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NVA
Ein Film von Herrn Leander Haußmann

K. K. Bajun
Wieder einmal hat der deutsche Film unter Beweis gestellt, daß Totgesagte länger leben.
Da ist etwas sehr, sehr gutes auf die Leinwand gekommen. Herr Haußmann jun. hat den Scheinwerfer seines exquisiten Witzes und seines scharf beobachtenden Auges auf ein Sujet geworfen, das den meisten gedienten „DDRlern“ in höchst unangenehmer Erinnerung sein dürfte: die Zeit bei der NVA.
Die Nationale Volksarmee…fürwahr – ein skurriles Objekt der deutschen Geschichte! Seit sie aus den Einheiten der Kasernierten Volkspolizei hervorgeschlüpft kam, vegetierte sie als Blinddarm der großen, unbesieglichbaren Roten Armee dahin, entmündigt und bestimmt, im Kriegsfalle das Opfermaterial zu stellen, zum Verheizen durch den Feind gedacht, bis sich der „Große Bruder“ zum Gegenschlag organisiert hätte. (Der Bundeswehr indeß wäre dasselbe Schicksal beschieden worden.)
Seit dem legendären Catch #22 des Joseph Heller wissen wir nun, daß keine Armee dieser Welt bei genauerer Betrachtung allzustark von einer Kasperlebühne differiert. Was dort an verbogenen Charakteren zur Darstellung gelangt, wie das auf normale Menschen trifft, denen unter den Bedingungen der Freiwilligkeit niemals in den Sinn gekommen wäre, die eigene kostbare Lebenszeit an dieses Affentheater zu verschwenden – das ist allemal eine Erzählung wert.
Wobei wir bei der Kernfrage angelangt sind, die den Film Herrn Haußmanns berührt: Wen hatte der Regisseur als Zielgruppe im Auge gehabt? Wenn wollte er erreichen? Hier wird es wirklich knifflig. Sollte der Westen über die doofen Brüder aus dem Osten lachen, die von der Geschichte überrollt wurden? Nein, mit Sicherheit nicht! Dazu ist „NVA“ zu feinfühlig, zu hintergründig, zu sensibel. Der absoluten Mehrheit der westelbischen Jauch-Marionetten fehlt einfach der Sinn, die Erfahrung – und vor allem: die DDR-immanente Kunst, zwischen den Zeilen zu lesen. Der gebildete Rest wird andere Sorgen haben. Und zum reinen Amüsement taugt das Thema wenig. Im Übrigen: Wer immer auf das schmale Brett kommt, den Nachkriegsstreifen „08-15“ als Vorgänger von „NVA“ anzusprechen, der irrt gewaltig. Natürlich bemühte auch „08-15“ sich verhalten, den Barras in seiner sinnlosen Dummheit widerzuspiegeln. Dennoch, hier stand der Rezipient von vornherein fest: Der einfache Landser sollte sich verstanden fühlen. Ihm, dem oft unfreiwilligen Opfer, sollte ein heroisches Denkmal gesetzt werden.
Genau hier aber streicht Herr Haußmann dieses zu oft zur Selbstentschuldigung mißbrauchte und verlogene Konzept konsequent durch. Außer den Koslowski Remarques kennen wir kaum heroische Soldaten. Opfer ja. Aber es sind hilflose Menschen – hineingeraten in ein Räderwerk, das sie von Herzen fürchten und verachten. Dieses Räderwerk, dieser unheilvolle Mechanismus hat viele von ihnen überrollt, der böse Kasper Kommis hat junge Menschen allzuoft in ihrem Wesen verändert – und nur sehr selten zum Positiven.
Genau das arbeitet Herr Haußmann mit stilsicherer und ruhiger Hand heraus. Prim, Sekund, Terz, Quart – es sind feine, ziselierte Hiebe, die der Regisseur den Dummköpfen von damals versetzt. Zurück zu unserer Frage: Für wen? Für die hohlen und ewigen Kommisköpfe kaum. Die werden wenig Lust verspüren, in den sauber geschliffenen Spiegel zu schauen, der sie in all ihrer dumpfen Blödheit reflektiert, gegen die schon Herr Tucholsky mit nadelspitzer Feder zu Felde gezogen ist.
