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hire or fire –
ein neues Fernsehformat aus dem Hause deMol
Scholcher M. Druckepennig
In den deutschen Kinos ist just
der Film „Der Untergang“ angelaufen, der die letzten Stunden
eines Reiches thematisiert, dessen staatstragende unmenschliche und wahnhaft-verbrecherische
Theorie einen aberwitzig und völlig mißdeuteten Sozialdarwinismus
zur Grundlage hatte. Noch Stunden vor ihrem Ableben betonten die Führungsgrößen
der Nazis ihre Haltung, die sie kein Mitleid mit den unsäglichen
Leiden der kriegstyrannisierten Zivilbevölkerung empfinden ließ.
Nach ihrer Aussage hatte sich das deutsche Volk im Überlebenskampf
als das Schwächere erwiesen und mußte daher im Einklang mit
den unerbittlichen Gesetzen der Natur verschwinden.
Eben diese Anschauung kostete Jahre vorher schon viele Geisteskranke und
debile Menschen in deutschen Heilanstalten wie Hadamar, Sonnenstein und
Brandenburg-Görden die Existenz. „Euthanasie“ nannte
sich der Massenmord an „lebensunwürdigem Leben“. Mitgefühl
und Fürsorge für die von der Natur benachteiligten Zeitgenossen
wurde offiziell verpönt und per Gesetz (z.B. Gesetz zur Verhütung
erbkranken Nachwuchses) ausgeschlossen.
Nun möchte man meinen, aus den schrecklichen Erfahrungen mit diesem
Irrsinn hätte die Gesellschaft als Ganzes gelernt. Weit gefehlt!
Wie es in der Nachkriegszeit Mode wurde, daß jeder Mist aus den
Vereinigten Staaten von Amerika über kurz oder lang den Weg über
den Atlantik fand um hier nachgeäfft zu werden, so war klar, daß
sich auch das Unkraut der knallharten amerikanischen Grundeinstellung:
„Es kann nur einen geben!“, irgendwann auch im alten, christlichen
Abendland auswuchern würde. Dieses christliche Abendland bewahrte
über die Jahrhunderte eine Tradition – nämlich die einer
Gemeinschaft, in der einer für alle, und alle für einen verantwortlich
waren. Es war die Tradition der sozialen Fürsorge, der Barmherzigkeit,
der Hilfeleistung für die Zukurzgekommenen. Wir wollen natürlich
nicht verschweigen, daß es auch im christlichen Mittelalter beispielsweise
die Einrichtung der Narrenschiffe gab, mit deren Hilfe man sich „überzähliger“,
geistesschwacher und daher wenig produktiver Menschen entledigte.
Das aber sollte unbedingt im Kontext der zu diesen Zeiten oft fatalen
Versorgungslage der Bevölkerung gesehen werden und entsprach keinesfalls
einem gesellschaftsübergreifenden Programm.
Nun jedoch, da die Krise seit geraumer Zeit mit eiserner Faust nach Deutschland
greift, nun ist die Zeit wieder gekommen, das Volk langsam aber sicher
auf eine Abkehr von karitativen Gedanken vorzubereiten. Die Siegermentalität,
die des strahlenden Gewinners auf der einen Seite und des glücklosen
Restes auf der anderen, soll wieder salonfähig werden.
Der Spielshows gab es ja nun schon etliche. Und jedesmal ging es für
den Sieger um einen Haufen Geld. Während aber in den Siebziger Jahren
noch ein gemeinnütziger Zweck mit der Unterhaltung verbunden wurde
– wir erinnern an Formate zu Gunsten der „Aktion Sorgenkind“
– oder aber ganze Gruppen gemeinschaftlich einen Sieg errangen,
begann Herr Jauch mit seiner Sendung „Wer wird Millionär?“
schon peu a peu am Typ des Einzelkämpfers zu basteln, der zwar hier
und da noch etwas Hilfe in Anspruch nehmen konnte, im Grunde aber letztlich
die Entscheidungshoheit über seinen Weg behielt.
Nun folgt aus dem Hause des „Erfolgsproduzenten“ deMol der
nächste, konsequente Schritt.
Ein Team von zehn Leuten tritt an, den „Job ihres Lebens“,
dotiert mit 300.000 Euro Jahresgehalt zu ergattern. Versteht sich, daß
nur einer diesen Job erhalten wird. Zunächst einmal ist auch Teamgeist
gefragt. Doch in gemeinschaftlich zu lösenden Aufgaben muß
ein jeder sein eigenes Profil entwickeln und herausstellen. Zum Schluß
heißt es: jeder für sich selbst!
