupt nicht.
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