Die
Zauberflöte
In einer Aufführung des Brandenburger Theaters
vom 25. August 2006
K. K. Bajun
Den 25. August 2006 weilte der
berühmte Salzburger Komponist Herr Mozart in der Chur- und Hauptstadt
der Mark.
„Wie!“ höre ich Sie rufen, „Der ist doch schon
seit 1791 tot!“
Ja, wenn Sie das glauben, dann ist Ihnen seine Musik noch nicht ins
Herze gedrungen. Da stand er, der kleine Mann mit der Tausend-Taler-Perücke
und dem sündenteuren Zwirn – just neben Herrn Generalmusikdirektor
Helmrath, und wohnte einer Wiederaufführung seiner „Zauberflöte“
bei. Diese Musik, diese Oper! „Die Zauberflöte“, das
sind beinahe drei Stunden Gänsehaut, Euphorie, Tränen in den
Augen. Auf die Schultern wird er ihm geklopft haben, dem Herrn Generalmusikdirektor
– „Großartig, Maestro! Ganz bravourös!“
Die Inszenierung selbst spaltete die Lager. Das Brandenburger Theater
kooperierte mit der Berliner Hochschule für Musik „Hanns
Eisler“, deren Studiosi – allesamt Anfangs- oder Mittzwanziger
– in der Regie von ihrem Professor Herrn Prohaska geführt
wurden. Sie brachten durch die Bank weg großartige Stimmen zu
Gehör.
Unseren besonderen Applaus verdienen dabei die zahlreichen Künstler
aus dem ostasiatischen, vorwiegend südkoreanischen Raum, die ja
nun mit einer völlig anderen Sprache, Syntax, anatomischen Kehlformung
aufwuchsen und sich desungeachtet so tapfer und beachtlich präsentierten
Doch über die Geschenke für die Ohren wird noch zu berichten
sein.
Was einzig bei großen Teilen des Publikums Befremden hervorrief,
war die szenische Gestaltung des Werkes, die kaum mehr an dessen „egyptische“
Ursprünge erinnerte.
Die „Zauberflöte“ ist ja nun bekanntermaßen eng
mit dem Wirken freimaurerischen Geistes verbunden, welcher seine Wurzeln
lange vor der Champollion’schen Hieroglyphendechiffrierung auf
die Weisheit der alten „Egypter“ zurückführte.
Demzufolge sind wir der Ansicht, daß dieses Werk ein Kompositum
sein muß aus der Musik, der Darstellung UND eben des Bühnenbildes,
respektive der Kostümauswahl.
Dieser letzte Punkt, bei dem schon Schinkel seine unvergessenen Maßstäbe
setzte, wurde bei der Brandenburger Aufführung vom August 2006
mit experimentellem, gleichsam kühnem Schwung verworfen.
Nichts dagegen, daß das feste Bühnenbild, während des
ganzen Stückes nicht verändert, eigentlich ein halbkreisförmiger
Bretterzaun war. Dieser Zaun wurde zur Projektionsfläche von anerkennenswerten
visuellen Effekten, die sehr wohl in der Lage waren, die Handlung sowohl
emotional zu begleiten als sie auch akzentuiert zu unterstreichen.
Einzig irritierend in diesem Konzept erschien uns die Darstellung der
drei sarastrischen Tempel als erratischer Block in Gestalt einer wahrscheinlich
fernöstlichen Wohnmaschine.
Wer in einem solchen Arbeiterschlafregal Tugend, Weisheit und Liebe
zu finden trachtet, wird lange suchen müssen. Die ursprüngliche
Botschaft der Szene versandete wie ein Fluß im Wüsten-Waadi.
Wahrhaft erschreckend war die Kostümierung. Mein Gott, wenn es
denn eine modernistische Interpretation sein soll, dann zieht den Akteurs
halt Anzüge mit Krawatten und Hosenröcke an. Wenn’s
denn sein soll…
Aber Sarastro zu einem afrikanischen Despoten zu stilisieren, der uns
in schwerste Wahrnehmungskonflikte brachte: „Idi Amin Dada von
Uganda oder doch der Hüter der Weisheit und der Menschlichkeit?“
– Sie verstehen, beides zutiefst diametrale Charaktere –
das war harter Tobak!
Die Zauberflöte ist in ihrem Handlungsstrang gewiß nicht
das konsequenteste Stück, und einige Ansichten des großen
Philanthropen Sarastro wären nach unserer gegenwärtigen Auffassung
schon therapiebedürftig, aber das…?