Was uns nun insonderheit beunruhigt, ist die Sprache, mit der dieses neue
Format in den Medien angekündigt wird. Da werden die Damen und Herren,
die die Kandidaten zu begutachten haben, als „knallhart“ klassifiziert.
„Eiskalt“ wird über die Leistung der Versuchskaninchen
entschieden, „brutal“ und „unnachgiebig“ wird
selektiert.
Das letzte Wort des vorangehenden Satzes haben wir ganz bewußt beigesteuert.
Mit berechnender Absicht! Denn dahin geht nach unserem Dafürhalten
die Reise.
Das ist kein Spaß mehr. Es ist der Spiegel des inneren Zustands
unserer gegenwärtigen Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die Tag für
Tag den Gürtel enger schnallen muß, weil der Staat in dem sie
lebt, hochverschuldet und pleite wie er nun mal ist, für soziale
Belange jeden Tag weniger auszugeben vermag.
Und hier wird durchs psychologische Hintertürchen diese bankrotte
Gesellschaft darauf eingeschworen, daß der Sprung zu einer abgesicherten
Existenz a) nur wenigen gelingen kann und b) die Masse sehen muß,
wo sie bleibt – knallhart, eiskalt und brutal!
Wir sind weit davon entfernt, Herrn deMol und seinen Mitstreitern die
Verbreitung faschistisch-elitären Gedankengutes zu unterstellen.
Diese „Macher“ sind gerissene und sehr agile Geschäftsleute,
die zusehen, daß sie ihr persönliches Schäfchen ins Trockene
kriegen.
Sie nutzen geschickt den vorherrschenden Wind zum Segeln. Das kann man
ihnen nicht zum Vorwurf machen.
Wir konstatieren lediglich an der Stellung der deMol’schen Segel,
woher der Wind augenblicklich weht. Und wir befürchten, daß
aus dieser Richtung ein Sturm aufziehen könnte, der unser Staatsschiff
aufs Ärgste gefährdet. Denn dieser eiskalte Sturm, der knallhart
über die Schwachen und Wehrlosen, die Zweiten, Dritten und ewigen,
namenlosen Letzten hereinbrechen wird, wird uns mit brutaler Offenheit
einen Fakt vor Augen führen, der in den Zeiten des gandenlosen Individualismus
an Bedeutung zu verlieren scheint: Die menschliche Spezies ist eine auf
Gemeinschaft und Miteinander ausgerichtete Art. Diese Gemeinschaft schafft
Lebensqualität. Ein Verlust gemeinschaftlichen Denkens aber wird
Einsamkeit und einen Verlust an ebenjener Lebensqualität bedingen,
der früher oder später auch die Gewinner, die Einzelkämpfer
und die Ewigen Ersten erreichen wird. Es gab noch keinen, über den
Fortuna das Füllhorn dauerhaft ausgeschüttet hätte. Irgendwann
erwischt es jeden eiskalt – auch die strahlenden Sieger von Gestern.
Und dann ist das Geschrei nach Hilfe groß. Dann bekommt die ersehnte
Geborgenheit wieder einen Namen.
Deshalb ist es wichtig, diese Werte, gerade in wirtschaftlich angespannten
Zeiten, zu proklamieren und zu fördern: Zusammenhalt und Solidarität
müssen bewahrt werden. Sind sie erst verschwunden, dann heißt
es für den Faschismus: Ring frei zur Zweiten Runde!
Zu weit hergeholt? Man wende den Blick nach Sachsen, wo die NPD mit der
SPD bei den Landtagswahlen 2004 beinahe gleichgezogen hat.
Die Menetekel nehmen zu. Wir sollten sie lesen, verstehen und beherzigen,
solange es noch Zeit ist. Ächten wir die knallharten, selbstherrlichen
Typen, deren Gestörtheit wir an Hitler und Goebbels heute deutlich
erkennen können! Lernen wir statt dessen von der wirklichen Natur,
den Rudeln der Wölfe und der Ratten, die uns soziale Fürsorge
vorleben und uns beibringen, daß ein jeder im Verband seinen Platz
zum Wohle des Ganzes finden und einnehmen kann.
Es gibt eine Asozialität der Verwahrlosung und eine Asozialität
des Geistes. Beide sind einer funktionierenden Gesellschaft abträglich.
Ihnen ist der Kampf anzusagen: Knallhart, eiskalt und brutal!
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