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zum Landboten
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Chile
– ein Putsch und viele Lügen
oder: warum man nicht alles glauben soll
Don Miquele Barbagrigia
„Mein Gott, sind wir
beschissen worden!“. Dieser Satz – wie oft mag er wohl schon
geseufzt worden sein? Von den deutschen Soldaten, die nach vielen Jahren
aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft heimkehrten, von amerikanischen
Veteranen aus Vietnam und dem Iran, von ausgedienten DDR-Bürgern
beim obligatorischen Spaziergang durch das Regierungsdorf von Wandlitz…
Nur ein paar Beispiele von vielen.
Mir entfuhr er, als ich mich über die wahren Hintergründe und
Ereignisse um den Chilenischen Putsch informierte. „Mein Gott, sind
wir belogen
worden!!!“
Ich war damals, im Jahre 1973, wegen gewisser eloquenter Ansätze
und um meines besonderen politischen Interesses wegen zum Klassenagitator
gewählt worden. Dieser Posten war nun nicht eben sehr glücklich,
weil er mich dazu verdonnerte, der Klasse das politische Tagesgeschehen
aus aller Welt unter Aspekten zu vermitteln, die nicht die immer die Meinen
waren. Mehr als einmal trat ich ins Fettnäpfchen der damals herrschenden
„political correctness“. Als ich beispielsweise die „verbrecherischen
Zwangssterilisierungsmaßnahmen von Indira Gandhi“ auf dem
Subkontinent verkündete. Nehrus Enkelin aber wurde zu diesem Zeitpunkt
aus strategischen Erwägungen sehr vom Kreml umworben, und deshalb
unbedingt zu „unseren Freunden“ gezählt, die trotzig
dem amerikanischen Imperialismus und internationalen Neokolonialismus
die Stirn boten. Folgerichtig erhob sich sofort der wütende Protest
der supervisitierenden Klassenlehrerin.
Ich mochte die Palästinenser nicht, dafür um so mehr die Juden.
Der Sieben-Tage-Krieg fand mich mit dem Herzen auf Seiten des „Magen
David“, des Judensterns. Moische Dajan war mein persönliches
Idol! Eine harte Konfrontation war vorprogrammiert. Sollte doch im Anschluß
für die Palästinenser gespendet werden. Natürlich nur,
um Wolldecken und Medikamente für die armen, friedliebenden palästinensischen
Flüchtlinge zu kaufen. Ach Gottchen. Daß eigentlich Maschinenpistolen
auf der Wunschliste des friedlichen Volkes der Palästinenser standen,
um damit die Juden nach Aussagen Nassers und Arafats ins Meer treiben
zu können, das verschwieg man den großen, kleinen und erwachsenen
Kindern wohlweislich. Das hätte ja den Mythos von den Guten, den
Reinen beschädigen und den Kontrast zu den Bösewichten verwischen
können. Ich aber wollte nicht für Spenden agitieren, die an
Leute gingen, die sich den Tod von Juden aufs Panier geschrieben hatten:
Weder Stacheldraht für Auschwitz, noch Maschinenpistolen für
Palästinenser! Punkt!
Und dann, am Anfang des neuen Schuljahrs, so ziemlich zu Beginn meiner
Amtszeit, hatte ich die traurige Pflicht, meine herzlich uninteressierten
Altersgenossen vom Sturz und vom Ableben Dr.Salvador Allendes zu unterrichten,
von dem Militärputsch des Generals Pinochet, vom Sturm auf die Moneda.
Die Vorgänge in Chile kamen auf die Tagesordnung. Natürlich
mußte ich erzählen, was mir an Informationen vorgegeben wurde.
Das hörte sich dann an jenem Mittwoch, dem 12.September 1973 so an:
„Also, liebe
Kameraden, der Präsident von Chile, der Dr.Salvador Allende ist tot.
