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Gerichtsvollziehung in
Aktion
- eine kerndeutsche Posse
S.
M. Druckepennig
Kennen Sie die Szene, in der die berühmten gallischen Comichelden
Asterix und Obelix einen verzweifelten Kampf gegen Roms Bürokratie
führen, indem sie in einem römischen Bürocontainer Etage
um Etage, Zimmer um Zimmer abjachtern – von einem zum Nächsten
geschickt, einen Stempel um den anderen erjagend, ein Formular nach dem
nächsten ausfüllend?
Jeder Deutsche mit einem Deut Nationalbewußtsein mußte diese
Episode als Beleidigung auffassen – denn die Heimat aller formularversessenen
und stempelabhängigen Bürokratie ist das Land unter den Eichen
jenseits des Rheines, das Germania „libera“ und nicht die
Stadt am Tiber, in der man seit ewigen Zeiten mit ein paar As, Denaren
oder Lira jede zum Stillstand gekommene Verwaltungsmaschine wieder auf
Touren zu bringen in der Lage war.
Unser Mitarbeiter Herr Hübner, ein Ketzer der Alten Schule, wollte
diese eherne, generationenvererbte Wahrheit nicht länger gelten lassen
und verkündete, das alles sei doch nun schon viel, viel besser geworden.
Entkrampfter, übersichtlicher, einfacher – und was er der schmeichelnden
Attribute mehr gebrauchte.
Der allmächtige und himmlische Vater aller braven, deutschen Beamten
hörte es - und zürnte erwartungsgemäß ob dieser Häresie:
Hier stellt wieder einmal einer jene Welt in Frage, die ER erschuf in
den ersten sechs Tagen. Die Sintflut hatte ER geschickt und die Häscher
der Heiligen Inquisition, um solche frechen Mäuler zu stopfen. Aber
kaum ist die letzte Pfütze getrocknet, das letzte Feuer der Scheiterhaufen
verloschen, da wollen sie’s schon wieder besser wissen, diese kleinen
Scheißerchen aus Lehm und Dreck und dem rebellischen Geist des Ewigen.
Der göttliche Gegenschlag ließ nicht lange auf sich warten!
Alles begann damit, daß ein gewisser Kaufmann T. in seiner Eigenschaft
als Geschäftsführer eines kleinen Krankentransport- und Rettungsdienstunternehmens
namens ADG dem Herrn Hübner vor einem Berliner Gericht versprach,
jeweils zu drei Monatsersten eine gewisse Summe an ihn zu überweisen.
Er versprach es nicht gerade leichten Herzens, aber dazu sind ja nun mal
Gerichte da, um solch zaghafte Persönlichkeiten bei schweren Entscheidungen
unter die Arme zu greifen. Und eigentlich sollten sie auch dazu da sein,
bei der Umsetzung ebenfalls eine gewisse Hilfestellung zu leisten, denn
hier geht es in erster Linie um ihre ureigenste Autorität.
Die erste Rate des Herrn T. kam pünktlich, aber leider etwas geschmälert,
so daß sich auf nicht eben kostenfreies Nachfragen eine Nachzahlung
ergab.
Die zweite Rate kam schon mal gar nicht, was mit einer aberwitzigen Begründung
versehen wurde. Nachdem die Sache gläubigerseits etwas forciert wurde,
überwies der ehrenwerte Kaufmann T. dann doch – gewann aber
schon mal auf diese Weise eine geschlagene Dekade.
Nun hatte er wohl Blut geleckt, so daß die letzte Rate wiederum
nicht zum Monatsersten verfügbar war.
Dem ansonsten lammfrommen Herrn H. schwoll der Kamm und der Kragen platzte!
Nach der zweiten unangenehmen Überraschung gewitzigt, hatte er bereits
mit den ersten Präparationen für ebendiese Eventualität
begonnen. Und das sah so aus:
Stellen Sie sich also vor, Sie besitzen ein Urteil, daß den Schuldiger
T. verpflichtet, sagen wir tausend Taler an Johanni dem Gläubiger
H. zu überreichen. T. aber rührt sich nicht. Das berechtigt
H. nun noch lange nicht, mit dem Urteil zum nächsten Gerichtsvollzieher
zu laufen und mit diesem zusammen auf das Konto T.s oder dessen Geschäftsmobiliar
zuzugreifen. Was er dazu braucht, ist eine „Vollstreckbare Ausfertigung“
des Urteils.
Diese besteht in einem Zusatz zum Urteil, enthält eine Klausel, derzufolge
dieses Dokument in der jetzt vorliegenden Form zur Vorlage beim Gerichtsvollzieher
geeignet und zur sofortigen Vollstreckung zu verwenden ist.
