Stress mit dem Stresstest
Klappe: Stuttgart 21 die Unendlichste!
B. St. Fjøllfross
Es ist nicht die Bankrotterklärung des Bahnhofs, sondern die der Politik.
Die Aussage Verkehrsminister Ramsauers lautet nach Bekanntgabe des für
die Bahn so erfolgreichen Stresstests durch ein "unabhängiges"
Schweizer Bewertungsunternehmen nicht in erster Linie, der Bahnhof werde
gebaut. Hinter der Botschaft steht die Erkenntnis, dass die deutsche
Bundesrepublik mittlerweile auf dem Niveau eines Kasperle-Demokratie-Theaters
angekommen ist. Wen soll man denn noch wählen? Offenkundiger ist der
angebliche Souverän, das Volk, noch nie ins Gesicht gehauen worden.
Hilflos stammeln die aufgeregten Projektgegner etwas von einem insuffizienten
"Stresstestle", das sie mit Sicherheit auch dann abgelehnt
hätten, wenn es die Latte für den Bahnhof bis in den schwäbischen Himmel
gehoben und das Bahnhofsneubauprojekt dennoch für gut befunden hätte.
Nun bringen die Schwaben schon die Grünen an die Macht, die ihre Interessen
umzusetzen versprachen. Mag sein, dass die das auch wirklich wollten
und vorhatten. Sobald sie aber an den Schalthebeln der Politik saßen,
mussten auch sie einsehen, dass sie an Recht, Gesetz und vor allem Vertragsstrafen
nicht vorbeikommen.
Sind die Grünen wirklich so naiv? Konnten sie sich das nicht vorher
denken? Reichte es bei den machtversessenen Alternativen nicht von zwölf
bis Mittag? Jetzt sind sie einen Meter in die Höhe geklettert und stürzen
hunderte in die Tiefe. Fatal ist, dass sie den Rest des Volksvertrauens
in die breitgefächerte Politik einer etablierten Demokratie mit in den
Abgrund reißen. Und das ist eine Tragödie!
Das Fatale ist sicher nicht der Bau des neuen Bahnhofs. Der wird den
widerspenstigen, altbackenen Schwaben einst zum Segen gereichen. Die
Krux liegt in der Planungsphase. Selbstherrlich meinte einst die Reichsbahn,
die sich noch immer nicht daran gewöhnen kann, dass sie nicht mehr der
Staat im Staate ist, sie könne auf ihrem Grund und Boden treiben, was
sie will. Baugenehmigung erteilt? Ja? Na was denn dann noch? Auf, mit
Volldampf zum nächsten Prestigeobjekt! Unbeschadet der Tatsache, dass
schon der Lehrter Bahnhof zu Berlin, der nunmehr die Funktion des Hauptbahnhofs
der Metropole übernommen hat, schon ein mittleres Fiasko wurde, suchte
man sich ein weiteres Betätigungsfeld. Stuttgart, Boom-Town, Hauptstadt
des prosperierenden Musterländles schien den futuristischen Ambitionen
am ehesten zu entsprechen. Aber denkste – gerade die Schwaben lehnten
sich auf und pfiffen auch auf die Rechtmäßigkeit des Verfahrens. Sie
wollten nicht und bildeten sich doch tatsächlich ein, der verfassungsmäßige
Souverän zu sein. Die armseligen Spinner! Sie haben so viel und so wenig
Macht, wie ihre bemitleideten, verlachten und damals viel geschmähten
armen Brüder und Schwestern in der DDR unseligen Angedenkens. Ja, und
nun kommt das böse Erwachen. Sie machen das Maul auf und werden von
den Bütteln der Polizei zusammengedroschen, dass Stumm und Noske ihre
helle Freude daran gehabt hätten. Haben sie nicht gelernt aus dem Theater
um die Startbahn West, um Gorleben und – wenn wir etwas weiter zurückgehen
– aus dem vergeblichen Gebläke der Studenten gegen den Schahbesuch in
Berlin? Nein, haben sie nicht. Sie glauben immer noch. Sie glauben,
dass sie etwas bewegen können gegen das Gewicht von Milliarden Euros.
Der gute, alte, weise Mann Heiner Geisler versucht zu vermitteln zwischen
den streitsüchtigen Phantasten, die ihre Bedeutungslosigkeit nicht einsehen
wollen und den Männern, die hinter dem Geld stecken. Er ist zu klug
um nicht zu bemerken, wie sinnlos das Ganze bereits ist, wie wenig die
Diskussion von den Menschen noch verstanden wird. Er merkt es an – gehört
wird er kaum. Draußen das Gepfeife und Gejohle – drinnen das endlose
Argumentieren um Premium- und optimierte Lösungen. Also, was machen
wir nun? Die Schwabenparole lautet: Hannemann, geh du voran, du hast
die größten Latschen an... Aber wer in dieser unwürdigen Provinzburleske
ist Hannemann? Der oberste Lokführer Grube? Schwabenchef Kretschmann?
Die Führer der Oppositionellen? Die Tausenden Hannemänner auf der Straße,
die sich einer modernen Verkehrslösung für Stuttgart in den Weg stellen?
Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, wer der Hase ist, der angesichts
der Sieben Schwaben unbekümmert seinen Weg weiter hoppelt – es ist der
Club der Investoren, der Vertragspartner der Bahn, es ist die Bahn selbst
– die sich ihrer Macht noch immer bewußt ist und im Ernst nicht daran
denkt, sich von ein paar Kunden und Bürgern in die Knie zwingen zu lassen.
Ob sie den Sprung an die Börse geschafft hat oder nicht – egal, den
Sprung ins neue Jahrtausend hat sie geschafft – und den lässt sie garantiert
nicht in einem schabbigen, antiquierten und wenig reizvollen Sackbahnhof
enden. Genau das soll ihr die deutsche Demokratie erst mal nachmachen!