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Hedda
Gabler
von Henrik Ibsen (1891)
(Hans-Otto-Theater Potsdam)
Aufführung am Brandenburger Theater
Regie Amina Gusner
Katja Riemann
Peter René Lüdicke
Werner Eng
Anne Lebinsky
Andreas Herrmann
K. K. Bajun
Grandios! Das Brandenburger Theater
hatte am 12. Mai 2006 seinem Publikum wieder einmal etwas ganz Besonderes
zu bieten: eine moderne Neuinterpretation von Herrn Ibsens „Hedda
Gabler“, die Hedda gespielt von Katja Riemann. Die, die kamen, durften
sich nach dem achtminütigen Schlußapplaus glücklich schätzen.
Die, die nicht kamen oder keine Plätze im voll besetzten Hause zu
ergattern vermochten, die haben definitiv etwas versäumt. Hervorragendes
modernes Theater – oft schon per se ein Widerspruch in sich –
an diesem Abend stellte es sich unter Beweis.
Einer, der vehement und lautstark zum Applaus beitrug, war ein echter,
attischer Faun.
Ob Sie wohl wissen, was ein attischer Faun ist, Frau Riemann? Es gibt
derer nicht mehr viele.
Eine aussterbende Gattung. Sie brachten seine alten Augen zum Leuchten.
Denn was diese Augen sahen, war nichts weniger als eine echte Diva, eine
Mimin von Format. Ich will nichts von knisternder Erotik schwafeln. Zu
ausgelatscht sind diese Pfade. Dennoch, eine echte Schauspielerin muß
den Teufel im Leib haben – und Himmelherrgott – selten sah
man diesen Herrn so schön Logis nehmen…!
Doch zu all dem später.
Worum geht es in Henrik Ibsens Stück? Ein unausgefülltes, nach
Luxus strebendes Dutzendmädel hat sich einen gestandenen, aber faden
Kulturhistoriker namens Dr. Jörgen Tesman geangelt, der sich seinerseits
mit dem kleinen Feuerkopf zu schmücken gedenkt. Ob er sie liebt?
Wer weiß. Sie liebt ihn jedenfalls nicht – soviel steht fest.
Was sie überhaupt liebt, das weiß sie auch nicht so genau.
Kann ein solcher Mensch überhaupt lieben?
Jadoch, da war mal was. Mit Tesmans ehemaligem Kommilitonen und congenialen
Kollegen Ejlert Lövborg. Sie hat ihn sausen lassen, denn Lövborg
– eine Art Jakob-Michael-Reinhold-Lenz-Verschnitt – bezahlt
seinen Genius mit einem ungefestigten Lebenswandel. So etwas kommt bei
Frauen vom Typ der Hedda Gabler ganz schlecht an. Eine Affaire, ja –
aber mehr auch nicht.
Und so wird die Hauptperson schier zerrissen vom Spannungsfeld ihrer inneren
Leere. Es gibt noch zwei Randfiguren – einen besten Freund namens
Assessor Brack und die kleine, farblose, graue Maus Thea Elvstad, die
sich um das verkrachte Genie bemüht. Alles endet in einer Tragödie
– der Verkrachte erschießt sich, als er im Suff ein bedeutendes
Manuskript verliert. Die Dramatik steigert sich, als just dieses Manuskript
der Hedda Gabler in die Hände kommt, die es dem ehemaligen Geliebten
doch leichtlich hätte zurückgeben können, es aber aus kleinlichen
Motiven heraus nicht tut. Als der besoffene Lövborg weinerlich mit
seinen Freitod kokettiert, reicht ihm Generalstochter Hedda eine Pistole
aus der Sammlung ihres verblichenen Herrn Vaters.
Das Pistol geht zwar irgendwann los, doch es ist mitnichten ein pathetischer
Selbstmord. Wir hoffen vergeblich auf eine Begegnung mit einem zweiten
Kleist.
Tragisch ist nämlich nur, daß sich Lövborg versehentlich
erschießt, in einem Freudenhause. Hedda Gabler konstatiert darauf,
daß alles, was sie täte, von bösem Mittelmaß gezeichnet
sei. Hören wir da Salieris Gejammer? Sie tut dann das einzig Absolute
ihres Lebens und erschießt sich selbst.
Wohlgemerkt, wir zerren hier ein wenig an Herrn Ibsens Hedda Gabler und
nicht an deren brillanter Darstellerin Katja Riemann. Insofern dürfen
wir uns diametral zu unseren verehrten Kollegen von der Vossischen äußern,
die in ihrer Abendausgabe der Nummer 54 vom 01. Februar 1891 über
die Uraufführung im Münchner Residenztheater kurz und bündig
schrieben: Rolle gut – Mimin mies.
