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Der Räuberhauptmann
Habakuk Schmauch, die Brandenburger Heerstraße und die Gegenwart
–
eine vergleichende Betrachtung
Don M. Barbagrigia
Was wäre, wenn…
Wäre das nicht ein dankbarer Anfang für einen Schulaufsatz?
Probieren wir es doch mal! Zum Helden unseres Themas wählen wir Herrn
Habakuk Schmauch.
Wen? Na den Schmauch! Liebe alte Brandenburger! Da werden doch gleich
alle Glocken klingeln, oder? Diebesgrund, Silberquelle, der Wirt vom Radkrug,
der mit der Räuberbande Habakuks unter einer Decke stak, überfallene
Kaufmannszüge, entführte Brandenburger Ratsherrentochter, Habakuks
Ergreifung, Aburteilung wegen langjähriger Einkommenssteuerhinterziehung
zum Schaden des Brandenburger Finanzamtes und seine letztendliche Hinrichtung.
Huh, wie schaurig. Also, das verspricht interessant zu werden!
Nun wollen wir an dieser Stelle nicht die ollen Kamellen aufkochen, die
in jedem guten Sagenbuch der Havelstadt nachzulesen sind.
Uns interessiert hier vielmehr die Überlegung: Was wäre, wenn
der Scharfrichter Habakuk nicht „abgetan“ hätte und letzterer
heute noch leben würde? Dabei lassen wir mal den schalen Witz außen
vor, der besagt, daß Habakuk sich in diesem Falle wahrscheinlich
längst ehrlich gemacht und mit seinem Riesenschatz an Erfahrung im
Ausplündern eine gutdotierte Stelle als Staatsekretär im Bundesfinanzministerium
angenommen hätte.
Nein, uns bewegt ein anderer Vergleich. Schauen wir doch mal: zu Habakuks
Zeiten, also vor gut siebenhundert Jahren, war die Heerstraße zwischen
Magdeburg über Ziesar, Brandenburg, Spandau, Posen bis nach Kiew
so etwas wie die Autobahn BAB2 heute – eine pulsierende Ost-West-Magistrale.
Etwas eng, erbärmlicher Straßenzustand – aber für
Ansässige, wie den Herrn Schmauch und seine Mannen, durchaus lukrativ.
Erhob er doch nach Gutdünken fette Zölle und Mautgebühren,
leider aber eben ohne die entsprechende Konzession und damit Beteiligung
seitens des örtlichen Staatsapparates.
Die Fuhrwerke schaukelten ziemlich langsam dahin, Schrittempo, mehr gaben
weder die Esel, noch die Planwagen und schon gar nicht die Straße
her. Die Kaufleute und ihre Bediensteten schwebten beim Erreichen des
Diebesgrundes in ständiger ernster Gefahr, aber sie mußten
ihrer Profession nach dieses Wagnis eingehen, wollten sie ihren eigenen
Lebensunterhalt sicherstellen. Manchmal ging es ja auch gut und die Waren
kamen heil in Brandenburg, Spandau oder Ziesar an.
Und heute? Obwohl sich der Warenverkehr zum größten Teil auf
die richtige BAB2 verlagert hat, die fünf Kilometer weiter südlich
verläuft, bekommen viele moderne Nutzer der Heerstraße die
sieben Jahrhunderte alten Gewohnheiten nur schlecht aus dem Kopf und begreifen
diese schmale Waldchaussee noch immer als die wichtigere der beiden Fernstraßen.
Und was macht man auf Fernstraßen? Na? Man fährt halt schnell,
logisch, sonst kommt man ja nie an!
Zum Teufel mit den „Tempo 30“- Schildern hinter den Ortsausgängen
von Mahlenzien und Kirchmöser, sowie hinter der Buckaubrücke
bei Wendgräben. Für traditionsbewußte Preußen bezieht
sich diese Geschwindigkeitslimitierung ohne Maßangabe sowieso auf
preußische Meilen pro Stunde. Das wären dann umgerechnet etwa
225km/h. Schaffen eh die Wenigsten. Also, freie Fahrt für freie Bürger!
Ganz harte Jungs ignorieren sogar das Gewichtsverbot für Fahrzeuge
über 3,5t zulässigem Gesamtgewicht, wie jener LKW-Fahrer des
Gefährtes mit dem amtlichen Kennzeichen BRB-SX 25, der am 03. Dezember
2004 um 11:37 Uhr mit einem Affenzahn aus Richtung Mahlenzien/Kirchmöser
kommend, die Buckaubrücke hinüberdonnerte.
Würde der Radkrug noch existieren, so hätte man leicht auf den
Gedanken kommen können, der Trucker hätte sich dort den Rest
seines Verstandes weggesoffen.
Doch zurück zu unserer lokalen Räubergröße H. Schmauch.
Beginnen Sie zu ahnen, wie der alte Abkassierer heute seine Brötchen
verdienen würde? Natürlich! Mit Abkassieren! Was denn sonst?
