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Der Knappe des Königs
von Heinz Ebert

K. K. Bajun
Man schrieb das Jahr 1984, das fünfunddreißigste Jahr der DDR, als der Verlag Neues Leben zu Berlin in der Reihe „Spannend erzählt“ ein Buch von 263 Seiten herausbrachte, welches in Romanform die Epoche der beginnenden Ostexpansion durch den sächsischen König Heinrich I. thematisierte.
Hauptheld dieses Buches ist ein böhmischer, sprich slawischer Junge von sechzehn Jahren, der als persönlicher Knappe des Königs dem sächsischen Herrscher Heinrich I. aus dem Geschlecht der Liudolfinger dient. Manche Irrungen und Wirrungen führen ihn im Verlauf der Handlung an die Brandenburg, die von Heinrich im strengen Winter 928/929 erobert wurde. Dort findet er zu seiner wahren Nation – der slawischen nämlich – setzt sich an die Spitze eines Stammes und wechselt somit die Fronten. Von nun an führt er geschult und mit Insiderwissen versehen den Kampf gegen die sächsischen Eroberer, der wie wir wissen, im Jahre 1130 nach zwanzig Jahrzehnten Widerstand für die westslawischen Stämme endgültig verloren ging.
Für uns Ostelbier, die wir allmiteinander Kinder dieser Ostexpansion sind, attrahiert das Sujet sicher mehr Interesse, als es das für beispielsweise einen Bayern oder Schwaben täte.
Doch ist das nicht der Grund, warum wir diesem Buche eine Besprechung widmen. Der Stoff selbst wurde recht simpel verarbeitet. Er lohnt des Aufhebens nicht.
Was dieses Buch eine nähere Betrachtung wert erscheinen läßt, ist vielmehr der historische Kontext, in dem es geschrieben wurde. Nicht umsonst erwähnte ich eingangs, daß das Erscheinen dieses Werkes in die Ära der ehemals Größten DDR der ganzen Welt fiel, deren Machthaber sich etwas darauf zugute hielten, Aftervasallen der einzigartigen und unbesieglichbaren Sowjetunion zu sein. Neununddreißig Jahre zuvor hatte die slawische Supermacht das Deutsche Reich nicht nur vom Hitlerfaschismus befreit, sondern in einem Aufwasch auch noch die Eliminierung des freien Gedankens konsolidiert.
Künftig galt nur noch, was dem „Großen Bruder“ genehm war. Dessen Sicht auf historische Ereignisse war verbindlich.
Die sowjetische Besatzungszone entblödete sich daher beispielsweise nicht, das lächerliche Scharmützel auf dem Peipussee, bei dem ein paar deutsch-litauische Schwertbrüder von einem Haufen zerlumpter Russen zusammengehauen wurden, weil die schweren Panzerreiter auf dem Eise ständig ausglitten und einbrachen, als heroische Schlacht wiederzukäuen. Alexander Newskij, der Speichellecker an den mongolischen Herrscherhöfen, die zu dieser Zeit Mütterchen Rußland fest im eisernen Griff hatten, wurde als Befreier der heiligen russischen Erde gefeiert. Er hatte sozusagen eine allererste Schlacht des siebenhundert Jahre später stattfindenden Zweiten Weltkriegs geschlagen und mit den faschistischen Eroberern aus dem bitterbösen Westen aufgeräumt. Lachen Sie nicht! Die Bolschewisten tickten so.
Ständig waren sie auf der Suche nach historischen Parallelen, um die eigene Existenz zu rechtfertigen. Woher sie diesen Spleen hatten? Na, aus der Bibel! Woher denn sonst? Dort beruft sich doch das seiner selbst noch sehr unsichere, blutjunge Christentum auch stets und ständig auf Passagen aus dem Alten Testament, die angeblich auf das Neue prophetisch verweisen. Tja, das ist schon schwach und trieb seltsame Blüten.
Offiziell waren die Kommunisten ja diejenigen auf diesem Planeten, die die Zukunft für sich gepachtet hatten. Gab es irgendwo irgendeinen Fortschritt in irgendeiner gesellschaftlichen Entwicklung, so wurde die progressive Partei zunächst bejubelt. Legte sie doch einen Meilenstein auf dem Wege zu den Gralshütern des Futurs zurück. Wurde sie dann dekadent und reaktionär, dann war es Zeit für die nächste Revolution. Hauptsache, schön pathetisch und blutig und heldenhaft.
Aber so ganz heimlich, still und leise begann sich die historisch kommunistische Katze in den eigenen Schwanz zu beißen: Was tun mit den entwicklungstechnisch unterlegenen Slawen des ostelbischen Raumes? Hätte man nicht die Panzerreiter König Heinrichs würdigen müssen, die sich um die erste christliche Jahrtausendwende herum anschickten, einer wendischen Gesellschaft von Jägern und Sammlern an der Schwelle zum Frühfeudalismus einen gewaltigen Fortschrittssprung nach vorne zu verschaffen – hin, auf dem unvermeidlichen Wege zur Befreiung der Menschheit von Willkür und Ausbeutung?
Im Prinzip schon. Aber die Sache hatte einen Haken! Erstens: die Panzerreiter waren sächsisch, sprich: deutsch. „Deutsch“ aber war per se für die Sowjetunion und ihre Satelliten ein Begriff, der hart am Limes des Faschismus angesiedelt war. Und Zweitens: sie kamen aus dem Westen, dem für den Osten traditionellen Hort des Bösen. Drittens und letztens: sie rückten slawischen Völkern auf die Pelle.