Die drei Damen der Königin der Nacht, die so hinreißend sangen,
sollen den Typus „Genius der dunklen Seite“ verkörpern.
Diese Damen als Lara-Croft-Verschnitt auftreten zu lassen, hieß
diesem Anspruch vollumfänglich gerecht werden. Der letzte Zweifel
schwand, als die drei Nachtigallen die Sing- mit den Sprechpartien vertauschten.
Der flapsige Gegenwarts-Slang tat wirklich weh. Nein, Kinders, das geht
nicht! So böse sind die drei ja schließlich auch nicht. Sogar
Kinskis Phantom der Nacht wußte sich stilvoller zu bewegen.
Ganz übel wurde vom Kostüm den drei Knaben mitgespielt, deren
Verkleidung einzig der Albtraumproduktion dienlich war. Drei mal Lagerfeld
als untoter Albino – das rüttelte am Nervenkostüm.
Und was hatten in den Heiligen Hallen, aus denen man Gewalt und Rache
verbannt hatte, Söldner mit Reichswehrstahlhelm und Maschinenpistole
verloren? Gewappnete – ja. Aber eine belgische Kolonialtruppe
aus dem Kongo?
Die Farbe Weiß verkörpert in unserem Kulturkreis die Unschuld,
Reinheit und Freude. Auch hier wurde in unseren Seelen der Kampf zwischen
dem Gesehenen und der kulturellen Prägung entzündet. Auch
hier hätte der Kontrast zwischen den Vorgaben des Stückes
und der Aussage der Umsetzung nicht größer sein können.
Einzig die Damen und Herren aus Korea werden das Ganze wohl anders,
treffender beurteilt haben – gilt doch in Fernost die Farbe Weiß
als Zeichen der Trauer.
Preußen ist die Heimat der Toleranz. Das verpflichtet zu Neugier
und Offenheit auch modernen Ansätzen gegenüber. Wir werden
den Teufel tun, das Stück zu verreißen. Dazu muß man
die Gesamtaufführung auch viel zu differenziert bewerten. Das Brandenburger
Publikum tat genau das bei dem langanhaltenden Schlußapplaus ganz
intuitiv. Das ging von Trampeln, Johlen und frenetischen Klatschen bis
zum vereinzelten „Buh!“. Letzteres war dem Bühnenbild
und der Kostümierung geschuldet.
Getrampelt wurde für Herrn Roman Grübner, der den Papageno
gab. Er zog sich die maßgeschneiderte Rolle Herrn Schikaneders
über und – drückte ihr seinen Stempel auf!
Erst 26 Jahre alt – eine wunderbare, kraftvolle Stimme –
ein gesangliches Talent von Format – ein Schauspieler, der mit
dem Anspruch antritt, sein Publikum glücklich zu machen –
seine brillante Kunst und sein natürlicher, völlig ungekünstelter
und warmherziger Charme haben ihn dieses gesteckte Ziel souverän
erreichen lassen. Ihn wiederzusehen wird uns immer das größte
Vergnügen bereiten.
Ein weiterer Höhepunkt verdient hervorgehoben zu werden: Frau Heidi
Elisabeth Meier aus Nürnberg gab und sang die Königin der
Nacht. Die Arie! „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen…“
Jeder weiß es: diese Arie fordert alles! Was für Koloratursopranistinnen
haben nicht schon ihre Standards an dieser Arie abgesteckt! Das ist
wie der legendäre Weitsprung von Bob Beamon. Das ist wie die Erstbesteigung
des Mount Everest. Da ranzukommen – das ist wirklich schwer. Mit
Bangen wurde die Arie erwartet – mit lichter Begeisterung wurde
sie quittiert. Perfekt, Frau Meier! Der kleine Mann aus Salzburg, der
Unsterbliche, der hat Ihnen applaudiert – ich hab’s gehört.
Traurig stimmt allerdings, daß die Brandenburger es bei einem,
sicherlich forcierten Applaus belassen. So etwas Grandioses bekommen
ihre Ohren zu hören – und sie bleiben auf den Sitzen kleben?
Sie fordern sich keine Szenenwiederholung ein? Meine Damen und Herrn
auf den Rängen und im Parkett: man kann nicht nur auf der Bühne
„Provinz“ spielen, man kann auch im Zuschauerraum „Provinz“
klatschen.
Alles in allem hat uns diese Aufführung mit einem glücklichen
Gefühl nach Hause fahren lassen. Wenn die Stadt eines Tages soviel
leistet, wie jetzt schon ihr Theater, dann hat sie gute Aussichten,
an ihre einstige Geltung anzuknüpfen.