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Der Kanzler und das Peterprinzip
Jules-Francois
Savinien Lemarcou
In den späten Siebzigern des letzten Jahrhunderts wartete der kanadische
Professor Lawrence C. Peter mit soziologischen Betrachtungen auf, die
er im Nachfolgenden und zu einem ebenso amüsanten wie aufschlußreichen
Buche zusammengefaßt das „Peter-Prinzip“ nannte.
Dieses Prinzip umschreibt grob gesagt die Positionierung einzelner Persönlichkeiten
auf Grund ihrer Qualifikation innerhalb einer Gesellschaft.
Das Erstaunliche aber ist, daß sich die meisten Menschen nicht,
wie das Klischee es vorhersagt, immer weiterentwickeln, bis sie irgendwann
einmal einen Posten erreicht haben, der ihnen die optimale Umsetzung ihrer
gewonnenen Weisheit und Erfahrungen ermöglicht, sondern sie eine
Stufe der Unfähigkeit und Inkompetenz erreichen, auf der sie dann
zum Schaden aller und sich selbst verharren, bis sie aus dem Erwerbsleben
ausscheiden.
Wie kommt das? Nun, die Erklärung, die Herr Peter mitliefert, ist
ebenso banal wie einleuchtend: Ein Mensch, der auf seinem Gebiet dank
seiner Fertigkeiten Meriten erwarb, wird in aller Regel von seinen Kollegen
oder Vorgesetzten dieser Eigenschaften wegen geschätzt. Die Chefs
verfallen dann häufig dem verbreiteten Irrtum, daß dieser Mensch
zu Besserem berufen sei und an entsprechend höherer Stelle mit seinem
Potential weit mehr im Sinne der Sache zu leisten imstande sei. Er wird
befördert.
Auf seinem neuen Posten angekommen, sieht sich der Geehrte jedoch Problemen
ausgesetzt, die sich oft fundamental von denen seines bisherigen Wirkungskreises
unterscheiden. Er ist ihnen nicht gewachsen, er reagiert überfordert,
er macht Mist. Jetzt ist keiner mehr interessiert, den Unglücksraben
zu befördern, höchstens ihn wegzuloben, denn das Degradieren
ist doch eine zu unfeine Sache. Zumal ein solcher Vorgang unweigerlich
auf die zurückschlagen würde, die den ehedem glanzvollen Aufsteiger
erst auf die Position lancierten, auf der er sich vom Könner zum
Versager wandelte. Wir wollen ein Beispiel nennen:
Eine Lehrerin, die ausgezeichnet mit Kindern umzugehen verstand und daher
über viele Jahre hinweg in ihren Fächern exquisite Jahrgänge
von der Schule verabschieden konnte, wird nach der Vakanz des Rektorenpostens
sowohl von ihren Kollegen als auch vom Kreisschulrat für diesen Posten
nominiert, Nun aber hat sie mit der Verwaltung, der Ausarbeitung und Koordination
der Dienst- und Schulpläne, der Verhandlungen mit dem Schulrat und
dessen Behörden um notwendige Bereitstellung von Geld- und Unterrichtsmitteln
und den Querelen der Kollegen untereinander zu tun. Unterricht hält
sie, wenn es hoch kommt, noch gerade mal zwei Stunden in der Woche. Beim
Lehren von Kindern war sie Spitze! Mit dem anderen Kram hatte sie vorher
nie zu tun gehabt. Hier hat sie kein glückliches Händchen. Der
Kreisschulrat, mit dem sie zäh verhandeln muß, ist kein Kind.
Er ist ein Erwachsener. Und noch dazu ein sehr profilierter. Ein schwieriger
Mann, bei dem alle Strategien zur Lenk- und Formbarkeit von Kindern kläglich
scheitern müssen. Dasselbe trifft auf die Probleme der Kollegen zu.
Deren Qualität ist eine andere, als bei Kindern. Na ja, sie sollte
es zumindest sein. Organisieren war noch nie ihre Stärke –
Dienstpläne sind ihr ein Horror. Und so fallen sie auch aus. Der
Ärger mit dem Kollegium ist vorprogrammiert. Die Bewältigung
des Theaters erweist sich als insuffizient, was dieses noch verstärkt,
siehe oben.
Ähnliches läßt sich auf fast alle Branchen applizieren.
Also schlußfolgern wir: Hierarchien produzieren unweigerlich Nieten,
wenige Ausnahmen eingerechnet.
Der Nackte Affe aber ist, seit Darwin und Morris wissen wir es, ein Rudeltier.
Und in Rudelverbänden sind Hierarchien unabdingbar. Wo zwei Individuen
aufeinandertreffen, geht es sofort um die Frage der Macht, um das „Oben“
und das „Unten“.
Wenn wir das Gesagte mit spinozistischer Sachlichkeit überdenken,
so erklärt sich vieles, was angesichts eklatanter gesellschaftlicher
Fehlleistungen immer wieder Erstaunen hervorruft.
Wir erinnern des Bestsellers „Nieten im Nadelstreifen“, der
vor einigen Jahren für Wirbel auf dem Buchmarkt sorgte. Dieses Werk
zeigte Beispiele aus exponierten Positionen in Politik und Wirtschaft,
wofür Herr Lawrence den wissenschaftlichen Unterbau lieferte.
All das stimmt uns nachdenklich: Durch eigene Beobachtungen über
Jahre hinweg können wir nicht anders, als die geschilderten Sachverhalte
immer wieder zu bestätigen.