Nein, ein Peer Gynt ist das nicht. Gemessen an den Urmetern der klassischen
Tragödie jedenfalls, Shakespeares Heinrich V. oder den Giganten der
klassischen griechischen Antike, schrumpft das etwas schal einherkommende
Sujet beträchtlich. Aber muß ein Überdichter wie Herr
Ibsen immer erste Wahl abliefern? Dem darf doch auch mal ein Ball vom
Fuß rutschen, nicht wahr? Ach, tut Gönnerhaftigkeit mal gut!
Die vage Faßbarkeit des Stoffes muß wohl auch die Spielleiterin
Frau Gusner gespürt haben. Ihre Adaption als Hommage zu Herrn Ibsens
hundertstem Todestag hatte zweifelsohne 'was! Spartanische Bühnenausstattung,
Perspektive, Wasser, atmosphärisch hereinwallende, parfümierte
Nebelschwaden – den Vierakter zum Einakter geschrumpft, ja, doch,
das war eine wirklich solide handwerkliche Leistung. Es gelang Frau Gusner
überzeugend, mehr aus dem Stück herauszuholen, als der Meister
ursprünglich hineinzulegen vermochte. Hut ab! Das mach mal nach!
Wenngleich wir jedoch hie und da mahnend den Zeigefinger erheben müssen:
manche Geräuschapplikationen erfüllten schon den Straftatbestand
der vorsätzlichen Körperverletzung. Nicht ganz so schrill, liebe
Frau Regisseurin! Wir, Ihr Publikum begreifen auch so ganz gut, worum
es geht. Der nach der Vorstellung noch stundenlang anhaltende Tinitus
jedenfalls hat unser Bewußtsein nicht nennenswert erweitert.
Das überzogene und hysterisch wirkende Gebrüll und so manche
clowneske Einlage waren ebenfalls gut – aber etwas zu ausgedehnt.
„Zu viele Noten, lieber Mozart, zu viele Noten!“ Hat Kaiser
Joseph II. gesagt. Verstecken wir uns mal hinter dem imperialen Purpur.
Doch Sie haben uns versöhnt, Frau Gusner, mit ein paar Akkorden Laurie
Anderson aus dem Off und ein klein wenig Parodie auf den Ewig Sinkenden
Dampfer.
Tja, und die anderen vier Vertreter der edlen Schauspielkunst? Gute Leute,
gute Leute – alles was recht ist!
Herr Lüdicke war ein würdiger Partner Frau Riemanns. Herr Eng
überzeugte, Herr Herrmann holte aus dem vertrockneten und einsamen
Assessor Brack heraus, was herauszuholen war. Nur die Rolle, die Frau
Lebinsky einnahm – es ist fast, als hörten wir Oskar Matzerath
aus Danzig leise raisonnieren:“ Konnt se nich, oder wollt se nich
oder durft se nich?“ Frau Lebinsky, wenn es Ihr Job war, eine farblose,
idealistische und verträumte Trine zu zeichnen, und sie haben DAS
schauspielerisch umgesetzt, dann sagen wir Ihnen eine große Zukunft
voraus. Dann sind sie fürwahr ein Schwergewicht auf den Brettern,
die die Welt bedeuten.
Ist aber auch nicht gerade leicht sich zu behaupten, wenn die Sonne selbst
auf der Bühne spielt.
Frau Riemann, wir sind wieder bei Ihnen: Virtuosität und das ganze
Spektrum Ihres Könnens prasselte auf die Zuschauer herab. So eine
herrlich rauhe Stimme – dazu noch im lasziven Liegen und Rekeln
vorgetragen, das haben wir noch nicht erlebt! Doll!
Das Einzige, was uns betroffen machte, war, daß Frau Riemann von
der ersten bis zur letzten Sekunde konsequent durch ihr Publikum hindurchsah.
Warum nur? Frau Riemann, dieses Publikum liebt Sie ganz offensichtlich.
Der acht Minuten anhaltende Applaus galt zum größten Teil Ihnen!
Da kann man die Menschen doch wenigstens einmal mit Ihren herrlichen,
ausdrucksvollen Augen anschauen, oder nicht?
Frau Riemann, der alte Faun, der im prüden; paulinisch deformierten
Abendlande müde geworden ist, DER kam Ihretwegen. Ehrlich! Und Sie
haben ihn nicht enttäuscht. Das konnten Sie gar nicht. Sie haben
ihn glücklich gemacht. Dafür sagt er Ihnen ganz artig ein leises
„Dankeschön!“
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