Alfred
Schnittke und Johannes Brahms im Brandenburger Theater
4. Sinfoniekonzert im BT am 20.
Januar 2007
K. K. Bajun
Ein bekanntes Online-Lexikon attestiert
dem musikalischen Schaffen des Deutsch-Russen Schnittke etwas Apokalyptisches.
Als ich seine Töne vernahm, dachte auch ich, der Mann müsse
Endzeitvisionen gehabt haben wie seinerzeit Johannes auf Patmos. Gütiger
Gott, was müssen die sowjetischen Bolschewiken dem Manne übel
mitgespielt haben.
Sehen Sie, ich stand einmal in Rotterdam vor dem „Garten der Lüste“
des großen, genialen Hieronymus Bosch. Die untere Hälfte der
rechten Tafel des Tryptichons zeigt die Musikantenhölle. Damals stand
ich vor dem Bild. Nun kann ich sagen ich bin – im Bilde! Wortwörtlich!
Wie Herr Schnittke das Meisterwerk des wunderbaren Malers so eins zu eins
in Noten fassen konnte, wie der Dirigent Herr Sanderling, der Solist an
der Bratsche Herr Mönkemeyer und das Brandenburgische Staatsorchester
das umzusetzen vermochten – das machte sprachlos. Teufel noch eins!
Lassen Sie uns beten, daß die christlichen Geschichten um Hölle
und Fegefeuer jeder Grundlage entbehren! Sonst will ich noch heute meinem
Götzendienst und Heidentume abschwören und ein frommer Katholik
werden. Nur das nicht! Nur das nicht!
Meine Seele sehnt sich nach den Gefilden, in denen des Meisters, des unvergänglichen
J. S. Bachs Musik gespielt wird und die Antonio Vivaldis oder doch zumindest
die des Johannes Brahms.
Denn nach der Pause brachte der bewährte Klangkörper unter Herrn
Sanderling die Sinfonie Nr. 4 e-moll, op. 98 des Johannes Brahms zu Gehör
– und da blieb nur eine Frage offen: Brandenburger, kennt ihr keinen
Zwischenapplaus? Man kann klatschen, wenn ein Orchester einen bravourösen
Satz gespielt hat! Kann man. Oder ist euch das zu genant? Habt’s
am Ende Angst vor der eigenen Courage oder traut ihr Euren Ohren nicht?
Vor Einhundertzweiundzwanzig Jahren, bei der Uraufführung des Werkes,
soll sich das Publikum etwas mehr produziert haben. Sind wir zu steif
geworden?
Am Ende ein beinahe fünfminütiger Applaus, ein verhaltenes Trampeln
– wie gesittet! Dieses Werk hätte einen donnernden Beifall
verdient, in die Luft geworfene Hüte – (aber die lagen ja brav
in der Garderobe); dieses Werk hätte in demselben Maße Bravo-Rufe
meritiert, wie das Orchester aus sich herausgegangen ist. Es ist schon
merkwürdig, wenn das Publikum hinter den Künstlern zurücksteht.
Mit dem Brahms wurde der Chur- und Hauptstadt ganz große Kunst geboten.
Brandenburg aber sollte sich davon etwas mehr mitreißen lassen.
Denn Werke und Aufführungen dieser Güte haben ein Recht auf
eine Zuhörerschaft, die ihre Seele an die Klänge verliert.
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