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Beim
Häuten der Zwiebel
Ein autobiographischer Abriß von
Herrn Günter Grass
K. K. Bajun
Die Sonne geht auf über dem
Berliner Tiergarten. Ich sitze auf „meiner“ Parkbank, der
Goldelse gegenüber und paffe eine Zigarre. In meinem Kopf entsteht
die Partitur einer Buchbesprechung, die das Werk „Beim Häuten
der Zwiebel“ beleuchten will.
Es ist merkwürdig:
Nicht so sehr der Inhalt der letzten dreißig Seiten, die ich für
gewöhnlich während der allmorgendlichen Zugfahrt in die Hauptstadt
schaffe, bewegen meine Gedanken. Das kommt später. Mehr noch kämpfe
ich mit einem Gefühl der Wut Leuten gegenüber, die sich diesem
Gewaltigen der deutschen Gegenwartsliteratur gegenüber mit bösartigem
und verheucheltem Gekläff profilieren, die Gunst der Stunde nutzend
den eigenen Namen auf die Bühne des Tagesgeschehens emporheben wollen.
Denn hier sehen wir einen, der wahrhaftig ist und den die Schuld nur halb
so drücken sollte, wie die Mehrzahl seiner Kritiker, Herrn Reich-Ranicki
wohlweislich ausgenommen. Hier sehen wir einen Mann einen Kniefall tun,
wie einst Herr Brandt in Wahrschau. Das Getöse durch die deutschen
Gaue ist ein Echo des Aufschreis von damals.
Dabei steht gar nicht so sehr die Frage zur Debatte, ob Herr Grass ein
solches Volk zur Leserschaft meritiert, vielmehr steht knallhart im Raume,
ob sich das deutsche Volk einen wie diesen Danziger Nobelpreisträger
verdient habe, einen Erzähler vom Formate Hamsuns, einen wie Laxness.
Zu guter Letzt einen, der wie Erich Loest und unser Vater Tucholsky den
Schild des ehrlichen Umgangs mit unseren Fehlern und Verbrechen hoch hält
und Farbe bekennt.
Beim „Häuten der Zwiebel“ ist Zeile für Zeile ein
ehrliches Werk, eine Autobiographie der besonderen Art, schonungslos vor
allem im Umgang mit der eigenen Person, milde gegen die, denen keine üblen
Taten nachzusagen sind und die trotzdem in das Räderwerk der ungeheuerlichsten
Verbrechen gerieten, die je Menschen wider Menschen ersonnen haben.
Beeindruckend die klare, die Grass’sche Sprache, die das Kunstwerk
fertigbringt, ihre Klarheit noch immer zu behalten, selbst wenn sie aus
endlosen Sätzen, geteilt von ungezählten Kommata hervorleuchtet.
Beeindruckend der Stil: Nicht Dogmen, Thesen, Aussagen werden zum Besten
gegeben, dem Leser gleichsam aufgedrängt. Die Fragezeichen in Regimentsstärke
machen die Schlagkraft des Buches aus.
Diese Fragezeichen sind beileibe keine Zeichen von Schwäche: „Ich
weiß nicht recht, könnte so oder so gewesen sein, wollen uns
da mal nicht festlegen...“ Es sind genau diese Fragen, die das Fundament
dieses Buches bilden; die vorsichtige Skepsis, die weise genug auch der
eigenen Erinnerung mißtraut.
Wehmütig stimmt, daß uns „Beim Häuten der Zwiebel“
als Schwanengesang entgegentritt. Ist es die Generalabrechnung mit dem
Leben des Schriftstellers Günter Grass? Will er nun nichts mehr sagen,
schreiben? Der synoptische Ansatz, der auf so viele seiner früheren
Bücher Bezug nimmt, läßt diesen Verdacht nahe liegen.
Aber ist nicht auch alles gesagt?
Um weiterzusprechen, muß man innehalten und auf die Wirkung des
Gesagten merken. Hat’s was gebracht? Das ist die zweite Frage, die
mir, auf meiner Bank sitzend bei morgendlich aufgehender Sonne durch den
Kopf geht. Welche Spuren haben die Werke des Herrn Grass in mir hinterlassen?
Wie hat das Erlesene auf mein alltägliches Verhalten Einfluß
genommen? Bei den Herrn Laxness, Heym, Loest und Tucholsky ist die Frage
schnell beantwortet. An dieser Stelle reicht ein knappes „immens“.
Bei Herrn Grass jedoch liegt die Sache vielschichtiger. Wie lauscht man
ihm, seiner Botschaft? Wie gleicht man sie ab mit dem eigenen Erlebten?
