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Ein
großer Tag für eine kleine Kapelle
Zur Verleihung des Titels „Denkmal des
Monats“ an die St.Jakobskapelle zu
Brandenburg an der Havel
Die Jakobskapelle von Südost (auf
das Bild klicken: zur Galerie)
K. K. Bajun
Nach all den Jahrhunderten, in
denen sie ein Schattendasein zu fristen hatte, durfte sie am 19.Januar
des Jahres 2005 einmal vom Rande in den Mittelpunkt rücken: die winzige
St.Jakobskapelle zu Brandenburg an der Havel. Sie, die der Volksmund seit
1892 despektierlich die „Verrückte Kapelle“ nennt, hat
geschafft, was keiner der anderen großen und bedeutenden Kirchen
der alten Chur- und Hauptstadt der Mark bislang vergönnt war –
sie wurde zum „Denkmal des Monats“ gekürt. Das ist schön.
Sie hat es verdient.
Was also hat es auf sich mit dem Kapellchen, kaum größer als
ein Schuhkarton? Der Direktor der Brandenburger Museen, Herr Dr. Kohnke,
erzählte mir beiläufig, Touristen hielten das winzige Gotteshaus
mitunter für einen neugotischen Nachbau. Nein, das ist sie gewiß
nicht. Sie stammt aus dem von Barbara Tuchman so bezeichneten „dramatischen“
14. Jahrhundert. Wahrscheinlich wurde sie so um das Jahr 1320 aufgeführt,
zunächst noch ohne ihr sie heute schmückendes 52 Fuß hohes
Türmchen. 6 mal 8 Schritt mißt sie im Geviert und sie gehörte
zum damals bis ins 19. Jahrhundert existierenden St. Jakobshospital, welches
sich reichlich fünfhundert Schritt westlich vom wehrhaften Steintor
der Neustadt Brandenburg befand.
Somit zählten Hospital und Kapelle nicht unmittelbar zum eigentlichen
Stadtkern. Das erklärt auch ihre Lage. Die Kranken und Aussätzigen,
vor allem solche, die sich als Reisende krank einer Stadt näherten,
wurden in aller Regel außerhalb der Stadtmauern aufgenommen und
von diversen mit der Krankenpflege befaßten, mildtätigen christlichen
Orden betreut.
Diese Maßnahme hatte durchaus Sinn und Verstand. Die großen
Seuchen, die im vierzehnten Jahrhundert Europa dezimierten, gingen auch
an den beiden Städten Brandenburg nicht spurlos vorüber. Der
ganz in der Nähe liegende Trauerberg gemahnt noch in seinem Namen
an die furchtbare Heimsuchung jener Zeit. Auf ihm, so geht die Sage, seien
die unzähligen Pesttoten der Neustadt vergraben. Von daher war es
schon ratsam, solche Spitäler nicht innerhalb der eng bebauten Städte
anzusiedeln. Eine Infektionskrankheit war ähnlich bedrohlich wie
ein offenes Feuer – im Nu war die gesamte Bevölkerung betroffen.
Dem galt es vorzubeugen – und was Fremde anschleppten, dessen konnte
man sich selten gewiß sein.
Begünstigend für die Wahl des Standortes mußte den Altvorderen
der vorbeifließende Jakobsgraben erschienen sein, denn in einem
Hospital fällt naturgemäß viel Wäsche an, und auch
für die Abfallentsorgung machte sich ein solches Fließ nicht
eben schlecht.
St.Jakob, der Schutzpatron der Reisenden, stand bei diesem Hospital Pate,
das an der alten Heerstraße lag, die seinerzeit von Magdeburg (dem
alten New York des Ostens) über Magdeburgs Tochter Brandenburg nach
Spandau, Posen und letztendlich bis nach Kiew führte. Es war sozusagen
die E 30 des Mittelalters. Dementsprechend wurde das Hospital frequentiert,
und beides – Hospital wie zugehörige Kapelle erfreuten sich
entsprechender Wertschätzung und Aufmerksamkeit.
Die Kapelle, Ort geistlicher Stärkung, war für den mittelalterlichen
Reisenden sogar oftmals wichtiger als das Hospital. Während man in
letzterem nur das vergängliche Haus der Seele, den sterblichen Leib
über die Zeit zu retten versuchte, ging es im Gotteshaus um das ewige,
unvergängliche Heil.
Dessen sollten wir eingedenk sein, wenn wir heute, umgeben von achtlos
flutendem Verkehr, das wunderliche, kleine Kirchlein betrachten, das so
ganz an den Rand geschoben und zwischen Jakobstraße und Jakobsgraben
eingeklemmt wurde, über die Jahre kaum beachtet und doch zu den wertvollsten
Schätzen zählend, derer sich die Havelstadt nach den Jahrhunderten
der Zerstörung und des Verfalls noch erfreuen kann.
Die wunderschöne, eminente Marienkirche ging uns verloren, Gott sei’s
gejammert und geklagt! Der kleinen Jakobskapelle wäre es um Haaresbreite
nicht viel anders ergangen, als die Jakobsstraße im Zuge der Stadterweiterung
während der Gründerzeit ausgebaut werden sollte. Die alte hölzerne
Försterbrücke mußte einer soliden, steinernen und breiteren
Neukonstruktion weichen, das Spital wurde verlegt, das Försterhaus
abgerissen.
