Holzfällen
im Theaterpark
Märkische Leselust bringt Thomas Bernhard
zu Gehör
Michael L. Hübner
Wer unter den Kulturbegeisterten
Havelstädtern den Sonntagnachmittag vor der Flimmerkiste verbrachte,
der hat allen Grund sich zu ärgern. Denn im Fernsehen läuft
immer dasselbe – im Theater immer etwas Neues: Diesmal wartete die
Märkische Leselust - dieses kleine, aber feine Format – mit
der Lesung eines Werkes auf, dass auf eine merkwürdige Weise aus
dem Kanon der großen Vertreter der Weltliteratur heraus sticht.
Es handelte sich um die Erzählung „Holzfällen“ des
hierzulande nicht sonderlich bekannten Thomas Bernhard (1931-1989), eines
zeitgenössischen Autors aus Österreich. Die Spannung des etwa
40 Zuhörer starken Publikums wurde nicht enttäuscht. Wenngleich
die von dem Chef der Märkischen Leselust, Hans-Jochen Röhrig,
ausgewählten und von Moritz Führmann kongenial interpretierten
Textpassagen nichts mit der Forstwirtschaft zu tun hatten, wie der Titel
suggerieren mochte, so legte der Österreicher Bernhard doch die Axt,
oder sollte man sagen: das Skalpell, an die Charaktere des Wiener Mittelstands.
Zum Ziel wählte er sich die Vertreter der Bussi-Society, die sich
Kultur zulegen wie einen Nerzmantel. Wo aber das Verständnis und
ein natürlicher Zugang zu Geisteswerken und Kultur fehlen, da werden
die Protagonisten zu geputzten Affen. Das alles resümiert der Erzähler,
zurückgekehrt von einer „künstlerischen Abendgesellschaft“,
in seinem Ohrensessel sitzend. Und er resümiert schonungslos, witzig
und offenherzig. Phrasierende Stilelemente, Wortgruppen – gebetsmühlenhaft
wiederholt, arbeiten das Geschehen reliefartig heraus. Der Autor schont
auch ehemalige Freunde nicht. Er überzeichnet die Figuren so brutal,
dass es in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts einen erbitterten gerichtlichen
Streit um die Veröffentlichung der Erzählung gab, da sich einige
der dargestellten und von Bernhard karikierten Charaktere durchaus wieder
erkannten. Bernhard versah sein Werk mit dem Untertitel „Eine Erregung“.
Und so las denn auch Moritz Führmann, als hätte er den Teufel
im Leib. Seine Stimme wurde zum Instrument, mit der er die Klaviatur der
Emotionen virtuos bespielte. Führmann ließ seinem ausgesprochenen
schauspielerischen Talent während des Vortrages freien Lauf und gestaltete
somit die Leselust zum Theaterereignis. Begleitet wurde er dabei von der
zauberhaften Tatjana Erler, die ihren Kontrabass zu Stücken von Emil
Tabakov, Hans-Werner Henze, Diego Ortiz, Vagn Holmboe und Erhan Sanri
Ohren schmelzend brummen ließ. Die Gesamtkomposition des Vortrages
bestach. Eine einzige menschliche Stimme und ein einziges Instrument schufen
eine lebendigere Szene, als das Fernsehen es in aller Regel zu leisten
vermag. Denn Hans-Joachim Röhrigs Leselust-Ensemble holte einen Dritten
ins Boot – die Phantasie ihres Publikums. |