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Abt Muho san vom Antaji-Kloster

Akinokawa Michi san
Sehen Sie sich manchmal auf dem Sportkanal Sumo an? Na, Sie wissen schon: die japanischen Schwergewichte, die sich gegenseitig versuchen zu Fall zu bringen oder aus dem Ring zu schieben. Das scheint eine urjapanische Domäne zu sein – diese Sportart. Nein, das ist kein Sport im eigentlichen Sinne. Sumo ist mehr als heilige, als rituelle Handlung zu verstehen – wie ich schon sagte: urjapanisch eben. Und doch verstehen es immer wieder Ausländer, selbst in diese heilige Domäne des Reiches der Aufgehenden Sonne einzudringen. Lange Zeit waren es nur Mongolen und Hawaiianer, wie Kyokutenho, Asashoryu, Musashimaru und Akebono, welchletztere drei es gar bis zu allerhöchsten Weihen brachten: als Yokozuna krönten sie ihre traumhaften Karrieren. Yokozuna – das sind beinahe Götter.
Mittlerweile haben sich selbst Georgier, Russen und Bulgaren bis in die höchste, die Maegashira-Liga vorgearbeitet. Man staunt und die Japaner akzeptieren es. Wobei nicht ganz klar ist, welcher Umstand des Wunderns werter sei: daß Ausländer sich in dem lange Zeit so verschlossen lebenden Inselstaat in intimsten, ja, heiligsten Bereichen zu profilieren vermögen, oder daß die Japaner diesen Umstand anstandslos anerkennen.
Denn es ist lange her, daß ein Ausländer unter dem Fuji-san zu hohen Ehren kam. Adam Smith hieß er, war englischer Seefahrer in postelisabethanischer Zeit und avancierte in den Diensten des legendären Shoguns Tokugawa Ieasu zum engen Berater und Vertrauten des Fürsten. Doch Anjin-san sollte für die kommenden Jahrhunderte eine Ausnahme bleiben. Das Reich zu Füßen des Chrysanthemen-Thrones machte dicht und wollte fortan von der Welt außerhalb seiner Küsten nichts mehr wissen. Die Isolationspolitik tat dem Lande zwar wirtschaftlich nicht sehr gut, half aber, viele Traditionen dieser äußerst verehrungswürdigen Kulturnation zu bewahren.
Eine dieser Klammern, die die japanische Seele zusammenhielten, war der Zen-Buddhismus. Wir erinnern uns des kalten und steinigen Tee-Wegs der Meister Rikyu, Oribe, Soji und anderer, die eine Kultur der Inneren Schönheit und Ruhe, des Gleichgewichtes der Seele und der kosmischen Harmonie bis zur überirdisch schönen Perfektion entwickelten. Vor unseren Augen entstehen die Klosteranlagen des Ryo-an, des Daitokujin und anderer berühmter Perlen der Weltkultur. Wir blicken in ihre verzauberten Gärten – Steininseln, umgeben von geharktem Kies, Moos, japanischer Ahorn, der im Winde flirrt, eine überwältigende Klarheit, eine große Reinheit. Aufgewachsen im Kulturkreis des Abendlandes, beginnt man sich beinahe unbewußt, an der Seele zu kratzen, als sei sie in tumber, okzidentaler Roheit verlaust, wie einst die Ritter auf ihren zugigen, feuchtkalten Burgen.
Und man glaubt, es sei uns Barbaren nicht vergönnt, sich dieser in Jahrhunderten gewachsenen Hochkultur zu nähern. Die Sumotori…nun gut, aber Zen – das ist denn doch noch etwas anderes.
Doch auch diese Bastion wurde nun genommen. Dem ehrwürdigen Antaji-Kloster steht ein 35 jähriger Abt vor, dessen Heimat – man staune – Deutschland ist!
Eine faszinierende Persönlichkeit, dieser Wahljapaner – wir kamen aus dem Staunen nicht heraus. Was für ein Multitalent: Japanisch spricht und schreibt er fließend (und wer an den vom Sanskrit geprägten traditionellen Satzaufbau indogermanischer Sprachen gewöhnt ist, der wird sein blaues Wunder erleben, wenn er das erste Mal mit der völlig andersartigen Syntax dieser einzigartigen Sprache in Berührung kommt) und als wahrer und wahrhaftiger Abt führt das Multitalent Muho-san sein Kloster souverän nach den Prinzipien des Zen. Ein spirituelles Zentrum kann nicht von Meditation alleine leben. Also stellt es auch eine autarke kleine Wirtschaftseinheit dar. Das unterscheidet japanische Abteien nicht im Geringsten zu ihren geistigen Pendants des Abendlandes. Demzufolge ist der Abt, stehe er nun einer Gemeinschaft wie der von Lindisfarne, Citeaux, Cluny, Tintern-Abbey oder Lehnin vor oder eben einem japanischen Kloster, auch immer Manager des eigenen Hauses, Hüter des Überlebens, der neben seinen mönchischen Pflichten auch jede Menge höchst weltlicher Aufgaben zu bewältigen hat.