Er wurde von putschenden Generalen gestern in seinem Regierungspalast
in Santiago de Chile, der Moneda, erschossen. Hinter dem Putsch stecken
amerikanische Militärs und die CIA, die sauer darüber waren,
daß Präsident Allende ein Marxist war und den Sozialismus nach
Südamerika bringen wollte. Präsident Allende hatte die großen
Industrien und Bergwerke, die sich alle in den Händen der amerikanischen
Großindustriellen befanden, verstaatlicht, auf daß die dort
Beschäftigten endlich in den Genuß der Früchte ihrer Arbeit
kommen und nicht mehr so unmenschlich ausgebeutet werden. (In einem Aufwasch
wurde auch noch der Mittelstand enteignet, der doch eigentlich das Rückgrat
einer funktionierenden Nationalökonomie sein sollte. Doch davon wußte
ich seinerzeit noch nichts.) Er setzte es durch, daß jedes chilenische
Kind am Tag einen Liter Milch bekommt, er senkte die Kindersterblichkeit,
tat was gegen die Unbildung und den Analphabetismus, er fror die Mieten
und Lebenshaltungskosten ein, er erhöhte den Arbeitern die Löhne.
Und siehe, da ließ das Kapital seine Maske von der freien Welt fallen
und erwies sich als das, was es nach Marx schon immer war: als eine raubgierige
und mörderische Bestie, die hochgerüstet und brutal über
jeden herfällt, der sich ihr und ihren Interessen in den Weg stellt.“
Die Genossen Mitschüler waren beeindruckt. Jedenfalls taten sie so.
Die Tochter des stellvertretenden Stasi-Chefs der Stadt (heute sind beide
Immobilienmakler) war wirklich betroffen. Die Tochter eines Berufoffiziers
war es auch. Wut auf die feigen Amerikaner, die wieder einmal ein freiheitsliebendes
Volk unterjochen, das sich doch nur mal eben auf dem Weg in eine lichte
Zukunft befand, brach sich in spontanen Protestkundgebungen Bahn. Zumal,
als sie vom Heldentod des Präsidenten hörten, wie er sich hinter
seinem Schreibtisch verschanzt hatte und sich mit der Maschinenpistole,
die ihm Compadre Fidel Castro seinerzeit als Zeichen seiner unverbrüchlichen
Freundschaft geschenkt hatte, gegen die entmenschten Horden bis zur letzten
Patrone verteidigte. Die Soldateska des Imperialismus erschoß den
wehrlosen Präsidenten, als dessen Magazin leer war. Ein Heldenmythos
war geboren. Die gerechte Sache aller Werktätigen der ganzen Welt
hatte einen neuen, hell strahlenden Stern am Himmel seiner Märtyrer.
Von nun an hieß es aus allen Kehlen: „Freiheit für Luis
Corvalan!“ (Damals Generalsekretär der Kommunistischen Partei
Chiles), „Freiheit für Victor Jara!“ (ein Nachtigall
der chilenischen Linken, der unter gräßlichen Umständen
im berüchtigten Stadion-KZ von der Junta zu Tode gefoltert wurde),
nieder mit den Putschisten, „Venceremos!“, was soviel bedeutet
wie: „Wir werden siegen!“ Ja, ja…
Der Name der deutsch-faschistischen Siedlung Tres Alamos, deren Bewohner
den Putschisten aktive Hilfe leisteten und sich hernach an der Folterung
und Tötung der Oppositionellen beteiligten, war in aller Munde. Die
größte DDR der ganzen Welt stand auf wie ein Mann. Die Putschisten
wankten… Nein, nicht wirklich. Das war so ein Wunschtraum der unterbelichteten
Hundertprozentigen. Die DDR machte sich in Hinblick auf Chile nur einen
internationalen Namen – als Großasylgeber der politischen
Flüchtlinge aus dem Andenstaat.
Ich selbst war mit dem emigrierten Señor G., einen Rechtsanwalt
aus Santiago bekannt. Und der gab die gleiche Version an. Verständlich.
Wes Brot ich eß’, des Lied ich sing. Wer sonst hätte
ihn aufgenommen? Und Chile war ein heißes Pflaster für ihn
geworden.
Nun aber, nach einunddreißig Jahren stellen sich einige Fakten in
einem durchaus anderen Lichte dar.
Nicht, daß Herr Allende kein menschlicher Präsident gewesen
wäre, der nicht das Beste für die Armen seines Landes gewollt
hätte. Hier stehen andere Aussagen zur Debatte, die handfeste Lügen
im Dienste der Propaganda waren, um das Volk, den großen Lümmel,
auf Kurs zu bringen. Wenn man weiß, wie es geht, ist es gar nicht
so schwer: Das Volk lauscht schon seit Jahrtausenden am liebsten schönen,
glatten und heroischen Heldensagas.
Was also war falsch an den offiziellen Darstellungen?
Fangen wir also an mit den Ungereimtheiten.
