Geschichten auf Gold
Bilderzählungen in der italienischen Malerei
eine Sonderausstellung der Berliner Gemäldegalerie vom
4.11.2005 bis zum 26.02.2006
K. K. Bajun
In der Berliner Gemäldegalerie
am Kulturforum wurde dieser Tage eine bemerkenswerte Sonderausstellung
eröffnet. Ein junger Museologe brachte das Bravourstück zustande,
Fragmente eines ehemaligen Altars einer Florentiner Kirche zusammenzubringen
und das Meisterwerk in beinahe kompletter Form zu präsentieren.
Das Besondere an diesem Altar ist der Umstand, daß der Schöpfer
der Bildwerke, der Sienenser Meister Ugolino di Nerio, seine plastischen
Schilderungen theologischer Erzählungen auf Gold malte. Selbst
im schwerreichen Florenz des Jahres 1315 dürfte dies keine Alltäglichkeit
gewesen sein. Zumal der Auftraggeber, für dessen Kirche Santa Croce
das Kunstwerk geschaffen werden sollte, ein Bettelorden war. Es handelte
sich nämlich um Franziskaner, die doch jeden irdischen Besitz ablehnten
und Reichtümer und Kostbarkeiten zum Gotteslobe für denkbar
ungeeignet hielten.
So sehr die Kunst auch besticht – für einen Heiden wie mich
ist der Besuch dieser Ausstellung, die sich mit einer sicherlich hochgradig
ausgereiften, mittelalterlich christlichen Kunst befaßt, gleichbedeutend
mit einem Gang durch ein Gruselkabinett. Das vorgeführte frühe
Propagandamaterial einer Religion, deren ursprüngliche Ziele die
Befreiung des Menschen von Not und Leid waren, ist an naiver Brutalität
und brutaler Naivität nicht mehr zu übertreffen.
Die Idee von christlicher Erlösung fußt zunächst einmal
auf der Verdammnis des Lachens. Alle dargestellten Personen, selbst
jene, die nicht gerade für ihren Glauben massakriert werden, sind
von einer geradezu byzantinischen Strenge gezeichnet. Die alte christliche
Ikonographie einer auf pragmatischen Machtgewinn orientierten Weltanschauung
verflucht die Freuden des Lebens als integralen Bestandteil des Lebens
selbst. Das ist erklärlich: War doch nicht die Verbesserung des
irdischen Daseins postuliertes Ziel der Christen – an den weltlichen
Verhältnissen zu rütteln erschien selbst diesen Träumern
zu obskur – alle Gedanken richteten sich auf eine Optimierung
der höchst zweifelhaften postmortalen Lage! Daher rührte denn
auch die hohe Bereitschaft mancher früher Christen zum Märtyrertod.
Je gräßlicher, desto besser – wie man am Beispiel des
auf einem Siebe gebratenen Laurentius konstatiert, der sich ehrlichen
Herzens über die ihm angetane Marter freute. Sicherte sie ihm doch
nach seinem Verständnis einen Platz im Himmelreich.
In unserem heutigen aufgeklärten Zeitalter würden wir diese
Leute als Hysteriker, von Psychosen und Neurosen geplagte arme Irre
klassifizieren. Nicht umsonst sind überdurchschnittlich viele junge
Frauen unter den Märtyrern zu finden. Auf den Fundamenten der Höllenqualen
dieser bedauernswerten, fehlgeleiteten und fanatischen Menschen errichtete
Ecclesia ihre Fundamente, die sodann von recht bodenständigen Leuten
beherrscht wurden, die es überwiegend vorzogen, andere zu rösten,
statt selbst die Knochen im Sinne ihrer Wegbereiter hinzuhalten.
Der Pferdefuß, der dem Märtyrerkult anhaftete, war, daß
sich die Märtyrerbewegung seit je aus der Opposition rekrutierte.
Anders war sie ja auch schlecht denkbar. Etablierte Instanzen fordern
immerwährend eine Bildung antagonistischer Strukturen heraus, deren
zeitgenössische Vertreter kaum von den Machtinhabern zu vereinnahmen
sind. Das war die Crux, mit der der Vatikan zu kämpfen hatte, als
er gegen die Albigenser, Katharer, Fratizellen vorging. Zu genau wußten
die Kardinäle, welche Macht dem Märtyrertum innewohnt. Und
so achteten sie peinlich darauf, daß beispielsweise die Asche
des 1415 zu Konstanz verbrannten Professors Johannes Hus in den Rhein
geschüttet wurde, um jeder möglichen Reliquienverehrung einen
Riegel vorzuschieben.
Doch kehren wir zurück zu den Bildern des ehemaligen Franziskaneraltars
von Santa Croce. Was da an Legenden und Moritaten um Heilige zusammenfabuliert
wird, wäre in unserer Zeit eine glatte richterliche Einweisung
in ein psychiatrisches Fachkrankenhaus wert. Da werden Wunder verkauft,
die so irreal sind, daß man sich nur noch entgeistert an die Stirne
greift: Wir sehen Bildtafeln, auf denen Maultiere und Löwen trotz
ihrer animalischen Unvernunft doch die besondere Weihe eines heiligen
Menschen, einer heiligen Tat oder eines heiligen Ortes erkennen. Was
hätte sich je die unverbildete Kreatur über die Blödsinnigkeiten
Gedanken gemacht, die von den Nackten Affen in einem Fort ausgeheckt
werden!? Was dem Menschen in seinem krausen Wirrsinn heilig erscheint,
daß ficht weder Pflanze noch Vieh an. Auch wenn die Wirrköpfe
das noch so sehr zu sehen wünschten. Jedoch – wir können
getrost davon ausgehen: Die mittelalterlichen Konsumenten haben den
Aberwitz geschluckt. Na ja, viel Grund uns darüber zu erheben,
haben wir sicher auch nicht: Ich möchte gar nicht wissen, wie viele
geistige Tiefflieger felsenfest an Scully und Moulder, an Star Treck
und den anderen Blödsinn glauben, den uns die Flimmerkiste als
moderne Ausgabe mittelalterlicher Bilderkunst vorsetzt.
