Festliches aus der Gotthardtkirche
Matthias Passauer dirigiert Bachs Weihnachtsoratorium
Michael L. Hübner
Zu Weihnachten 1734 komponierte
Johann Sebastian Bach sechs Kantaten, die später unter der Bezeichnung
„Das Weihnachtsoratorium“ weltberühmt wurden. 274 Jahre
später, am dritten Advent 2008 wurde es eng in der altstädtischen
St. Gotthardtkirche. Weihnachtsoratorien gibt es viele – das aber
von Johann Sebastian Superstar füllte das große Gotteshaus
bis auf den letzten Platz. Und obwohl selbst die Orgelempore gestürmt
wurde – immer noch mussten einige Zuhörer stehen. Gemeindemitglieder
schätzten die Besucherzahl auf etwa 450. Ein zweiter Magnet nämlich
zog ganz gewaltig: Kirchenmusikdirektor Matthias Passauer dirigierte zwei
Ensembles, einen großen Chor, fünf Solisten (Sopran Carmen
Dahlke kam leider nur als Echobesetzung für die Arie des 4. Teils
„Fallt mit Danken, fallt mit Loben“ zum Einsatz) und Bettina
Damus statt Marc Spiess an der kleinen Orgel. Was vor allem der Brandenburger
Kantatenkreis leistete, war enorm. Wenn auch die Organisatoren auf die
Teile 2 und 3 verzichteten, so standen die Damen und Herren doch über
andertdreiviertel Stunden im kühlen Chor des Gotteshauses und intonierten
ihre Einsätze des als schwierig geltenden Werkes trotz dieser physischen
Anstrengung mit großer Disziplin, Engagement und Kunstfertigkeit.
Von den Solisten imponierte Markus Brühl besonders, der sich trotz
seines überaus präsenten und wohlklingenden Basses den ihn begleitenden
Streichern gegenüber dezent, man möchte beinahe sagen –
rücksichtsvoll verhielt. Er verlor dadurch nichts; die Berliner Kammersymphoniker
aber konnten ihre Souveränität unter den hohen Kreuzgewölben
der altstädtischen Hauptkirche behaupten, deren für chorale
Werke ausgelegte Akustik gerade den Streichern einen kräftigen Bogenstrich
abverlangt. Weniger Probleme kraftvoll gehört zu werden dürfte
dagegen das „Trompetenensemble Daniel Schmahl“ gehabt haben.
Die triumphierenden und schmetternden Bläser konnten getrost ihre
Dominanz ausspielen, mit der sie die Geburt des Gottessohnes bejubelten.
Es ist wohl nicht übertrieben Bachs Weihnachtsoratorium als einen
Gottesdienst eigener Prägung anzusehen, der von den Aufführenden
mit Hingabe „zelebriert“ wurde. Das Publikum dankte mit lang
anhaltendem Applaus und Trampeln und – soweit das in einem Gotteshaus
der Würde des Ortes entspricht – mit standing ovations.
Dass man die Teile 2 und 3 ausließ, lag einzig in der Länge
des Gesamtwerkes begründet, welches der Meister selbst auf sechs
Aufführungstermine rund um das Weihnachtsfest verteilt wissen wollte.
Eine kompakte Wiedergabe hätte trotz der gewaltigen Noten, dieser
unsterblichen Musik, sowohl Ausführende als auch Publikum in die
Knie gezwungen. Bachs Weihnachtsoratorium gehört ohne jeden Zweifel
zu denjenigen Werken, welche in vorderster Linie den weltweiten Ruf der
Deutschen als Kulturnation begründen halfen. Eine berstend volle
gotische Hallenkirche bewies eindrucksvoll, dass diese Musik in 274 Jahren
nichts, aber auch gar nichts an ihrer Attraktivität eingebüßt
hat. |