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Beethovens Neunte im Brandenburger Paulikloster
ein hervorragendes Kulturereignis
für die Chur- und Hauptstadt
B.
St. Fjøllfross
Den 13. August 2006 wurde im Brandenburger Paulikloster Beethovens Neunte
gegeben…
Wissen Sie was? Nehmen
Sie den Satz, knüllen Sie ihn zusammen und werfen Sie ihn in den
Papierkorb! Er taugt nichts.
Herr Bajun klopft mir seine Pfeife schmauchend auf die Schulter. Ich weiß,
was das bedeutet: Du hast Beethoven gehört, in diesen Mauern, nun
mach was draus! Schreib einen Artikel, der dem Maestro Beethoven, den
Künstlern, den Mauern gerecht wird.
Ja, dann wollen wir mal.
Sehen Sie, warum kann man dieses Konzert nicht mit einer gewöhnlichen
Kritik bedenken? Warum nicht schreiben wie jede Allerweltsgazette: Der
Violinist Meier hat den Bogen etwas zu akzentuiert gestrichen, der Chor
hätte etwas voluminöser auftreten können, des Dirigenten
Interpretation war … Das ist alles Nonsens! Denn hier ist weitaus
mehr geschehen. Eine Botschaft wurde übermittelt an einem besonderen
Orte. Und die Herolde haben ganze Arbeit geleistet.
Damit Sie das verstehen, will ich Sie in das Jahr 1945 entführen.
Die letzten Kriegstage in Brandenburg: ein paar hochrangige Nazis sind
sich ihrer Verbrechen wohl bewußt und befehlen, um ihre Haut zu
retten, erbitterten Widerstand bis zur letzten Patrone. Die heranrückende
Rote Armee kann nicht mehr und will nicht mehr und ist des Zuviels an
Leid und Elend müde und heizt aus allen Kanonenrohren in das Zentrum
der alten Chur- und Hauptstadt. Was in ihrem Wege ist, kann nicht mehr
bestehen. Das alte Dominikanerkloster St. Pauli bricht im Granatenhagel
zusammen. Was Generationen fleißiger Menschen schufen, geht in Trümmern
unter.
Ein Vierteljahrhundert später: Vor den geschändeten Mauern der
Klosterkirche macht ein kleiner, sechsjähriger Junge auf seinem 24er
Mifa die ersten Fahrradversuche. Immer, wenn er glaubt, er kann ein Weniges
an Konzentration entbehren, schweifen seine Blicke zu der Ruine, die er
liebt, die er trotz strengen Verbotes immer und immer wieder besucht.
Durch ein Loch in der Mauer krabbelt er in sie hinein, legt sich ins hohle
Kirchenschiff und sieht den Wolken zu, die über die des Daches beraubten
Säulen dahintreiben. Er durchstromert die verlassenen Gewölbe
des Kreuzganges, klettert in den Turm, besieht den Friedgarten und fragt
sich, welche Gewalt vonnöten ist, einem so mächtigen Bau so
übel mitzuspielen.
Heute, noch einmal dreißig Jahre später, weiß er es:
Das ist die zerstörerische Gewalt der menschlichen Dummheit, der
grenzenlosen Bosheit, die einst sein Volk zu bis dahin nicht gekannten
Untaten trieb.
Mit Verachtung sahen seither die Nationen der Welt auf alles, was deutsch
war. Auf alles? Nein!
Es gab Menschen, die den Deutschen einst einen anderen Namen schufen:
„Volk der Dichter und Denker“ nannte man sie. Goethe, Bach,
Schiller, Beethoven. Deren Werke ließ in den Herzen der kultivierten
Menschen Sehnsucht sprießen. Sehnsucht nach einer Kulturnation und
ihren Werten.
Immer und immer wieder hatte sich der kleine Junge von damals gewünscht,
diese Gemäuer, an denen er hing, noch einmal so zu sehen, wie er
sie von alten Photographien her kannte.
