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Ein „Lüderjahn“ und seine Briefe
Christiane Ziehl und Klaus Büstrin lesen im Kreuzgang von St. Pauli

Michael L. Hübner
Dass der ihm noch am selben Abend verliehene Theaterpreis mit Fug und Recht überreicht wurde, stellte der Potsdamer Kulturjournalist und Kritiker Klaus Büstrin unter Beweis, als er im Dominikanerkloster St. Pauli zusammen mit der Leiterin des Brandenburger Jugendtheaters, Christiane Ziehl, eine Lesung im Kreuzgang hielt. Thematisiert wurden die Briefwechsel König Friedrich Wilhelms II. mit seinen verschiedenen Ehefrauen, sowie den offiziellen und inoffiziellen Mätressen. Der „Lüderjahn“ auf dem preußischen Thron, Neffe und farbloser Nachfolger Friedrichs des Großen, hatte nicht viel von seinen beiden Amtsvorgängern. Er war ein charakterschwacher, nach der Liebe der Frauen dürstender Mann, dem die meisten seiner Affären aufgrund seiner exponierten gesellschaftlichen Stellung zuflogen. Diese Frauen suchten zu allermeist den König zu ihrem Vorteil an sich zu binden, Kinder mit ihm zu bekommen, über den Titel einer Ehefrau zur Linken Hand oder zu mindest als Mätresse materielle Vorteile und Zuwendungen für sich herauszuschlagen.
Diese Briefwechsel sind nun etwas Besonderes. Man litt vor zweihundertundzwanzig Jahren noch nicht unter jenem entsetzlichen Zeitdruck, der heutigen Menschen das Abfassen eines stil- und gehaltvollen Briefes oder aber das Lesen eines solchen gleichsam verbietet. Niemand wäre auf die abwegige Idee gekommen, ein Schreiben mit solch unsäglichen Kürzeln wie „m f g“ zu beenden. Die Formulierungen wurden allseits wohlgesetzt, es ist eine Melodik in jedem dieser Briefe. Genau diese Melodik wurde von Büstrin und Ziehl aufgenommen. Naturgemäß sprach Büstrin den beleibten König mit all seiner naiven Sehnsucht nach aufrichtiger Zuwendung, mit all seiner Flatterigkeit und Unstete und Büstrin sprach sehr, sehr gut. Dazu hat sich der Journalist mit dem Hang zum Schauspiel Unterricht im Sprechen und Vortragen erteilen lassen – methodisch und gründlich und mit viel Erfolg. Christiane Ziehl an seiner Seite brillierte mit allen Facetten, welche die so ungleichen Damen aufwiesen. Von der gestandenen und geschulten Adligen bis zum treuherzigen Kammermädchen nimmt Ziehl wahrlich jeden Charakter stimmlich auf, klagt, hält vor, beschwört, zirpt, schmeichelt, schmachtet, bettelt auf hohem Niveau. Sie ist eine Große der Brandenburger Schauspielkunst. Begleitet wurde die Lesung durch die Celli Ute Dörings und Joachim Köhlers, die mit Herzwärmender Virtuosität Stücke aus der Epoche des anbrechenden Klassizismus vortrugen und damit das Stimmungsbild abrundeten. Etwas ungewohnt sicherlich in einem Kreuzgang, in dem man intuitiv doch eher Gregorianik ansiedelt. Dennoch, die Akustik bestach: Die Alten wussten genau, wie sie in einer Zeit bauen mussten, in der es noch keine Mikrofone gab. Im Übrigen dürfte jeden Heimatliebenden Brandenburger die Atmosphäre des wiederhergestellten herrlichen gotischen Bauwerkes mit Dankbarkeit erfüllt haben, das am Abend des 7.11. von vier ausgezeichneten Künstlern mit niveauvoller Kultur belebt wurde.

 
B
7. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2008
07.11.2008