Wie baut man sie ein, ins eigene Leben, die eigenen Vorstellungen?
Ich scheue mich, zu seinen Vorträgen zu fahren. Bin ihm einmal begegnet,
in seinem Lübecker Haus. Da hat er eine Ausstellung eröffnet.
Neben mir die Kollegen des NDR, die dem Altmeister einige belanglose Fragen
stellten, pflichtschuldig, dienstverpflichtet – ein Drei-Minuten-Beitrag
im Vorabendprogramm. Meine Fragen werden noch belangloser gewesen sein.
Dabei stellte sich heraus, daß seine Gegenwart beinahe wichtiger
war als seine Aussage. Da lag etwas im Argen. Erst „Beim Häuten
der Zwiebel“ rückte diese Schieflage wieder gerade. Lesend
zuhören und selber in christlicher Demut erst einmal fünf Minuten
das Maul halten und nachdenken! Nachdenken! Nachdenken!
Kommt das Buch zu spät? Wirklich? Was wäre denn gewesen, wenn
es früher erschienen wäre, zu Adenauers und Globkes und Filbingers
unseligen Angedenkens Zeiten oder selbst noch in den Siebzigern, oder
gar in den „fun“ – verwöhnten Achtzigern? Die Glocke
hätte auf freiem Felde angeschlagen ohne den Resonanzraum eines Glockenturmes,
die Zahl der zu brauchbarer Reflektion fähigen Leser wäre um
ein Vielfaches kleiner gewesen – weil – selbst zu den Betroffenen
zählend – nur Wenige zu dieser Art des Umgangs mit den eigenen
Schatten, den eigenen Wunden in der Lage sind.
Ein Wort noch in diesem Zusammenhang zu unserer geliebten Stadt Danzig:
Vom sinnlosen Mord an Bürgermeister Conrad Letzkau durch unsere Ritter
vom Deutschen Orden im Jahre 1411 bis zu dem aberwitzigen Gegröle
Gauleiter Forsters hin dachte ich immer, die Dummheit zwischen Goldenem-
und Krantor spräche deutsch. Seit einige der Stadtoberen nun auf
eine Rückgabe der Ehrenbürgerschaft des Langfuhrer „Ginterchens“
drängen, weiß ich, daß das allmächtige und krummbuckelige
Mütterchen Dummheit nun auch die polnische Zunge beherrscht. Schade
drum. Wo sind die Ferbers geblieben und die Uphagens und ihr kühler
hanseatischer Geist? Polen, Polen, Ihr vergebt euch was! Mit solchen Dummheiten
tut Ihr Euch keinen europäischen Gefallen. Ginterchen hat unglaublich
viel für Euch getan und für die Aussöhnung und für
das gegenseitige Verständnis. In seiner Liga spielt bestenfalls die
selige Gräfin Dönhoff noch eine gewichtige Rolle – und
das alles tat er, nachdem er den Rock mit der Doppelrune in die Ecke gefeuert
hatte. Es gibt derer viele, die diesen Rock nie ganz ausgezogen haben
– gegen diese ist der Deutsch-Kaschube Grass einer Eurer wichtigsten
Verbündeten. Und den wollt ihr der Heimat ein zweites Mal entreißen?
Ihr heillosen Narren! Über die geforderte Rückgabe des Nobelpreises
sei an dieser Stelle kein Wort verloren – so tief kann sich auch
der Landbote nicht bücken, um mit solch jammervollen Zwergen zu ringen.
Das Buch „Beim Häuten der Zwiebel“ aber – das sei
dringlichst denen ans Herz gelegt, die deutsche Sprache und Kultur noch
aller Ehren wert halten, die Manns genug sind, sich selbst ins Gesicht
zu sehen und die gerne einen Teil ihrer Lebenszeit an die Beschäftigung
mit hochkarätiger Literatur vergeben möchten. Es wird ihnen
guter Lohn zuteil – dafür steht der Landbote ein.
Den traurigen Rest aber wollen wir getrost und wie immer an den Herrn
Konsalik und die amerikanischen Dutzendschreiber empfehlen. Denn wer das
Werk nur ersteht, um darin nach einem Skandal zu wühlen, der wird
nichts anderes finden als seine eigene Enttäuschung.
Unseren Lesern aber, denen die Empfehlung des jüngsten Buches aus
der Hand des großen Alten von der Trave wärmstens dediziert
sei, mögen die 480 Seiten einen ebensogroßen Gewinn bringen,
wie dem Rezensenten. Ja – es hat mich ein gutes Stück weitergebracht.
Danke, Herr Grass!
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