zurück
zum Landboten
|
Fromme Fernsehserien aus den
U.S.A.
K. K. Bajun
Was waren das doch für Zeiten,
als die Revolverhelden des Wilden Westen über die Mattscheiben der
restlichen Welt ritten und aus der Hüfte ballerten, was das Zeug
hielt. Was für Kerle! Wie sie das Recht des Schnelleren, des Stärkeren
behaupteten und wie ihre in den Studios Hollywoods auf Hochglanz geschminkten
Filmdamen dann zu ihnen hinaufhimmelten!
Ach, Goldene Zeiten! Sie prägten ganze Fernsehgenerationen –
dahin, dahin!
Der kalte Krieg bestimmte die Ära, und Hollywood zeigte den Russen,
was ihnen blüht, wenn sie biederem amerikanischen Farmland zu nahe
kommen sollten. Der Russe begriff nicht und rüstete weiter.
Der klassische Western kam aus der Mode. Die finster blickenden, aber
dennoch edlen Rächer jedoch wollten noch lange nicht klein beigeben.
Und so schossen und prügelten sich die Nachfolger John Waynes durch
Abfalltonnen von Zelluloid. Als Boxer wie Sylvester Stallone, Jean Claude
van Damme, Arnold Schwarzenegger oder Ralf Müller verkleidet, oder
als Ordnungshüter, als futuristische Weltraumhelden – immer
trafen sie auf ganz irdische Konflikte, sie lösten sie stets nahe
am Rande der Legalität – das Wichtigste war, es ging hart zur
Sache. Blut mußte fließen, Schurkenblut – und wenn’s
ging – in Strömen.
Das Kolosseum und seine Gladiatorenkämpfe kehrten zurück in
die ach so zivilisierte Welt. Wohlig stöhnte das Volk auf. Nun ja,
diesmal verliefen die Spiele etwas gemäßigter – es war
zumeist Filmblut, was da über die Leinwand rann.
Ja nun, die Geschichte hatte aber einen Haken: Irgendwann vermochte der
filmkonsumierende Nachwuchs nicht mehr zu unterscheiden zwischen der Fiktion,
die ihm aus der Glotze entgegenrieselte und der Realität draußen
auf der Straße. Da in einer auf schrankenlosen und amoralischen,
ja nachgerade asozialen Individualismus gedrillten Gesellschaft Begriffe
wie Anstand im Umgang miteinander, Höflichkeit, Fairneß, Respekt
und Achtung vor dem Gegenüber, Rücksichtnahme und defensive
Konfliktbewältigung keine Nachfrage verzeichnen, so fiel die Aussaat
der cineastischen Rauhbeine auf fruchtbaren Boden.
Wir könnten auch sagen: furchtbaren Boden. Denn das Gemetzel und
die moralische Verwahrlosung schwappten aus den Kinosälen und Wohnzimmern
hinaus auf die Straße. Was die meisten Gewalttäter übersahen
oder übersehen wollten, war der Umstand, daß ihre Opfer wahrscheinlich
nicht so mir nichts dir nichts wieder aufstanden. Aber wer wollte das
schon wissen! Denn – stand jemals hinter einem tödlich getroffenen
und pflichtgemäß umgekippten Statisten eine Biographie? Irgend
etwas, was darauf hinwies, daß es sich hierbei auch um einen einzigartigen
und unwiederbringlichen Menschen handelte? Daß hier tausendmal gegen
Gottes Gebot verstoßen wurde: „Du sollst nicht töten!“?
Nein, das Gegenteil war Inhalt der Botschaft: Identifiziere Dich mit dem
Superhelden und walze alles nieder, was Dir im Wege steht! Die anderen,
die Schwächeren, die Niedergewalzten sind von ihren Müttern
nur geboren und aufgezogen worden, um in Augenblick des Niederfallens
Deinen Ruhm zu mehren! Die Botschaft kam an. Sie kam an in den Favelas,
den Slums, sie kam an in Hoyerswerda und in Rostock, Berlin-Marzahn und
Halle-Neustadt!
Und irgendwann muß es dann wohl den braven Bürgern zuviel geworden
sein. Ganz Wohnviertel amerikanischer Städte wurden des brutalen
Terrors wegen, der in ihnen herrschte, selbst von der Nationalgarde gemieden.
Wir erinnern nur an das besonders berüchtigte Los Angeles South Central.
Irgendwann machte die ewige Gewalt keinen Spaß mehr. Und schon nach
Vietnam, in der Zeit von Flower Power, begann ein zaghaftes Umdenken.
Nein, nicht was Sie denken. Die Menschen gingen keineswegs zivilisierter
miteinander um. Die alten Schemata wie: „Grins deinen Nächsten
an und stoße ihm derweil das Messer in den Rücken!“,
hatten nach wie vor programmatische Bedeutung. Nur, der Dolchstoß
mußte diplomatischer erfolgen. Kein Blut sollte fließen: Verstehen
Sie! Man kann zu einem Neger auch „Dunkelhäutiger“ sagen
und ihn trotzdem behandeln wie den letzten Dreck. Man kann einen Indianer
mit dem Titel „Native American“ beehren und ihn trotzdem in
den kümmerlichen Reservaten im Alkohol ersaufen lassen.