Zunächst einmal muß man feststellen, daß auch für
Präsident Allende galt: Das Gegenteil von Gut ist nicht Böse,
sondern Gutgemeint! Die Maßnahmen, die er ergriff, führten
zu einer gewaltigen Kapitalflucht. Die Finanzpolitik Allendes brachte
das Land an den Rand eines ökonomischen Kollapses. Die Inflation
galoppierte mit 300% dahin – die gutgemeinten Reformen waren einfach
nicht mehr zu bezahlen. Unruhen auf den Straßen waren die unvermeidliche
Folge, denn den Leuten ging es plötzlich noch dreckiger als vorher.
Ein Kreditgesuch in Moskau, vorgetragen von Allende an den Kremlherrn
Breschnjew persönlich, wurde vom KGB(!) abschlägig beschieden.
Zur gleichen Zeit lies der sowjetische Botschafter Dobryinin in Washington
seinen Waffenbruder Allende schnöde fallen. Warum? Nun, es kotzte
die roten Zaren und Bojaren mächtig an, daß der Marxist Allende
selbst nach dem Erlangen der Macht noch an demokratischen Spielregeln
festhielt und sich weigerte, sein Land in eine rote Diktatur unter der
Rigide Moskaus umzuwandeln. Wenn er das getan hätte…ja dann,
dann hätte man vielleicht mit sich reden lassen. So einen Außenposten
in der südlichen Hemisphäre mit reichen Rohstoffvorkommen –
das läßt man doch nicht ohne weiteres kalt werden. So aber
blieb dieser merkwürdige Präsident ein unsicherer Kantonist.
Dobryinin also erklärte, daß die Sowjetunion an keinem zweiten
Kuba auf dem amerikanischen Kontinent interessiert sei und Chile somit
den Amerikanern überlasse. Da schachern zwei Supermächte mit
souveränen Staaten, wie Schachspieler mit ihren Figuren. Einen entsprechenden
Wert nimmt dann auch die Bevölkerung dieser Länder ein –
nämlich den der Beliebigkeit! Ein widerlicherer Verrat läßt
sich kaum denken! Moskau lieferte Allende aus, denn es war klar, daß
dieser ohne ein sowjetisches Engagement wirtschaftlich und damit politisch
am Ende sei.
Die kommunistische Propaganda verschwieg wohlweislich, daß der spätere
Kopf der Junta, General Augusto Pinochet kurz vorher in Moskau gewesen
sei, um Waffen zu erstehen. Waffen im Wert von $100.Mio! Ein Geschenk
Allendes an die Militärs, um sich deren Loyalität zu versichern.
Welch ein Wahnsinn! Das Raubtier anfüttern, damit es noch kräftiger
werde – in der irrsinnigen Hoffnung, es werde einen dann verschonen.
War der Mann wirklich so grenzenlos naiv?
Irgendwann begriff Allende seine katastrophale Lage und die des Landes
auch und regte eine Volksabstimmung an, bei der er sein Amt zur Disposition
zu stellen gedachte.
Das sollte am Montag dem 10.September 1973 geschehen. Doch Pinochet hielt
ihn hin und überredete ihn, diesen Punkt erst am Mittwoch auf die
Agenda zu setzen. Pinochet? Aber ja doch. Der grundverdorbene Oberfaschist
war doch vor ganz kurzer Zeit erst von Allende zum Oberbefehlshaber der
chilenischen Streitkräfte ernannt worden und galt als dessen enger
Vertrauter und loyaler Freund! Auch du, mein Sohn Brutus…? Wie sich
doch die Geschichte allenthalben wiederholt. Das liegt daran, daß
die Menschen ewig dieselben bleiben.
Am Dienstag schlug das Militär dann zu.
Das aber ist richtig: Allende hatte sich in der Moneda verschanzt. Pinochet,
der von seinesgleichen gedrängt wurde, sich an die Spitze des Umsturzes
zu setzen, wollte seinen ehemaligen Dienstherren da raus haben. Kein Putschist
hatte indeß die leiseste Absicht, ihn im Präsidentensessel
zu töten. Die Geschichte von Macbeth war auch in Chile nicht unbekannt.