Da die Sowjetunion als slawisches Oberhaupt eine generelle und nicht zu bremsende Friedlichkeit für sich reklamierte, mußte das selbstredend auch für jeden slawischen Stamm gelten – natürlich inklusive rückwirkend!
Die Wahrheit sah grundsätzlich anders aus: Die Ostelbier, die nach der Völkerwanderung die verlassenen germanischen Gebiete besiedelt hatten, waren oftmals schlimme Räuber, die nicht weniger als die berüchtigten Wikinger – oftmals mit den nomadisierenden Ungarn im Verbund – die sächsischen Gauen in blutigen Expeditionen heimsuchten.
Doch diese Sichtweise war den kommunistischen Machthabern verpönt. Sie palaverten etwas diametral anderes. Dabei hielten sie sich geschickt an Halbwahrheiten:
Natürlich sprach das frühdeutsche Erbrecht nur dem ältesten Sohn einen Gesamtanspruch auf das väterliche Erbe zu. Die anderen mußten sehen wo sie blieben. Eine andere Regelung hätte bald zu einer sinnlosen Zerstückelung eines jeden Erbes geführt. Das begünstigte natürlich eine auf militärische Eroberung fremder Gebiete orientierte Haltung in der waffentragenden Bevölkerung. Keine Frage! Klar ist auch, daß die Kirche einen eindeutig expansiven Anspruch schon in ihren Statuten vortrug, welcher den feudalen Eroberungsgelüsten weltlicher Herrscher nur zu gelegen kam. Der Rest kommunistischer Geschichtsinterpretation ist purer Mummenschanz.
Doch genau dieser hanebüchene Blödsinn diktierte kommunistischen Autoren den Stoff in die Feder. Es galt mit einem dünnen Anstrich von scheinbarer Objektivität herauszuarbeiten, daß die sächsisch-deutschen Eroberer Prototypen der späteren faschistisch-imperialistischen Gegner der Sowjetunion waren. Zu weit hergeholt? Mitnichten. Besorgen Sie sich das Buch „Rauher Wind am Birkhuhnsee“ von Rolf Kahl (Kinderbuchverlag Berlin, 2. Auflage 1973)! Sie werden die oben getroffene Aussage Wort für Wort bestätigt finden. Das zieht sich durch die lokalhistorische Literatur der DDR hindurch wie ein roter Faden.
Kein Kniff wurde ausgelassen, um diese Faktenverdrehende Forderung nach Geschichtsretuschierung zu bedienen. Da wird der Protagonist von Herrn Eberts Buch von den Deutschen Wenzel genannt. Die Slawen hingegen sagen allesamt trotzig Zbraslav zu ihm, was eine slawische Entsprechung zum deutschen Wenzel ist. Recht so! Wir wollen auch bald vergessen, daß Wrozlaw auf deutsch Breslau heißt, nicht wahr!
Sprechende Namen finden Verwendung: Da klagt ein sächsischer Kaufmann mit dem bezeichnenden Namen Ortwin Schiefhals einen wendischen Fernkaufherrn namens Ljub an. Feige und verschlagen wird die sächsische Krämerseele geschildert, edel und aufrecht, selbstsicher und von angenehmem Charakter der Slawe. Und übrigens: Ljub bedeutet „der Liebe“. Plumper geht’s nicht.
Ein bißchen obligatorischen Herzschmerz in die krude Geschichte hineingerührt und fertig ist der verlogene Brei: Eine slawische Marianne führt unseren schwanzgesteuerten Helden auf den rechten wendischen Knüppeldamm. Sie heißt Ludmilla, schade eigentlich, aber das braucht uns nicht weiter zu beunruhigen.
Verstörend sind die Mittel, mit der hier selbst in Bereichen unterhaltender Prosa Ideologie verramscht wird, wie fauler Fisch. Die oben erwähnte Zeichnung der gegensätzlichen Charaktere erinnert in ihrer gandenlosen Primitivität sehr an Julius Streichers Stürmer. Das einzige, was man Herrn Ebert zugute halten möchte, ist, daß sich sein Bösartigkeit nicht gegen lebende Personen richtete.
Dennoch ist auch Autoren wie Herrn Ebert und Herrn Kahl und all ihren zweifelhaften Mitstreitern der unbedingte Vorwurf zu machen, daß ihre literarischen Beiträge zu einer mindestens so gestörten Identitätsfindung heranwachsender Deutscher beitrugen, wie es die Nationalsozialisten unseligen Angedenkens zu verantworten haben.
Man darf diese Literatur niemals vernichten. Nie! Aufbewahren für alle Zeit! Denn sie legt Zeugnis ab von der ideologischen Verblendung ganzer Generationen. Geschichte ist immer ein Fundament. Derjenige, der dieses Fundament zu fälschen sucht, der den Keim der Lüge in dieses Fundament legt, muß sich nicht wundern, wenn das Gebäude, das er zu errichten trachtet, vom ersten Stein an instabil ist. Ihm ist kein Bestand beschieden. Das ist die wertvolle Lehre aus solchen Machwerken mit pseudohistorischem Anspruch. Lest sie mit kritischem Auge! Überdenkt sie mit wachem Verstand und solidem historischem Wissen! Geht diesen Verführern in höherem Auftrag nie wieder auf den Leim. Denn sie säen den Unfrieden zwischen den Menschen und den Völkern. Sie lassen verlogen Friedenstauben flattern, während sie hinterrücks an Schwertern schmieden! Ihre Werke zeugen wider sie. Aber Du, Leser, mußt das erkennen! Das ist Dein Job!

B 3. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2005