Was ist mit den Soldaten, den einfachen Muschkoten? Die Gefreiten, die EKs von damals? Was ist mit denen? Wir sehen sie im Kinoparkett. Was mag ihnen durch die Köpfe gehen? Erfassen sie die Botschaft des Streifens, oder lachen sie nur verlegen über das, worüber sie damals Sturzbäche heulten, was sie hat vertieren lassen? Leider, leider: die letztere Vermutung scheint sich zu bestätigen. Da sitzen sie in Begleitung ihrer Frauen, weisen mit dem Zeigefinger auf die Leinwand, pranzen, grinsen, tuscheln – der Film ein prolongierter „Herrenabend“ am Grill, an dem die ollen Kamellen und üblichen Possen aus der Dienstzeit wieder und wieder bemüht werden. Die Frauen sind so unsagbar stolz auf ihre Töffel, wie sie da nach dem Abspann im Foyer noch schwadronieren. Heimlich scheinen sich einige von ihnen so manchen sorgenfreien Abends in den Armen eines Anderen zu entsinnen – die Kaserne bot sicheren Schutz gegen unliebsame Überraschungen...
Nur manche schauen geistesabwesend in die Ferne, ihre Männer an der Hand sehen betreten und still nach unten. Es ist vorbei!
Ist es das wirklich? Ist es das wirklich und wahrhaftig? Wir haben Grund, daran zu zweifeln. Das setzt sich fort – in welcher Gesellschaftsordnung auch immer. Das ist ewig. Die Archetypen sind zäh. Sie suchen und besetzen andere Nischen und fahren dort fort, ihren Mitmenschen zur Last zu fallen. Wir sehen die Centurionen von damals vor uns und vergleichen sie mit dem, was heute aus ihnen geworden ist: Wendehälse, die darum kämpften, in die Armee des ehemaligen Todfeindes übernommen zu werden, die um jeden Pfennig ihrer Rentenansprüche in Westgeld erbittert fechten, in Geschäftsführer von Detekteien und Security-Büros, in Abteilungsleiter und kleine bissige Köter. Und wir schütteln uns.
Vielleicht ist das Werk aber auch für andere Zeitgenossen gedreht worden. Für die ganz normalen Menschen, die mit der DDR verbandelt waren – ob sie das wollten oder nicht. Und die diese DDR zu ertragen hatten mit all ihren aberwitzigen Paradoxa, die nirgends so scharf gebündelt unter dem Mikroskop lagen, wie eben bei den bewaffneten Organen.
Unter denen nahm die NVA und die Bereitschaftspolizei noch eine Sonderrolle ein. Rekrutierte sich ihr Bestand doch aus den "janz Überzeuchten", oft Längerdienenden und der gepreßten Masse, denen der Laden entsetzlich stank.
Das Spannungsfeld zwischen diesen beiden Welten wurde mit anatomischer Präzision von Herrn Haußmann herauspräpariert. Die Darsteller, mit denen er die verschiedensten Charaktere und Rollen besetzte, konnten nicht besser gewählt sein. Das waren die Antipoden der Schlierenkomödianten aus den unerträglichen Seifenopern des modernen Vorabends. Das waren Könner. Allesamt!
Wer mit den Verhältnissen der NVA nicht vertraut ist, dem sei gesagt, daß der Film kaum zum Mittel der Karikatur griff. Die NVA war sich selbst Karikatur genug. Eine Überzeichnung der Geschehnisse war nicht mehr vonnöten. Man kann nicht einmal sagen, daß situative Schnappschüsse aus vielen Kasernen vor dieser einen Kulisse komprimiert wurden. Ein einziges Regiment reichte zu diesem hirnlosen Mummenschanz dicke aus!
Das Lächerlichste aber war, daß sich die NVA intern und hinter vorgehaltener Hand als legitime Tochter der Großdeutschen Wehrmacht begriff. Sie lachen? Na, schauen Sie sich doch mal die Uniformen an, den Stahlhelm, den die Wehrmacht einzuführen im Begriffe stand – wäre da nicht das Kriegsende gewesen. Erinnern Sie sich der albernen Sitte selbst höherer Chargen, sich den Mützenschirm über der Stirn nach oben zu biegen, was zwar offiziell verboten war, nichtsdestotrotz vehement betrieben und nur höchst halbherzig sanktioniert wurde? Klingt nicht noch das kernige militärische Liedgut in Ihren Ohren, deren Melodie nur allzuoft mit einem angepaßten Text unterlegt wurde? Dröhnt nicht die Straße Unter den Linden noch immer vom Stechschritt der NVA während der Wachablösung!
Diese Armee hatte sich nicht deutlich genug von ihrem Vorgänger distanziert. Gewollt? Ungewollt? Das mögen die Historiker entscheiden. Das ist nicht unser Anliegen.
Unser Anliegen ist, diesen Film zu empfehlen – allen, die ein waches und kritisches Auge haben und die stolz darauf sind, ihren persönlichen Geist und Esprit bewahrt zu haben, selbst durch die Zeiten des „Ehrendienstes“ hindurch.

B 3. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2005