Doch gehen wir ein paar Schritte weiter!
Da spuckt ein anderer Heiliger seinem Gotte ungeniert in die Suppe,
als er einen bereits verstorbenen Knaben wieder zum Leben erweckt. Der
juvenile Zombie rennt dann auch spornstreichs mit betend gefalteten
Händen durch die Weltgeschichte. Anscheinend soll er seine Wiedererweckung
von den Toten, seinen Heiligen und das Wunder selbst preisen. Aber wenn
man sich die Szene genauer besieht, so kündet er allen Betrachtern
von der Widerborstigkeit des Heiligen Zenobius, die da offenkundig den
Willen Gottes mit Füßen trat: Hatte nach christlicher Lesart
der Herrgott das Knäblein nach Seinem Allerhöchsten Ratschluß
etwa nicht zu Sich berufen? Wie sagt doch gleich der Gottessohn: Lasset
die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht! Zenobius aber wehrte.
Wir begegnen hier einem eklatanten ideologischen Widerspruch, der darin
besteht, daß ein Heiliger, der sich doch durch besonderen Gottesgehorsam
auszuzeichnen hat, offenen Ungehorsam demonstriert, was allerdings seiner
Heiligkeit noch im besonderen Maße zugerechnet wird. Ja, ist denn
das noch zu fassen!
Aber keine Aufregung! Es ist nicht zu befürchten, daß dieser
Wiederspruch irgend jemandem aufgefallen wäre. Ganz im Gegenteil:
Gott ließ den Knaben nur zum Zwecke der Resurrection dahinscheiden,
auf daß durch die Vollführung eines – natürlich
gottgewollten – Wunders die Heiligkeit des Frommen offenbar werde.
Soweit die offizielle Argumentation.
Wer die Macht hat, biegt sich nun mal jeden Schwachsinn so lange zurecht,
bis er als lautere Wahrheit wahrgenommen zu werden hat.
Die Kunst, die in der Ausstellung gezeigt wird, ist über jeden
Zweifel erhaben. Das steht hier auch nicht zur Disposition.
Aber wir sind unvermögend, diese Kunst von ihren Inhalten zu trennen.
Wir, die wir die europäische Geschichte zur Genüge kennen,
sind entsetzt im Angesicht der Geisteswelt, die sich uns offenbart.
Kristallklar liegt es vor uns, dieses unselige Ideenkonglomerat, denn
zwischen seinen Produkten und unseren Augen schrumpfen sieben Jahrhunderte
auf vernachlässigbare vierzig Zentimeter zusammen.
Eine Religion von durchgedrehten Fanatikern, hysterischen Spökenkiekern
und Märchenerzählern hatte sich zu einer brutalen Weltmacht
empor gelogen und gemordet. Auf ihren Altären heuchelte sie Frömmigkeit.
Meine Ureltern unterlagen diesen „Christen“ im Ringen um
das Havelland. Sie bekamen daraufhin diesen ganzen dem Lande fremden
Unfug so lange eingebleut, bis sie sich in ihrer erbärmlichen Not
selbst tiefst innerlich daran festzuklammern begannen. Ich wandte mich
schaudernd ab.
Der Rabbi war sicherlich ein feiner Mann und ich bestreite seinen Anspruch,
Gottes Sohn zu sein, keineswegs. Aber ich glaube fest, daß er
diese verlogene Bande, die seinen Namen wieder und wieder beschwor,
zum Tempel herausgedroschen hätte. Er hätte sie durchschaut,
die solchen Mummenschanz zum Zwecke propagandistischer Verbreitung in
Auftrag gaben.
Einen bedingungslosen Monotheismus einfordern und unsere alten Naturreligionen
als Teufelszeug verwerfen, das ist eine Sache. Aber den Polytheismus
durch das Hintertürchen unzähliger Heiligenviten wieder einzuführen,
daß ist der Gipfel!
Wir können auch hier nicht die Kunst vom Inhalt trennen, sowenig
wir das im Angesicht einer Statue von Arno Breker oder eines Propagandafilms
von Leni Riefenstahl vermöchten.
Was wir aber können: Wir können uns tief vor der Andacht und
der großen Kunstfertigkeit der Alten verneigen, denen ja keine
andere Welt als die ihrige bekannt sein konnte und die daher besten
Gewissens handelten. Und das tun wir.
Wir drücken Herrn Dr. Stefan Weppelmann unsere Hochachtung für
die wissenschaftliche und organisatorische Glanzleistung aus, die es
zu Wege brachte, die in aller Welt verstreuten Teile des alten Altars
der Franziskanerkirche Santa Croce zu Florenz für die Dauer dieser
Ausstellung in Berlin zu versammeln. Wir wünschen der Ausstellung
viele Besucher mit einem kritischen und hinterfragenden Blick. Einem
Blick, der sich nicht so leicht von oberflächlicher Schönheit
blenden läßt. Aber auch einem Blick, der sich der reinen
Kunst an sich nicht versagt. Letztere nämlich bietet uns die Ausstellung
im Übermaß.