Das in einer fremden Kultur zu leisten dünkt uns eine große Sache. Und wir sind versucht, uns einen würdigen Greis vorzustellen, gebeugt von der Last seiner Verantwortung.
Doch ein Blick nach Antaji läßt unser Klischee in Scherben gehen, wie einen irdenen Krug, getroffen von der Wucht des geworfenen Steines.
Es begegnet uns ein quirliger, lachender, zupackender, agiler Mann von hoher Intelligenz, den wir bald in Jeans auf einem Raupenbagger, bald im Kittel der Zen-Priester bettelnd in der Fußgängerzone einer japanischen Stadt sehen, hier flickt er das Dach seines Tempels, dort schiebt er – begleitet von Frau und Tochter, einen Einkaufswagen durch einen Supermarkt. Meditierend sitzt er auf dem Rundkissen aus Reisstroh, dann wieder kümmert er sich um die Wäsche, schreibt am Rechner, lehrt und arbeitet. Ora et labora – sind sich Abendland und der Ursprung der Sonne wirklich so ferne, als man gemeinhin glaubt?
Und wenn in den von Hollywood aufgeweichten Hirnen das Bild von Meister Miyagi umherspukt, dann verliert es sich spätestens an dieser Stelle wie ein Herbstblatt im Yodo-kawa. Hier thront kein ehrwürdiger, in Weisheit erstarrter Greis, der ab und an den Mund öffnet um der andächtig lauschenden Jüngerschar die Geheimnisse des Weltenplanes zu offenbaren. Hier agiert ein Macher, der einem Vierundzwanzig-Stunden Tag eine sagenhafte Effektivität angedeihen läßt, ohne im Geringsten in hektische Betriebsamkeit zu verfallen. Nicht die Zeit diktiert ihm – er prägt die ihm vergönnte Lebensdauer.
Der Beweis ist erbracht: tiefe Spiritualität und völlig diesseitige, anpackende Lebenszugewandtheit müssen in keiner Opposition zueinander stehen. Ganz im Gegenteil: Beides ist zu einer Einheit verschmolzen, die einen Weg weisen könnte aus dem Dilemma westlicher Verranntheit in oberflächlichem Streben nach nichtigen Eitelkeiten.
Weit entfernt, der Nationalität dieses Abtes einige Bedeutung zuzumessen, können wir uns doch eines gewissen Wohlgefühls nicht erwehren, daß wohl auch den Fußballanhängern nicht fremd sein wird, wenn „ihre“ Mannschaft das Spiel macht: „Das da, das sind Jungs von uns, aus unseren Reihen!“ Wenn wir uns den Luxus eines solchen, an sich unsinnigen Gefühls gestatten, so sollte er dazu führen, daß wir einen Teil unseres Lebens dem anzugleichen versuchen, was uns solcherart mit Stolz erfüllt.
Es ist nicht jedem von uns vergönnt, einen solch exorbitanten Lebensweg zu beschreiten. Aber einen kleinen japanischen Garten im eigenen Herzen anzupflanzen, einen schlichten Teeraum in dessen Mitte aufzurichten und dort in all der Hektik und dem Chaos unserer aus dem Ruder gelaufenen Hochzivilisation eine Schale grünen Tees zu trinken – das wäre doch schon mal ein Anfang!
So gerne ich den japanischen Klöstern einen Besuch abstatten würde – um das Heil der eigenen Seele zu finden, ist eine solche Reise nicht vonnöten. Platz für einen klösterlichen Ort der Ruhe und der Einkehr, aus der heraus die Kraft zum Leben wächst, findet sich in jeder bewußten Seele. Die Betonung liegt dabei auf: „in ihr“! Nicht außerhalb, irgendwo, Tausende Kilometer fernab. Darin besteht eine der wichtigsten Botschaften, die für uns dem Wirken dieses ungewöhnlichen Mannes zu entnehmen waren. Eines Mannes, dessen Gäste am Bildschirm wir zu sein die kurze aber nachhaltige Ehre hatten und für die wir uns hiermit bedanken möchten.
Über zwei Kontinente hinweg: Arigatoo gozaimas, lieber Herr Abt Muho-san!

4. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2005