Und auch dem kleinen Kapellchen drohte der Abrißhammer. Doch findige
und hartnäckige Köpfe setzten sich vehement für den Erhalt
dieses Zeugnisses aus Brandenburgs großer Zeit ein. Sie verfielen
auf die Idee, das gesamte Gebäude „aufzubocken“ und auf
einer hölzernen Unterkonstruktion um elf Meter in westliche Richtung
zu verschieben. Fürwahr ein gewagtes Unterfangen! Die vielgepriesene
deutsche Ingenieurskunst der Gründerjahre aber vollbrachte das Meisterwerk.
Die Straße konnte verbreitert werden, die Jakobskapelle blieb den
Brandenburgern erhalten.
Doch nun fristete sie erst recht ein marginales Dasein. Dem Blick des
Besuchers der Stadt entzogen, duckt sie sich wie ein graues Mäuschen
verstohlen in den Winkel zwischen der Wredow’schen Zeichenschule,
der Försterbrücke und dem Jakobsgraben.
Dabei hätte sie soviel Bescheidenheit gar nicht nötig! Ein bezauberndes
Beispiel der klassischen Gotik mit einem zweigeschossigen Türmchen
aus dem Jahre 1350, das von einem steinernen Hut bedeckt wird und dessen
Erdgeschoß zwei Personen bei Unwetter Schutz zu geben vermag, an
der Südseite eine kleine mittige, typisch spitzbogige Fensteröffnung
– umkränzt von fünf weiteren Blindgaden, im Innern ein
schmuckloses, aber nichtsdestoweniger reizvolles Tonnengewölbe –
liebe- und stilvoll restauriert, an der Südseite der Außenwand
eine Kreuzigungsgruppe aus Terrakotta, dem 15. Jahrhundert zugerechnet.
Nun, das leicht angegriffene Original hat man in den Innenraum verbracht,
die Nische an der Südwand wird nunmehr von einer äußerst
gelungenen Nachbildung geziert.
Wer immer auf den lobenswerten Gedanken verfiel, die kleine Kapelle zum
„Denkmal des Monats“ vorzuschlagen, er hat sich um das Bauwerk
verdient gemacht.
Am Mittwoch, dem 9. Januar 2005, als um zwei Uhr nachmittags die Verleihung
des Titels an das Kirchlein im Beisein der Oberbürgermeisterin der
Stadt Brandenburg, des Herrn Dr.Kohnke und einiger märkischer Bürgermeister
zelebriert wurde, da wurde das winzige Gotteshaus sicherlich weiter geschoben,
als einhundertdreizehn Jahre zuvor. Damals mußte es aus dem Weg,
heute brachte man es zurück ins Bewußtsein und in die Herzen
der heimatliebenden Brandenburger. Kinder einiger vierter Klassen der
Stadt hatten sich ein Spektakel ausgedacht, das die Verschiebung des Kirchleins
im Jahre 1892 thematisierte. Das Modell, die Holzschienen, das Laienspiel
– es war allerliebst. Der Rundfunk war dabei und die lokale Presse.
So viel Rummel hat die Jakobskapelle wohl seit ihrer Kirchweihe vor beinahe
siebenhundert Jahren kaum erlebt.
Eine späte Ehrung, gewiß – aber nichtsdestoweniger eine
verdiente.
Wir hoffen, daß diese Ehrung dazu beitragen wird, Brandenburg an
der Havel dauerhaft um eine Attraktion zu bereichern: um diesen kleinen,
halbvergessenen jedoch nichtsdestotrotz funkelnden Diamanten in Sichtweite
des massigen, allbekannten Steintorturms. Besuchen Sie das Kapellchen
– es lohnt den geringen Aufwand!
Für die Brandenburger und ihre Gäste ist zu wünschen, daß
ihnen dieses wertvolle Erbe häufiger dargeboten werde, daß
es zugänglicher werde von innen wie von außen, daß man
auf das kleine Gotteshaus intensiver verweist, sowohl in den Stadtführern
als auch auf der touristischen Beschilderung. Es müssen nicht immer
himmelstürmende Kathedralen sein, protzige Bürgerhäuser
im holländischen Manierismus, feste Burgen oder pompöse Schlösser.
Was der kleinen Jakobskapelle an Größe fehlt, gleicht sie mit
ihrem schlichten, gleichwohl überwältigenden Charme gut und
gerne aus. Sie ist gewiß nicht das unbedeutendste Kleinod im Schatzkästlein
der Chur- und Hauptstadt Brandenburg. Somit ist es an der Zeit, ihr die
Ehre zu erweisen, die ihr zukommt. In dieser kleinen Kapelle steckt weitaus
mehr, als man ihr von außen ansieht. Die Juroren, die über
die Vergabe des Preises entschieden, scheinen das verstanden zu haben.
Jetzt sind wir an der Reihe. Der Anfang ist gemacht…
links: Die Jakobskapelle wird im
Jahre 1892 um 11m nach Westen verschoben; rechts: Kinder spielen das Geschehen
im Jahre 2005 nach
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