Der Laden
eine Trilogie von Erwin Strittmatter
K. K. Bajun
Es wird wohl diese ungeheure Authentizität
sein, die dem Opus eine solche Faszination verleiht.
Ja, so war’s, so und nicht anders. Herr Strittmatter trifft den
Nagel auf den Kopf, mit jedem Wort und jeder Zeile. Mit jeder Szene,
die er zeichnete, entwarf er detailgetreu die Landschaft und die Leute,
die in ihr lebten.
Mit derselben, wie mit einem Skalpell herauspräparierten Bildhaftigkeit
beschreibt er einen Bauernhof, eine Ladeneinrichtung, eine Seele. Eine
Seele? Nein, es sind derer Dutzende, die vor dem Röntgengerät
seiner Dichteraugen vorüberparadieren. Keine wird vernachlässigt.
Keiner wird auch nur für einen Moment zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Er blickt ganz, ganz tief hinab. Und das ohne bloßzustellen. Man
findet sich wieder, ohne von peinlichem Schmerz berührt zu sein.
Ist das der Stempel wahrer Meisterschaft?
Bossdom, ein Dorf der Lausitz, am Anfang des 20.Jahrhunderts. Achthundert
Jahre nach der vollendeten Ostkolonisation ist das Dorf noch immer geschieden
in die Deutschstämmigen und die wendischen Kitos, die weiter hinten
rangieren.
Es ist ein ärmliches dörfliches Leben, gekennzeichnet von
harter Arbeit und vielen Entbehrungen. In dieser Umgebung wächst
er auf, der Erzähler. Inmitten eines intakten Familienverbandes.
Intakt? Denkste!
Herr Strittmatter verfolgt die Lavaströme, die unter nur dünner
Oberfläche dahinziehen – glühend und verheerend. Da
sind die Großeltern, die sich schützend vor ihre Kinder stellen,
selbst wenn diese offenkundig im Unrecht sind. Da ist der Vater, der
– obwohl eigentlich das Familienoberhaupt – regelrecht an
den Rand gedrängt wird. Da ist das Hausmädchen, das den Traum
aller kleinen Großstadtsekretärinnen träumt und ein
mehr als leichtsinniges Verhältnis mit dem Vater beginnt. Da ist
die Mutter, die vom gesellschaftlichen Aufstieg träumt, an den
wachsenden Anforderungen jedoch scheitert. Und da ist Esau – der
junge Erwin Strittmatter. Ein aufgeweckter, mitunter etwas verträumter
Junge mit feuerroten Haaren.
Es ist sein Weg, seine Biographie, seine Sicht der Dinge, die da erzählt
wird. Wie sieht ein kleiner Junge, ein Heranwachsender die Welt? Wie
versteht er, was um ihn herum passiert? Wie faßt er die Spannungsfelder
auf, die zwischen denen hin und her wabern, die ihm die Nächsten
sind? Kann man das glaubhaft wiedergeben? Herr Strittmatter kann es.
Eben das machte ihn zu einer Galionsfigur ostelbischer Schriftstellerkunst.
Der Autor richtet nicht – er beschreibt mit zarter Feder –
und doch...
Wir erkennen uns wieder. Wir, die wir in ebensolchen ziegelroten Vierseitenhöfen
aufwuchsen, in einem märkischen Dörfchen, umgeben von Eltern
und Großeltern, von deren Ansichten und Kontroversen, die wir
unseren Platz inmitten dieser kleinen Gemeinschaft einforderten und
täglich zu behaupten suchten – wir lesen mehr in diesem Werk,
als nur eine Familiensaga. Es schwingt in uns nach. Es spricht unsere
Seelen an. Die Liebe, die uns von allen Seiten herangetragen wurde,
die innerfamiliären Spannungen, welche die Erwachsenen so mühsam
vor uns zu verbergen suchten – hier wird alles noch einmal lebendig.
Wie ein Scharfrichter befragt uns das Werk nach unserer eigenen Reife,
nach unserer Souveränität, nach unserer Autonomie uns selbst
gegenüber: Wühlt es uns auf? Stolpern wir über vergrabene
Leichen in den Kellern unserer Seelen? Lauert da noch etwas Unverarbeitetes,
das uns verfolgt bis zum heutigen Tage – nun, da auch unsere Haare
sich zu grauen beginnen? Oder können wir gelassen lächeln,
alles schon erlebt, verstanden, unseren Frieden gemacht?
Ein solch großes Werk der Literatur filmisch umzusetzen ist eine
Herausforderung, an Kühnheit kaum zu überbieten. Die Gefahr
zu scheitern ist immens. Wir ziehen den Dreispitz vor allen Beteiligten
dieses Projektes – denn sie haben viel gewagt und am Ende –
gewonnen! Das war ein unangefochtener, ein vollständiger, ein grandioser
Sieg. Bravo!
Diese Trilogie in Wort und Zelluloid ist ein unverzichtbarer Beitrag,
eine Säule märkischer Heimatgeschichte.