Foltervorwürfe gegen
den Herrn Daschner
Jules-Francois Savinien
Lemarcou
Am 18. November 2004 beginnt
vor dem Landgericht zu Frankfurt am Main ein Prozeß sehr delikater
Natur. Zu verantworten hat sich neben einem Kriminalbeamten auch der
Vizechef der Frankfurter Polizei, Herr Daschner.
Beiden Beamten legt man zur Last, daß sie im Rechtsstaat Bundesrepublik
Deutschland einen Delinquenten während des Verhörs mit Folter
drohten, um ihn zur Beantwortung der Frage nach dem Aufenthaltsort
seines Opfers zu zwingen. Der eine Beamte drohte, der andere wies
an. Beide gingen zu diesem Zeitpunkt davon aus, daß der kleine
Bankierssohn Jakob von Metzeler noch am Lebe sei, jedoch in ernster
Gefahr schwebe.
Ich schrieb schon einmal zum Thema „Folter“ im „Preußischen
Landboten“. Der Artikel wurde am 18. Mai 2004 im Dritten Volumen
veröffentlicht.
Damals brachte ich meine große Hilflosigkeit bei der Beurteilung
diesem wirklich diffizilen Thema zum Ausdruck – zu viele unverzichtbare
und fundamentale Werte wollten ins Kalkül gezogen und gegeneinander
abgewogen werden.
Es steht zu befürchten, daß sich einige Schwarmgeister
und Unglückspropheten wieder daran machen werden, das Land über
den Streit zu spalten, ob die Handlungsweise der beiden Kriminalbeamten
gerechtfertigt war, oder nicht.
Fokussieren wird sich dieser Konflikt im Frankfurter Gerichtssaal,
in dem Spannungsfeld zwischen dem die Anklage vertretenden Staatsanwalt
und den Verteidigern. Der Richter ist in diesem Falle nicht zu beneiden.
Doch wie gehen wir damit um? Welche Haltung bekundet der Landbote?
Auch wir wollen uns die Sache nicht leicht machen.
Worum geht es hier eigentlich? Es geht in allererster Linie darum,
ob ein Rechtsstaat, der die Folter als Mittel zur Wahrheitsfindung
ablehnt und abgeschafft hat, diese in Ausnahmesituationen wieder zur
Anwendung bringen oder auch nur androhen darf.
Gibt es begründbare Ausnahmesituationen? Wenn ja, und wir beantworten
die gestellte Frage positiv, was könnte uns aus dieser Schlußfolgerung
erwachsen? Öffnen wir dann einen Deich und sind hernach nicht
mehr in der Lage, die hereinbrechenden Fluten einzudämmen? Wer
setzt eine neue und verbindliche Grenze? Wer schützt die zukünftigen
Verdächtigten vor unverhältnismäßigen Übergriffen?
Da – endlich! Wir haben einen Ansatzpunkt: Hier gab es keinen
Verdächtigen. Hier gab es einen der Tat zweifelsfrei Überführten.
Und es gab ein Opfer, das mutmaßlich noch am Leben war und dessen
Leben es zu schützen galt. Herr Daschner führt aus, er hätte
in Notwehr gehandelt. Ja, dem schließen wir uns an. Hier bestand
eindeutig der Tatbestand der rechtfertigenden Notwehr. Das Einzige,
was es nun noch zu klären gilt, ist die Frage nach der Verhältnismäßigkeit
der Mittel.
Merken sie auf! Hier geht es keinesfalls um moralische Wertungen.
Hier geht es nur um das pure, nackte Recht. Das unterscheidet sich
mitunter sehr deutlich von moralischen Empfindungen. Diese besagen
wohl recht verbreitet, daß der Strolch von Kindesentführer
für alle Zeiten bei Wasser und Brot weggesperrt gehört.
Und nun geht’s los. Was ist unverhältnismäßig?
Ganz einfach! Stellen Sie sich vor, ein unbewaffneter Mann fordert
Sie zur Übergabe Ihrer Brieftasche auf. Sie tragen den 2.Dan
im Judo und Ruckzuk fliegt der Räuber durch die Luft. Verhältnismäßig.
Der Räuber landet recht unsanft mit dem Kopf auf einem Mauersims,
erleidet einen Schädelbruch mit Todesfolge. Das war weder von
Ihnen beabsichtigt noch konnten Sie diese Möglichkeit im Augenblick
der Abwehr einschätzen. Es wir Ihnen nichts passieren.
Nehmen wir aber an, Sie wären kein ausgebildeter Kampfsportler,
hätten aber ein Messer dabei, das Sie dem überraschten Gauner
in den Brustkorb rammen. Tot ist er und Sie sind dran: Notwehr ja,
aber diese ging über das erlaubte Maß hinaus. Beten Sie,
daß Ihr Anwalt seine Brötchen wert ist.
Ziehen Sie statt des Messers die Parabellum Kaliber 9,0, die Opa 1945
in Ölpapier verpackt unter den Dielen des Heubodens vor den Russen
versteckte und die Sie fanden, als Opa schon lange tot war und seitdem
heimlich bewahrten, und ballern jetzt dem Dieb eine Kugel durchs Fell
– na, dann dürfen Sie – obwohl ein Raubopfer –
die nächste Zeit gesiebte Luft atmen. Und wenn Sie Pech haben
und der Schurke überlebt als Krüppel, dann zahlen Sie auch
noch lebenslang. Vivat justitia nostra!