Und so wußten wenigstens die führenden Köpfe des Staatstreiches,
daß ihnen der Mord am guten König Duncan eine verdammt schlechte
internationale Presse verschafft und für die Zukunft eine hohe Hypothek
aufbürdet. Solche punktuellen Ereignisse voller Dramatik bleiben
im Gedächtnis der Menschen immer intensiver haften, als zum Beispiel
eine dem Putsch folgende Konsolidierung der Wirtschafts- und Sicherheitslage
im Lande
Gleichwohl wurde der Präsidentenpalast bombardiert. Doch nach übereinstimmenden
Aussagen seiner Leibwächter und seines Arztes setzte Allende selbst
die Waffe an sein Kinn und schoß sich eine Kugel durch den Kopf.
Selbstmord,, also. Nichts mit Heldentod! Es sei denn, wir verbuchen diese
Tat als eine Art Harakiri. Doch Dr.Allende war lateinamerikanischer Jurist
und kein japanischer Samurai.
Dem aber gingen noch andere Unstimmigkeiten voraus, die von der kommunistischen
Propaganda wohlweislich verschwiegen wurden: Nichts hörte man davon,
daß Allende seine schlimmsten Feinde in den eigenen, den sozialistischen
Reihen sah, und nicht etwa in Washington. Die enteignete „Anaconda“,
vormalige Besitzerin der weltgrößten Kupfergruben von Chiquicamata,
war bösartig. Señor Altamirano aber, ein Sozialist durch und
durch, war noch einen Zahn schärfer: Der dachte gar daran, den US-Amerikanern
in Chile ein zweites Vietnam zu etablieren. Wir wissen, es kam anders.
Südamerika, die Heimat uniformierter Schlächter, verwandelte
auch Chile in ein Schlachthaus, in dem die siegreichen Konservativen das
Land erst einmal von oppositionellen Kräften „befreiten“.
Die Wirtschaft allerdings begann zu gesunden. So sehr, daß nach
dem Zusammenbruch der größten DDR der ganzen Welt deren letzter
Staats- und Regierungschef Honecker mitsamt seiner Margot nun hocherfreut
im Gegenzug das politische Asyl Chiles annahm, das sie sich in den Jahren
der Gastfreundschaft für chilenische Emigranten so wohlverdient hatten.
Daß die Militärs und die U.S.A an ihrem neuen Wohnsitz noch
immer das Sagen hatten, störte das illustre Stalinistenpärchen
nicht weiter. Sie hätten sich ja auch nach Nord-Korea zurückziehen
können. Aber das wollten sie nicht. In Viña-del-Mar, dem Nobelvorort
Santiagos am Pazifik, lebte es sich doch viel luxuriöser! Das eine
Honecker-Tochter dort schon seßhaft geworden war und die heimatlos
gewordenen, von Reaktionären vertriebenen Eltern bei sich aufnahm,
ist die fadenscheinigste aller Begründungen für diesen denkwürdigen
Umzug, dessen Ziel sich so gar nicht mit der Ideologie vertrug, die die
Honeckers über Jahrzehnte hinweg siebzehn Millionen Menschen in die
Köpfe hinein zu tyrannisierten versuchten.
Das Abscheulichste an der ganzen Sache ist aber, daß wir am Beispiel
des Saarländischen Dachdeckers und GeStaPo-Kalfaktors Erich Honecker
und seiner unerträglichen Ehefrau erkennen, daß selbst die
Leute, die uns den Typus des neueren, des besseren Menschen verkaufen
wollten, aus nichts als machtbezogenen Lügen bestanden.
Lügen, mit denen sie letztendlich ein ganzes Gesellschaftssystem
durchflochten. Lügen, die immer abstruser wurden und schließlich
in eine Art Pseudoreligion mündeten. Als Successor des von den Kommunisten
abgelösten staatlichen Christentums belferten die neuen Machthaber
nun auch täglich: „Glauben müßt ihr! Glauben! An
unsere gerechte Sache, an die hehre Zukunft, an die Unfehlbarkeit von
Partei und Regierung – glaubt, bis die Schwarte kracht!“ Und
sie krachte, 1989 im November. Ab da glaubten wir dem Dr. Kohl. Aber das
ist eine andere Geschichte.
Das alles macht pessimistisch, weil man irgendwann aufhört, an eine
Besserungsfähigkeit des Menschen zu glauben. Keine gute Vorraussetzung,
an einer lebenswerteren Welt zu arbeiten. Denn, das wollen wir den Christen
gerne glauben: Ein Mensch ohne Glauben ist ein Mensch ohne Hoffnung!
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