Und man kann den Mitarbeiter oder Konkurrenten mit einem freundlichen
Lächeln begegnen und ihn trotzdem bei der nächsten Gelegenheit
eiskalt abservieren!
Jeder hatte also nach wie vor Angst vor jedem: der Chef vor seinen Chefs,
diese vor ihren Konkurrenten, die Verkäufer vor dem Kunden, alle
vor den Banken, und am Ende jeder für sich und Gott gegen alle! Man
rannte mit seinen Neurosen zum Psychiater und die Seele brüllte derweil
nach Frieden, nach Harmonie, nach etwas Entspannung. So ganz nebenbei
tauchte in diesem Kontext das Wort „Political Correctness”
auf. Tritt Deinem Nächsten nicht auf den Schlips, sonst kriegst Du
ganz sanft was in die Fresse!
Und die Seele brüllte weiter. Irgendwo mußte doch das Land
liegen, in dem man keine Angst vor dem Morgen haben mußte, in dem
man nicht permanent herumgeschubst wurde! Irgendwo mußte es doch
sein. Und Hollywood begriff sofort: Bei uns natürlich! Wo denn sonst!
Und dann ging’s los: Die gezähmten Serien als Spiegelbild der
momentanen gesellschaftlichen Sehnsüchte quollen über das Land.
Wo früher knallharte Marshalls die Straßen von Dodge City von
zwielichtigem Pack befreiten, und Frauen nichts anderes zu tun brauchten,
als ergeben und entzückt zu den Urbildern amerikanischer Männlichkeit
aufzuschauen, da tummelten sich nun die Softies und die Emanzipierten.
Ja doch, selbst auf den Straßen des Wilden Westens. Der wurde über
Nacht zum Zahmen Westen. Die Edlen kümmerten sich nun um Indianerangelegenheiten,
Frauen wurden in kleinstädtischem Milieu zum Zwecke der Selbstverwirklichung
berufstätig, alles war so schrecklich aufgeklärt, daß
man sich wundert, warum bis auf den heutigen Tag noch keine einzige amerikanische
Frau das Amt des Präsidenten der U.S.A. bekleidete.
Wie gesagt, es geht hier um Illusionen. Sowenig die Western von damals
und heute die tatsächliche Situation im mittleren Westen der U.S.A
in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts widerspiegeln,
so wenig spiegeln sie die Gegenwart. Sie reflektieren immer nur die Sehnsüchte
ihrer jeweiligen Entstehungsepoche.
Wir erkennen dies am deutlichsten an den Episoden um das Raumschiff „Enterprise“,
von Anbeginn bis auf den heutigen Tag.
Aber auch dieser ganze süßliche Kram um „Picket Fences“,
zu deutsch „Gartenzäune“, „Dr.Quinn, Ärztin
aus Leidenschaft“, „Alle unter einem Dach“, „Dr.
Huxtable“ und wie die ganzen Schnulzen alle heißen mögen,
diese ganzen verlogenen Miniaturen aus einem Alltag, der so nie existiert
hat und nicht existieren kann, hat nur einen Zweck: Er soll den Zuschauern
eine heile Welt vorgaukeln. Und eine lustige noch dazu. Seht hin! Das
gibt’s! Es geht doch! Nebenher ist noch ein wenig moralisierende
Pseudoedukation verbaut, um dem Streifen einen wertvollen Anstrich zu
verleihen. Und das Volk, dieser ewig sensationslüsterne, voyeuristische
und harmoniegeile Schlüssellochgucker, glotzt beseligt.
Es ist dasselbe stumpfe, hirnlose und tumbe Glotzen, was schon in den
Pupillen ihrer römischen Vorfahren zu beobachten war, wenn sie in
den Arenen den Viechern, Sklaven und Gladiatoren beim Sterben zusahen.
Es ist schauerlich, aber nicht zu ändern. Man kann dem einzelnen,
wachen und lebensfrohen Geist nur wünschen, daß es ihm gelinge,
sein eigenes, reales Leben in die Hand zu nehmen, ohne die Zeit mit irrealen
Wachträumen vor der Mattscheibe zu vertun.
Die reale Welt bietet viel. Mehr als ein Menschenleben je zu erfahren
imstande wäre. Doch für die Macher der Hollywood-Serien birgt
sie eine gewisse Gefahr: daß Menschen sich von den Illusionen abkehren,
wenn sie begreifen, daß dieses einzige Leben nicht ewig währt.
Daß jede Sekunde zu kostbar ist, um sie mit Illusionen zu vertun,
aus der andere, gerissenere und sicherlich hart arbeitende Leute unendlich
viel Geld schinden.
Doch Hollywood kann sich beruhigt zurücklehnen. Die Masse der Berieselungssüchtigen
wird immer konstant groß und berechenbar bleiben und deren Urtrieb
nach fauler Zerstreuung desgleichen.
Wenn man also das alte deutsche Sprichwort „Wat dem eenen sin Uul,
si dem andern sin Nachtigall“ zugrunde legt, könnte man resignierend
feststellen, daß den Machern der Serien wirklich eine Nachtigall
trällert, weil sie es meisterhaft verstehen, ihren Konsumenten die
Eulen für ebensolche königlichen Singvögel zu vertickern.
Und das in jedem Gewande.
HERR, an welchem Tage erschufest Du die menschliche Dummheit...?
|