Zur Jahrtausendwende dann erfüllte sich sein Wunsch – wiederum
fleißige und bis ins Herz engagierte Menschen ließen das Kloster
nicht verkommen, sicherten es, bauten es Stein um Stein wieder auf.
Und dann kam jener 13. August 2006, von dem zu berichten ich heute das
große Vergnügen habe.
In der ersten Reihe durfte der kleine Junge von damals sitzen, diesmal
das Kirchenschiff mit geschätzten 500 Besuchern teilen und einer
Botschaft lauschen, die von Herrn Beethoven kam, jenem deutschen Giganten,
der das so andere, so freundliche, so schöne Bild von Deutschland
schuf.
Beethoven – was für ein Name, was für ein Riese! Ungestüme,
temperamentvolle Natur, alle verspießerten, irrealen Konventionen
hinwegbrausend wie ein junger Bergbach nach dem Frühlingsregen. Diese
unsterblichen Töne, diese gewaltige Musik!
Herr Generalmusikdirektor Michael Helmrath ließ sein Orchester zu
wahrer Hochform auflaufen. Wie er dirigierte, wie er sich gefangen nehmen
ließ von dieser Musik! Wie er dahinschmolz unter den zarten Tönen,
wie er die wuchtigen Akkorde einforderte! Seine Brandenburger Symphoniker
wurden zu seinem Instrument, zu seiner Stradivari.
Bei einem Dirigenten heißt es nur, hat er das Stück verinnerlicht
oder hat er nicht? Herr Helmrath hat! Herr Helmrath brauchte keine Partitur,
jede einzelne Note floß aus seinen Armen heraus und das Orchester
spielte sie mit derselben Leidenschaft.
Nun, werden Sie sagen, ist die Neunte nicht die mit dem berühmten
„Freude, schöner Götterfunken…“? Sie ist’s.
Und gesungen hat das der Berliner Oratorien-Chor unter Leitung von Herrn
Gerd Sell. Frau Weiss, Frau Pleß, Herr Willershäuser und Herr
Hagen führten mit ihren Stimmen – und die konnten dem Stück
das Wasser reichen! Alle Wetter! Immer und immer wieder blieben des kleinen
Jungen von damals Augen an den Mauern des einst so gequälten Bauwerkes
haften, welche der Musik eine so beeindruckende Resonanz verliehen.
Das war die Botschaft der Neunten Herrn Beethovens: Der Triumph des menschlichen
Genius über die menschliche Bosheit! Der Sieg der Harmonie unsterblicher
Musik über die Disharmonien heulender Granateneinschläge!
Diese Töne waren eine heilende Salbe auf den schwer verwundeten Steinen.
Sie waren eine Salbe auf unseren verwundeten Seelen.
Ein minutenlanger Applaus – und doch noch zu wenig für unser
Empfinden – bedankte sich bei dem Dirigenten und seinem Orchester,
bei Frau Christina Gerholz und dem Chor, dem sie ihre wunderschöne
Stimme gab, beim Brandenburger Theater, das diesen großen Vortrag
organisierte, bei der Überlegenheit des menschlichen Genius.
Eigentlich war der kleine Junge mit seinem 24er Mifa wieder ganz allein
in dem vollbesetzten Kirchenschiff. Sein Traum wurde wahr. Er verstand
den letzten Satz der Botschaft, der an diesem einen, bestimmten, besonderen
Orte fühlbare Gestalt angenommen hatte und der sich gleichsam an
seine Heimatstadt richtete: Mit dieser ungestümen Kraft, mit diesem
Willen, mit dieser wahren Menschlichkeit gelingt es, dem Schatten des
Vergangenen zu trotzen, Wunden zu heilen und untergegangen Geglaubtes
zu neuerem, schönerem Leben zu erwecken.
„Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium –
Wir betreten feuertrunken, Himmlische, Dein Heiligtum!“
Dein Heiligtum, Himmlische, war am 13. August 2006 ein vor sechzig Jahren
schwer mißhandeltes Dominikanerkloster an den Ufern der Havel –
gute Menschen haben es Dir geweiht. Dort nun halte Einzug, dort nun sei
zu Hause!
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