Jetzt kann’s losgehen! Also, die Gerichtsvollzieherverteilerstelle
angerufen und das weitere Procedere erfragt.
Rrrrums, kommt der Hammer von oben! „Nee, mein Lieber, da müssen
Se erstmal zum Rechtspfleger und das Dokument beglaubigen lassen. Das
machen Sie bei Ihrem zuständigen Amtsgericht. Kann so zwei, drei
Wochen dauern.“ „Aber, lieber Herr Gerichtsvollzieher, der
Gerichtsstand ist Ihr Amtsgericht!“ „Ja, hmmm, äh, wo
wohnen Sie? Wo sitzt der Schuldner?“ Erneutes Ableiern des Sachverhaltes,
der Mann beginnt zu begreifen: „Also, wenn Sie den Kram aus den
Händen des Rechtspflegers zurück haben, dann schicken S’es
her – mit dem Original, versteht sich.“
Versteht der Mann kein normales Deutsch? Unwahrscheinlich. Aber der Rechtspfleger
hat doch mit der „Vollstreckbaren Ausfertigung“ schon das
Seine getan. Da muß noch etwas anderes dahinterstecken…
Herr H. als Gläubiger begibt sich also mit seiner „Vollstreckbaren
Ausfertigung“ zum Amtsgericht in B., schnurstracks zu den dortigen
Rechtspflegern. Die lächeln freundlich. „Nein, da müssen
Sie zwei Etagen höher, genau über uns, zur Vollstreckungsstelle!“
Der Fahrstuhl ist gerade in Reparatur, aber das scheint nicht der einzige
Grund zu sein, der unserem Herrn H. die Schweißperlen auf die Stirne
treibt.
Oben, unter dem Dache angekommen, wird Herr H. ganz nach unten geschickt,
zur Wache nämlich, denn für diese Stelle hier wäre das
rein gar nichts, er hat doch schließlich schon alles beisammen,
was für eine Vollstreckung vonnöten ist, es fehlt nur noch ein
Antragsformular, das eben bekäme er an der Wache, ausfüllen
und nach Berlin damit, zur Gerichtsvollzieherverteilerstelle des Amtsgerichtes
Ch.
Kleine rosa Mäuse begleiten Herrn H. auf seinem Weg nach unten, ein
gesprenkeltes Schwein fliegt am wolkenlosen Himmel vorüber, umkreist
von lila Totenköpfen und kleinen Dynamitbömbchen mit rauchenden
Lunten. Augenzeugen wollen bemerkt haben, wie weißer Dampf jetstreamartig
den Ohren des gequälten Gläubigers entquoll und das Treppenhaus
des Gerichtsgebäudes in zarten Nebel hüllte.
Er bekommt sein Formular und es wundert ihn, daß auf diesem nirgends
nach einer Kontonummer oder Bankverbindung des Schuldners gefragt wird.
Na ja, die sind ja auch nicht dämlich, die werden schon wissen, wie
sie sich diese Informationen besorgen.
Einschreiben, Rückschein – da geht es hin, das kostbare Schriftstück.
Und es kehrt zurück! Wenige Tage später – unverrichteterdinge!
Versehen mit folgendem Text: „Sollten Sie eine Kontopfändung
wollen, so wäre ein anderer Antrag zu stellen (Pfändungs- und
Überweisungsbeschluß). Mit freundlichen Grüßen etc.p.p.
Des Gläubigers Haare ergrauen sachte vor sich hin, die müde
Hand beginnt selbstständig aber unkontrolliert zu zittern –
die Mediziner werden es später Parkinson nennen, die Welt beginnt
sich aufzulösen.
Der Kaufmann T. indeß, wahrscheinlich in völliger Unkenntnis
der Bürokratie seines Vaterlandes hatte sich auf die Avisierung eines
Gerichtsvollziehers hin beeilt, seinen Verbindlichkeiten flugs nachzukommen.
Ach Gottchen, die Unschuld vom Lande! Hätte er geahnt, wie es läuft,
er hätte sich bequem in seinem schwarzen Sessel zurückgelehnt,
(den Herr H. ihm so gern unter dem kaufmännischen Allerwertesten
hinweggepfändet hätte) und den Dingen ihren kaugummiartigen
Lauf gelassen.
Jetzt jedenfalls ist das Seminar „Jus – wie pfände ich
einen säumigen Schuldner“ für Herrn H. beendet. Die Prüfung
war hart, aber sie wurde bestanden. Und das nächste Mal gibt es weder
für Herrn T. noch für die Deutsche Justiz ein Entrinnen! Das
sei geschworen beim Namen des Einzigen und Allmächtigen Vaters Israels!
Hoffen wir, daß dieser gerade nichts gehört hat…
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