Sehen Sie – und das versteht man unter Verhältnismäßigkeit
der Mittel. Hat der Angreifer einen Dolch, dann dürfen vielleicht
auch Sie Ihren Damaszener zücken; hält er Ihnen einen 48er
Smith & Wesson unter die Nase, na dann – raus mit der 08!
Wenn Sie einen Waffenschein besitzen und gerade auf dem Weg in den
Schützenverein waren, wird ein gnädiger Staatsanwalt Erbarmen
zeigen.
Schlagen Sie aber mit der Gefahrenabwehr nach Ansicht der Staatsanwaltschaft
über die Stränge, dann gnade Ihnen Gott!
Und wie sah es im Falle Daschner aus? Ich erwähnte bereits, der
Täter, dieser verkommene Jurastudent Gäfgen, stand bereits
fest. Felsenfest. Man hatte ihn bei der Übergabe des Lösegeldes
ergriffen. Der Täter saß in Gewahrsam. Sein Opfer, der
kleine Jakob, war noch nicht wieder aufgetaucht. Wo war er? Saß
er frierend, hungrig und am Verdursten, dazu noch voller Angst in
irgendeinem Kellerloch? Oder gar in einer Erdhöhle? Wie lange
könnte ein kleiner Junge diese Strapazen noch durchhalten, ehe
es zu irreversiblen Schäden kommt?
Die Ermittler stehen unter einem enormen Druck.
Gilt jetzt noch das deutsche „Habeas Corpus“, diese Unverletzlichkeitsgarantie
des Körpers, die Unantastbarkeit und Unveräußerlichkeit
der menschlichen Würde?
Nehmen wir den letzten Punkt zuerst unter die Lupe. Wir sagen, eine
Unveräußerlichkeit der menschlichen Würde gibt es
nicht und kann es nicht geben. Kein Grundgesetz, keine Verfassung
der Welt kann etwas an diesem Umstand ändern. Eines, das soll
gelten: Niemand kann einem Menschen diese Würde nehmen und niemand
darf es. Ein Mensch kann diese Würde auch nie zu einem Handelsgut
deklassieren. Aber er kann sich Ihrer in höchsteigener Person
begeben: Er verliert sie, wenn er sich Straftaten schuldig macht,
die im Gegensatz zu dieser Würde stehen. Ein Kind, einen anderen
Menschen, um schnöder Habgier willen zu entführen und zu
ermorden – das ist eine solche Straftat. Der Täter hat
seine Würde als Mensch verloren. Die Alten würden sagen,
er hat sich um seiner Seele Seligkeit gebracht. Dauerhaft und für
alle Zeiten. Das ist kein Mensch mehr – das ist ein Subjekt.
Und als solches möge man es behandeln!
An dieser Stelle betone ich laut und deutlich: Nur, wenn die Schuld
zweifelsfrei erwiesen ist, dürfen andere ihn als Subjekt behandeln.
Beging er die Tat, war er es natürlich schon vorher, aber die
Mitmenschen haben nach wie vor von der Unschuldsvermutung auszugehen,
solange sie ihm seine Untat nicht zweifelsfrei nachgewiesen haben!
Ist die Sachlage aber klar, dann haben die Gesetze, die sich auf die
Prinzipien der Menschlichkeit gründen, für dieses Subjekt
keine Geltung mehr. Das soll nicht heißen, daß man jetzt
nach Lust und Willkür mit ihm verfahre! Da sei Gott davor! Die
Henker würden sich auf das Niveau des Subjektes begeben und gleichfalls
ihrer Würde verlustig gehen.
Schließt ihn weg, schützt die Gesellschaft auf Dauer vor
ihm und seht zu, wann es Gott gefällt, diese Existenz zu beenden!
Soweit so gut!
Jetzt aber gilt es, das Leben eines Menschen zu schützen, der
seine Würde, seine Seele nicht auf dem Altar des Bösen geopfert
hat. Sie sehen, wir machen einen Werteabgleich. Und hier heißt
es eindeutig, den Wert des Lebens eines kleinen Jungen oder eines
anderen Opfers gegen das nicht mehr existierende Recht auf Unversehrtheit
des Täters. Die Entscheidung sollte eindeutig ausfallen!
Herr Daschner hat seinem Gewissen gehorcht. Mag sein, daß die
derzeit existierenden Gesetze der Bundesrepublik für seine Handlungsentscheidung
noch keinen Spielraum lassen. Nicht mal unter dem Aspekt der Notwehr.
Dann wären sein Kollege und er zu verurteilen und wir müßten
es zähnefletschend akzeptieren. Zwei brave Beamte verlören
Beruf, Einkommen und Pensionsansprüche, weil sie einem kleinen
Jungen das einzige und gottgegebene Leben retten wollten.
Aber aus diesem Dilemma entstünde zwangsläufig die nicht
verhandelbare Forderung nach einer gesellschaftspolitischen Neuorientierung
in Bezug auf die Bewertung der Täterrechte.
Der „Preußische Landbote“ stellt sich hinter die
beiden Polizisten und ihre Entscheidung. Es heißt, vor Gericht
und auf Hoher See seien alle Menschen in Gottes Hand. Möge also
der allmächtige Vater Israels das Urteil des Gerichtes dahingehend
lenken, daß die Lumpen in Zukunft ein wenig mehr verzagen und
den Schützern des Rechtes selbst mehr Schutz zuteil werde.