Weihnachtsgeschichten am Ufer des Beetzsees
Michael Jussen liest in der Dorfkirche zu Lünow
Michael L. Hübner
1994 gründete sich in dem kleinen
Beetzseedorf Lünow ein Kulturförderverein mit dem Ziel, die
marode Kirche des Ortes zu retten. Heute ist das Gotteshaus wieder ein
in alter Frische strahlendes Kleinod mittelalterlichen Kirchenbaus im
Havelland. Kein Grund für den Kulturförderverein, seine Tätigkeit
einzustellen. Seither organisiert er in jedem Sommer vier bis fünf
Kulturveranstaltungen und in der Adventszeit eine Weihnachtslesung. Für
die vierzehnte Veranstaltung dieser Art in der Lünower Kirche konnte
in diesem Jahre der Schauspieler und Kabarettist Michael Jussen (42) gewonnen
werden. Jussen, obwohl er einst für kurze Zeit Latein und Theologie
studiert hatte, verschmähte die Kanzel und wählte den Chor des
Kirchleins für seinen Vortrag. Damit er aber auch von jedem seiner
etwa 60 Gäste gehört werde, saß er auf einem hohen Podest
und deklamierte von dort aus mit geschulter Stimme und Gestik Geschichten
aus der Geburtshütte Jesu zu Bethlehem, das schwedische Märchen
vom listigen Fuchs Mikkel und dem dummen Bären, die englische Geschichte
vom tapferen Hubert aus der Renaissance-Feder Thomas Hardings. Zwischenzeitlich
erfuhr man, dass der feingeistige deutsche Dichterfürst Johann Wolfgang
von Goethe seinem Sohn August in den 1790er Jahren eine Spielzeug-Guillotine
zu Weihnachten schenken wollte. Ein absurd anmutender Gedanke, der ihm
denn auch mit Vehemenz von seiner Mutter Aja schriftlich ausgetrieben
wurde. Des Weiteren wurde bekannt, dass Goethe um die Weihnachtszeit mit
seiner Christiane so manchen Abend sechs Flaschen Rotwein hintereinander
weg leerte – woraus ersichtlich ist, dass ein guter Rotspon das
Fundament großer Dichtkunst sein kann. Die Lünower Kulturförderer
hingegen verzichteten auf den Ausschank des geistigen Getränkes und
konnten des ungeachtet eine beachtliche Veranstaltung auf ihre Fahnen
schreiben. Ihrer Ankündigung eine Lesung für große und
kleine Leute auszurichten wurden sie jedenfalls gerecht: Von jung bis
alt, von klein bis groß, von sieben bis siebzig füllte die
Zuhörerschaft beinahe jeden freien Platz in dem lauschigen Kirchlein
am adventsabendlichen Beetzseeufer. |