Unwiederbringlich
Hans-Jochen Röhrig, Tochter Luise und
Rita Herzog geben Fontanes unbekannteren Roman
Rita Herzog, Luise und Vater Hans-Jochen
Röhrig
Kotofeij K. Bajun
Effi Briest ist beinahe jedem Algemeingebildeten
ein Begriff. Was aber ist mit Fontanes zweitem großem Beziehungsroman
aus den Jahren kurz vor der Entstehungszeit von Effi Briest? Was ist mit
„Unwiederbringlich“? Vielen gilt dieses ebenfalls nach einer
wahren Begebenheit gedichtete Werk aus der Hand des großen Poeten
der Mark als durchaus ebenso qualitätvoll, als ebenso tiefsinnig
und geprägt von ebenso scharfer Beobachtung der gesellschaftlichen
Verhältnisse in der Mitte des vorletzten Jahrhunderts. Einer, der
diese Ansicht teilt, ist Dr. Gotthard Erler, der am Sonntagnachmittag
vor der Kulisse der herbstlichen Grabenpromenade die Einleitung zur dritten
Märkischen Leselust gab. Er war es auch, der dem zahlreich vertretenen
Publikum die Einführung in den Handlungsrahmen von „Unwiederbringlich“
gab. So gerüstet durfte man dem Vortrag Hans-Joachim Röhrigs
gespannt entgegensehen. Der Maestro der Märkischen Leselust und hervorragende
Vertreter der märkischen Schauspielkunst ging mutig die bisher größte
Herausforderung an, der er sich in der Geschichte des aparten und sehr
exklusiven Sonntagsformates am Brandenburger Theater gegenüber sah.
Das Zusammenstellen von Passagen für eine anderthalbstündige
Lesezeit aus dem über 300 Seiten und 34 Kapitel umfassenden Roman
forderte auch einen versierten Könner wie Röhrig. Andererseits
bot sich gerade hier für ihn die Möglichkeit, seinem Talent
einen weiten Raum zur Entfaltung zu eröffnen und davon machte Hans-Joachim
Röhrig geradezu schwelgerisch Gebrauch. Man kommt von seinen Lippen
nicht weg, wird hineingezogen in die norddeutsch-dänische Szenerie
der 1860er Jahre, die von der Stimme und Gestik eines Einzelnen farbenprächtig
und vital gezeichnet und ausstaffiert wird. Wie ein Reiter der Spanischen
Hofschule sattelt Röhrig auf das wunderbare Wortgefüge Fontanes
auf: Mal lässt er die Worte und Zeilen antraben, mal tänzeln,
dann wieder verhalten und im nächsten Augenblicke feurig galoppieren.
Accompaniert von seiner bezaubernden Tochter Luise Röhrig, die ihrem
aus dem England des Jahres 1730 entstammenden Violoncello Musik in einer
Manier entlockte, die der väterlichen Lesekunst nichts schuldig blieb
und der wunderbaren Rita Herzog auf ihrem Piano, gestaltete sich der Nachmittag
zu einem wahrhaft lyrischem Gesamtkunstwerk. Die Kunst der Vortragende
machte beinahe vergessen, dass Fontanes Roman ähnlich wie „Effi
Briest“ tragisch endet.
Die musikalischen Intermezzi der beiden Damen waren nicht einfach nur
das Duettieren zweier Instrumente. Zwischen den begnadeten Fingern Rita
Herzogs und dem Bogen Luise Röhrigs, mehr aber noch zwischen den
lächelnden Augen der beiden Vollblutmusikerinnen war eine Herzlichkeit,
die sich in der Interpretation der ausgewählten Komponisten geradezu
offenbarte. Das ging weit hinaus über die musikalische Umrahmung
der Lesung – die Beiträge der Musikerinnen durften bezüglich
des gelesenen Vortrages Gleichwertigkeit beanspruchen. Wurde der unglücklichen
Caroline Freifrau von Maltzahn mit Fontanes Roman „Unwiederbringlich“
schon ein literarisch erstrangiges Denkmal gesetzt, so legten drei Künstler
mit ihrem Vortragsabend im Brandenburger Theaterpark einen ebenso kunstvollen
und schönen Kranz zu Füßen dieses Monumentes. |