Ziehen wir mal gedanklich einen kühnen Bogen in die Spitze der „Deutschland-AG“,
ins Bundeskanzleramt. Bekanntlich ist es ja dem Kanzler vorbehalten, die
Richtlinien der Politik zu bestimmen. Diese Richtlinien jedoch begleiteten
seit seinem Amtsantritt einen chronischen Verfall des Staatshaushaltes.
Lassen wir dabei außer Acht, daß die Situation so schon von
seinem Amtsvorgänger, dem Dr. Kohl, übernommen wurde, halten
wir dem Herrn Bundeskanzler fernerhin zugute, daß die vielfältigen
Ursachen dieser schweren und anhaltenden Krise weitaus früher anzusiedeln
sind, so bleibt doch unter dem Strich bestehen, daß Herr Schröder
in seinem Regierungsamte bei weitem nicht an die Erfolge anknüpfen
kann, die er als Ministerpräsident des Landes Niedersachsen errang.
Seinem Prädezessor war dasselbe Schicksal beschieden, das prägnanteste
Fiasko erlebte diesbezüglich Ludwig Erhardt.
Die Reihe ließe sich beinahe beliebig fortsetzen und beweist, daß
der Erfolg auf einer „niedrigeren“ Ebene keinesfalls eine
Legitimation für das nächsthöhere Amt ausweist. Ja, eher
das Gegenteil scheint der Fall zu sein. So sei Herr Stoiber gewarnt: Schaffte
er im Gegensatz zu seinem Vorgänger FJS den Sprung auf den Kanzlersessel,
er würde unweigerlich seine eigene Legende zertrümmern. Deutschland
ist nicht Bayern!
Bei uns in Brandenburg sieht es ähnlich aus: Herr Platzeck, vom Volke
auch liebevoll der Deichgraf genannt, weil er während der Oderflut
Wunder wirkte, war ein hervorragender Potsdamer Bürgermeister. Doch
das Land Brandenburg aus seiner tiefen strukturellen und ökonomischen
Krisis befreien – das vermag auch er nicht. Wie auch, ein guter
Kompaniechef, der an der Spitze seiner Truppe jahrelang glänzte,
eignet sich derhalben noch lange nicht zum General! Dafür ist ein
ganz anderer Horizont vonnöten. Zur Ehrenrettung des Kompaniechefs
sei aber gesagt, daß sich die meisten Generäle bei einer Vorortentscheidung
dann ebenfalls brasselig anstellen würden, wenn sie ihre Karriere
nicht Schritt um Schritt aufgebaut haben und somit der erforderlichen
Erfahrungen entbehren.
Es ist also wünschenswert, daß das Peterprinzip unters Volk
gebracht werde, um die Kriterien für die Auswahl der Entscheidungsträger
auf breiter Basis umzugestalten.
Natürlich steht ein solcher – wie wir natürlich wissen
– irrationaler Vorschlag in krassem Gegensatz zu den Interessen
der aufstrebenden Kader. Denn diese drängen ja naturgemäß
an die Spitze der Pyramide. Auf die Einsicht solcher Leute in höhere,
das heißt Staatsinteressen zu vertrauen, ist schlichtweg abstrus.
Man wird eine solche Intention bei den wenigsten finden.
Und selbst, wenn die Ziele solcher Personen von geforderter Selbstlosigkeit
und Ehrenhaftigkeit geprägt sein sollten, so werden sie sich doch
in ihrer Leistungsfähigkeit durchaus selbst überbewerten. Was
sie bis zu diesem Punkte geschafft haben, verleitet sie zu dem Glauben,
es ginge ewig so weiter und kein Ende wäre abzusehen. Ja, sie selbst
sind es, die unablässig auf ihre Referenzen verweisen und den Mythos
vom Alleskönner nähren. Denn, gerade ein Charakter, dem Selbstverleugnung
und Infragestellung der eigenen Fähigkeiten weitestgehend fremd ist,
ist dem Kampf um die Karriere förderlich. Die Lauen und Selbstzweifler
werden beizeiten vom System ausgespuckt.
Wenn die vormaligen Cracks dann ihre Stufe der Inkompetenz erreicht haben
und ihre Fehlleistungen zunehmen, so sind selbstredend die anderen dran
Schuld. Die politischen Gegner, die unfähigen Zuarbeiter aus den
eigenen Reihen, die Widrigkeiten und nachteiligen Umstände –
nur sie selbst nicht!. Denn – würden sie Fehler machen, wären
sie dann jetzt auf diesem Posten?
Diese Argumentation nützt aber den Opfern ihrer Inkompetenz nichts.
Und da liegt der Hase im Pfeffer.
Die Frage bleibt nämlich bestehen, nach welchen Kriterien sich ein
potentieller Entscheidungsträger sonst erkennen ließe, wenn
nicht an seinen bisher bezeigten Leistungen. Und wann er seine persönliche
Stufe der Inkompetenz erreicht, wer vermag das im Voraus zu sagen? Selbst
wenn sich dafür sichere Zeichen erkennen ließen, wer könnte
denjenigen dann noch erfolgreich ausbremsen? Wird sich doch der zukünftige
Vortänzer auf seinem Karriereweg so etwas wie eine solide Hausmacht
aufgebaut haben, die ihn schon aus Eigeninteresse allen Schutz angedeihen
lassen und ihn protegieren, wo es nur geht. Kommt er nach oben, dann hat
er sich schon nach unten hin abgesichert – dessen kann man gewiß
sein. Es sind derer nur wenige Großkopferte, die man mit einer Kugel
erlegt. Also, was tun? Wir wissen es auch nicht, zugegeben. Aber darüber
nachdenken wollen wir.
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