Hat er doch schließlich gelernt. Nur heute eben mit viel feineren
Methoden. Er würde sich bei der Stadt bediensten lassen, gleichzeitig
zwei, drei mobile Radarmeßgeräte auf den circa sieben Kilometern
der Strecke postieren und sich sodann im Schaukelstuhl zurücklehnen.
Der Rest erledigte sich fast von selbst: Blitz, Photo, Anschreiben mit
fakultativer Äußerung zum Sachverhalt, Kasse, fertig! Das ganze
beinahe im Minutentakt.
Denn die Strecke ist gut besucht, sie ist kurvig und hügelig und
stark bewaldet – somit scheidet die warnende Wirkung des Blitzes
für die Nachfolgenden beinahe vollständig aus. Man bekommt wirklich
jeden. Und wie die Brüder da lang schmettern… Beinahe jeder
mit gut dreißig km/h mehr als erlaubt. Gott, würde das klappern
in der großen Geldtruhe!
Und wenn Habakuk sich dann auch noch mit den Stadtoberen gut stellt, sich
beispielsweise von Herrn Langerwisch als V-Mann des LKA für den Großraum
Diebesgrund empfehlen läßt und ordentlich einen Anteil an den
Stadtsäckel abführt, dann hat jeder was davon!
Habakuk baut sich eine schmucke Villa am Gränert mit eigenem Yacht-Hafen
und Erlebnismeile, Herr Langerwisch braucht nicht mehr den Abriß
der Ruine der Franziskanerklosterkirche St.Johannis am Salzufer anzudenken,
sondern baut diese ganz im Gegenteil in Eigenregie wieder auf. Warum?
Na, damit die vormals von Habakuk entführte und wider Willen festgehaltene
Ratsherrentochter, die nun logischerweise zu dem zu Ehren und Reichtum
gekommenen ehemaligen Kriminellen mit fliegenden Fahnen zurückgekehrt
ist, statt einem vier Meter hohen Kerl aus Stein namens Roland die harten
Ohren mit ihrem Gejammer weich zu kauen, in würdigem Rahmen mit ihrem
Herzensräuber getraut werden kann.
Und alle braven Spender aus BRB, OHV, PM, HVL und JL sind herzlich eingeladen.
Und woran scheitert nun dieses Idyll?
Weil die Brandenburger so engstirnig waren, diesen Verdienten Räuber
des Volkes aufs Rad zu flechten. (Eine Prozedur, die mit dem Leben schlecht
vereinbar ist.) Hätten sie sich doch wenigstens auf das Rädern
Herrn Schmauchs beschränkt! Dann wäre ja noch ’was zu
retten gewesen. So aber vernichteten sie mit Habakuk Schmauch auch dessen
Umtriebigkeit, dessen Elan und Geschäftssinn. Diese untrügliche
Nase, die bares Geld schon drei Meilen gegen den Wind roch. Und nun haben
wir den Salat!
Früher hatten wir einen Räuberhauptmann, der sich an der Heerstraße
zu oft sehen ließ und dafür umgebracht wurde. Heute haben wir
Polizisten und Stadtbedienstete, die selbigen Ortes keine erkennbare Präsenz
zeigen und trotzdem gut besoldet werden. Und wir haben ein großes
Haushaltsloch im Etat der Stadt Brandenburg.
Früher hatten wir gemütlich schaukelnde Kaufmannszüge,
denen selbst eine Schnecke mit etwas Glück auszuweichen imstande
war. Heute werden wir von Kamikazefahrern heimgesucht, die andere Reisende
gleich noch auf der Straße mit dem Tode und der Verstümmelung
bedrohen, statt sie erst umständlich nach dem Diebesgrund zu verschleppen.
Abgesehen von den enormen Folgekosten, die aus einem Crash auf diesem
engen Verkehrsweg unweigerlich für die Gesellschaft entstehen: Wer
zahlt denn die Unfallrettung und -bergungsleistungen, den sündenteuren
Krankenhausaufenthalt, die Reha-Kosten, den Rollstuhl, die Wiedereingliederungsmaßnahmen,
die steigenden Haftpflichtbeiträge für Kraftfahrzeuge, und,
und, und…? Das leistet die Gemeinschaft der Versicherten –
also wir alle. Wir alle bezahlen für die Idiotie und persönliche
Unreife von Wenigen, in deren Hände kein Führerschein gehört
und ein Kraftfahrzeug schon gar nicht. Wir zahlen für Leute, die
nicht mal erklären können, was sie mit den paar herausgerasten
Minuten so dringendes anfangen, daß sie dafür das Leben und
die Gesundheit von sich und anderen, von Mensch und Tier bedenkenlos aufs
Spiel setzen.
Ist es da noch eine Frage, woher die Redensart von der „Guten Alten
Zeit“ kommt?
Und so wünschen wir uns nichts sehnlicher, als daß die immer
noch stark frequentierte Heerstraße wieder so observiert werden
möge, wie einst, vor siebenhundert Jahren.
Es sollte wirklich niemandes Schade sein.
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