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Caro mio ben
eine Gedenklesung zu Heinrich Heines 150.Todestag
im Brandenburger Theater

J. F. -S. Lemarcou
Wenn wir den Dr. Tucholsky als unseren Geistigen Vater ehren, dann ist es nur recht und billig, die Ahnenreihe zum Dr. Heine zu verlängern. Er wäre dann quasi unser Geistiger Großvater, wenn ich mal so vermessen sein darf.
Viel verbindet ihn mit dem einstigen Frontmann der Weltbühne: Das Studium und der Doktor der Jurisprudenz, die zeitweilige Arbeit in einem Bankhause, darin aber nicht alt geworden, die Herkunft aus dem bildungsbürgerlichen Judentume, die enthusiastische Liebe zu Paris und der lange Aufenthalt in der französischen Hauptstadt und – natürlich – die himmlische Virtuosität des Umgangs mit der deutschen Sprache. Das politische Engagement, die messerscharfe und vorschlaghammerschwere Polemik gegen alle die Dummdepperten – man möchte meinen, Tucholsky sei ein leiblicher Sohn des großen Dichters von Düsseldorf gewesen. Selbst die Nazis begriffen trotz ihrer attestierten Dummheit diese Verbindung und ließen beider Autoren Werke auf einem gemeinsamen Scheiterhaufen in Flammen aufgehen.
Aber nicht alle. Die gehaßten Schriften überlebten das Imperium Stultitiae und so konnte das Brandenburger Theater am 12. Februar 2006 zu einer Heinrich-Heine Lesung einladen, die es unter die Überschrift „Caro mio ben“ stellte.
Am 17. Februar 2006 jährt sich nämlich zum hundertundfünfzigsten Male der Tag, an dem Heinrich Heine diese Welt verlassen mußte.
Wir hätten uns lieber zu seinem Geburtstage versammelt. Aber der Anlaß steht nicht in unserem Belieben – und da es um einen unserer Granden geht, ist das Dabeisein obligat!
Was die Brandenburger Theaterleute arrangierten, verdient unseren Beifall. Herr Hans-Jochen Röhrig als Leiter des kleinen Ensembles und Vorleser brachte Auszüge aus Heines „Italienreise“ zum Vortrag, die von Frau Ute Beckert (Sopran) und Frau Inge Lindner (Piano forte) begleitet wurden. Herr Röhrig las gekonnt, prononciert – so recht den Heine’schen Schalk treffend, dessen ungeteilte Herrschaft über Worte und Stil doch hinter jedem Komma hervorlugt.
Frau Beckert – ja, wie soll man sagen…? Spazieren Sie doch mal an einem milden Frühlingsabend über eine vollmondbeschienene Waldlichtung. Wenn dort eine wunderschöne, zarte, blonde Dame in den lieblichsten Bewegungen dahinschwebt, dabei einen klaren, einen glockenhellen Sopran ertönen läßt, dann sind Sie entweder der Feenkönigin Titania oder eben Frau Beckert begegnet. Verhalten Sie sich still und lauschen Sie mit Inbrunst – denn so etwas hören Sie nicht alle Tage.
Frau Lindner begleitete diesen Gesang auf das Angenehmste. Was die beiden Damen musizierten, waren kleine Stücke italienischer Meister des 18 Jh. Alessandro Scarlatti, Pergolesi, Paisiello waren die berühmtesten Vertreter. Doch auch unser Gigant Händel steuerte sein Scherflein bei: mit der weltberühmten Arie “Lascia ch’io pianga“. Frau Beckert, Sie traten mit einem Stück Händels an, das schon Farinelli gesungen haben soll und ich denke, Sie haben sich stolz behauptet. Hut ab!
Sehr gefallen hat auch die Kulisse, vor welcher die beiden charmanten Damen und der Herr Röhrig auftraten: eine breite Glasfront öffnete hinter den Vortragenden den Blick auf die still unter blauem Winterhimmel liegende Grabenpromenade, das rötliche Band der neustädtischen Stadtmauer mit dem dahinter sich befindenden Häuserzug. Überkränzt wurde der Anblick vom mächtigen Turm St. Katharinens, dessen Senkrechte vermittels eines in seiner Sichtachse arrangierten Blumengestecks den Blick auf die drei Künstler zurückführte. Alle Wetter! Das ist das Prinzip der offenen japanischen Gärten: Kulisse und Aufführung verschmelzen zu einer Einheit. Ruhig verharren die mächtigen Bäume der Parkanlage, als lauschten auch sie Worten, Gesang und Klavierspiel.
Leider bot das große Foyer nicht vielen Leuten Platz. Etwa vierzig Besucher konnten sich der Darbietung erfreuen. Das Programm wurde durch diesen Umstand sicher um eine exklusive Note und eine fast privat zu nennende Atmosphäre bereichert. Den Künstlern und dem Sujet aber hätte ich ein größeres Auditorium von Herzen gegönnt.
Das, wie wir bei dieser Gelegenheit explizit feststellen durften, auch architektonisch sehenswerte Theater der Chur- und Hauptstadt hat sich wieder einmal mit einem kleinen, kulturellen Praliné geschmückt. Wir waren dankbare Gäste.


B 3. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2006