|
Scheiterhaufen
auf dem Moritzberg
Scholcher M. Druckepennig. Havelsee. „Herr Druckepennig, Sie sehen ja aus, als wären Sie dem Leibhaftigen begegnet!“ „Schlimmer, Chef, schlimmer!“ „Nun kommen Sie! Was kann denn noch schlimmer sein?“ „Na ja Chef, ich bin jemandem begegnet, der die Feuer der Inquisition und der Hexenjäger noch immer befürwortet und voll und ganz dahinter steht! Der Leibhaftige mag ja sein, wie er will – aber soviel boshafte Dummheit traue ich ihm nicht zu.“ Mittlerweile wurden die anwesenden Kollegen in der der Radaktion hellhörig. „Erzählen Sie doch mal!“, brummt es vom Schreibtisch des Stellvertretenden herüber. „Sehen Sie“, sage ich, „am Samstag, dem 15. März 2024 saß ich gegen fünf Uhr nachmittags in der kleinen Schenke auf dem Moritzberg, dem Hausberg der Reichsstadt Nürnberg, gelegen vor den Toren des hübschen fränkischen Städtchens Lauf an der Pegnitz. Nach beinahe drei Jahrzehnten ließ ich mir dort ein frisch gezapftes, kaltes Kitzmann schmecken. Am Tisch gegenüber saß einer, so ein wuchtiger Bursche mittelspäteren Alters, so ein Managertyp, mit seiner Frau und studierte die Speisekarte. Auf dieser wurde wohl ein Gericht angepriesen, das nannte sich makaberer Weise „Scheiterhaufen“. Angesichts der unbeschreiblichen Qualen, welche die zum Tod auf dem Scheiterhaufen Verurteilten zu erdulden hatten, klang diese Beschreibung eines Mittagsgerichts für mich geschmacklos. Ich versuchte meine Missbilligung in höfliche Worte zu fassen und meinte, dass diejenigen, welche sich lustvoll daran machten, dieses Menü zu verspeisen, wohl die Einzigen wären, welche sich über einen „Scheiterhaufen“ freuten. Den Widerwillen derer aber, welche man auf einem echten Scheiterhaufen lebendigen Leibes verbrannt hätte, könne man wohl nachvollziehen.“ Darauf schaltete sich der besagte Gast ein und meinte, das mit dem Verbrennen dürfe man so nicht sehen. Ich sei doch wohl ein guter Katholik, oder? Oder etwa ein, igitt --- Protestant?! Das wäre ja eine Todsünde! Aber dann solle ich wissen, dass das Feuer die Seelen der Sünder geläutert hätte und diesen Seelen somit eine Chance gegeben worden sei, doch noch, trotz ihrer begangenen Sünden in den Himmel aufzufahren! Meine Herren, die letzte Hinrichtung auf einem deutschen Scheiterhaufen fand vor 212 Jahren in der Berliner Jungfernheide statt. Es ist doch nicht möglich, dass völlig irrsinnige Fanatiker diese grauenhafte Barbarei noch heute befürworten!“ „Wie Sie sehen, ist es das doch!“, ließ sich der Kollege Barbagrigia vernehmen. „… und weitaus häufiger, als Sie denken! Danken Sie Ihrem Gott, dass er Ihnen einen derart profunden Einblick gewährte, was hinter den Stirnen dieser Leute noch immer vorgeht! Fühlen Sie sich gewarnt! Geben Sie denen einen Hauch Macht zurück – und die Feuer lodern sofort wieder auf! An Ihrem Gesprächspartner sind dreihundert Jahre Aufklärung spurlos vorübergegangen. Ich schwöre Ihnen, der ist beileibe kein Einzelfall.“ „Vielleicht war ich auch nicht viel besser“, grunzte ich, mir zufrieden über den Wanst streichend. „Immerhin habe ich mit unverhohlener Genugtuung zum Besten gegeben, wie einer der übelsten Hexen- und Ketzerjäger der deutschen Geschichte von der Feme erschlagen und also Konrad von Marburgs sündige Verbrecherseele dorthin geschickt wurde, wohin sie gehörte – nämlich in die Hölle!“ Monsieur Lemarcou bemerkte seinerseits: „Die menschliche Zivilisation, die Errungenschaften des Humanismus – das alles ist nur die hauchdünne Fassade, die Oberfläche eines spiegelglatten Meeres. Entscheidend ist das, was in den unergründlichen Tiefen darunter vorgeht. Am übelsten sind schon immer die Leute gewesen, die im Namen Gottes zu Teufeln wurden. Insofern hatte der Chef eingangs nicht Unrecht – sie sind einem solchen irrsinnigen Dämonen in Menschengestalt tatsächlich begegnet und ihre Blässe ist somit absolut verständlich. Hätten Sie dem vertickt,
dass Sie in Wahrheit ein Jude sind, müssten wir wohl jetzt einen Nachruf
auf Ihre geschätzte Persönlichkeit verfassen. Bevor man den aber ins Irrenhaus
verfrachtet hätte, wäre der gesamte Moritzberg von dem verkannten Inquisitionseleven
wahrscheinlich in einen Weihrauchnebel gehüllt worden, um die unchristliche
Entweihung des Heiligen Ortes durch einen Sohn des verworfenen Volkes
zu kaschieren. Nicht wenige Ihrer Leute musste ja auch ihr einziges Leben
unter grässlichen Qualen an ihren Gott zurückgeben – denken Sie nur an
das Berliner Hostien-Pogrom im Jahre 1510!“ |
30.
Volumen |
©
B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003 18.03.2025 |