Der Irre ist fort – lebt jetzt das Chaos?
J.-F. - S. Lemarcou
Ja, das ist jetzt ein böses Erwachen für die Bundesregierung, die sich
seinerzeit bei der UNO sehr zögerlich zeigte, als es galt die libyschen
Rebellen zu unterstützen. Gaddafi hätte ja siegen können und dann? Was
wäre dann aus den Öllieferungen geworden? Sie haben also vorsichtig
auf Rouge und gleichzeitig auf Noire gesetzt und dabei viel, viel –
verloren. Der Preußische Landbote flehte seinerzeit um die Unterstützung
der Rebellen. Doch der Landbote ist kein Regierungsblatt – wir wissen
das.
Aber es soll an dieser Stelle nicht über die glücksspielende Bundesregierung
gehen. Die aktuellen Vorgänge im Land an der Großen Syrte ziehen unsere
Aufmerksamkeit auf sich. Gaddafi war einst wie der orientalische Geist
aus der Flasche, der sich selbst entkorkte und für seine Freilassung
den Libyern das Paradies versprach. Dieser Dschinni mit dem Namen Moammar
ist ein Irrer – aber zunächst brachte er den Libyern durchaus vieles
Gutes. Das Land sollte nicht mehr von ausländischen Ölkonzernen ausgeblutet
und von machthungrigen und korrupten Hörigen dieser Konzerne regiert
werden. Das Öl kam mit Gaddafis Machtantritt endlich den Libyern zugute.
Soziale Verbesserungen bisher ungeahnten Ausmaßes wurden zu einem wahren
Segen für die armen Wüstensöhne. Doch Macht korrumpiert und den libyschen
Flaschengeist korrumpierte sie völlig. Was an ihm schon vorher an irrem
Naturell angelegt war, brach nun aus wie ein Vulkan. Selbstherrlichkeit,
Selbstverliebtheit und seine Spleens machten aus ihm einen Operettenscheich,
der die eigene Widerborstigkeit seiner jungen Tage bei der nachfolgenden
Generation nicht mehr gelten lassen wollte. Es ist das alte traurige
Los aller erfolgreichen Revolutionäre: Sie wähnen die Entwicklung der
Menschheit mit ihrem Umsturz an ihrem Ziel angekommen und hegen die
Erwartungshaltung, dass ihnen nun alle Erlösten auf ewig dankbar zu
sein haben. Für sich selbst aber entdecken die alten Kämpen das Angenehme
am Leben derer, die von ihnen einst blutig vertrieben wurden. Sie entdecken
die Schönheit der Paläste, das Schmeichelnde des Hofiertwerdens, die
großen Karossen, das Personal und wandeln sich so peu a peu zu denen,
die sie einst bekämpften.
Was sie einzig mit ihrer Vergangenheit verbindet, ist die Verklärung
derselben, der Hang zu den Devotionalien der alten Tage. Gaddafi ließ
seinen alten Käfer aus seiner Leutnants-Zeit im Museum ausstellen. Als
Despot aber ließ er sich in gepanzerten Luxuslimousinen kutschieren.
Daran lässt sich die innere Wandlung der Tyrannen am deutlichsten ablesen.
Ein Gandhi, ein Martin-Luther King waren da anders: Die blieben trotz
der immensen Macht, die ihnen gegeben war, dieselben bescheidenen, modesten,
gesprächsbereiten und humanen Charaktere, die sie waren, als sie ihren
Weg antraten.
Wohlgemerkt, wir reden nicht den asketischen Eiferern das Wort, den
Savonarolas dieser Welt. Die sind teilweise noch gefährlicher, als verrückte
Beduinenscheichs, die ganz verträglich sind, solange man ihnen um den
Bart geht.
Ja, aber was passiert nun, da dieser durchgedrehte Derwisch abgetaucht
ist wie seinerzeit Käpt'n Hellriegel auf U96? Ein neuer Revolutionsrat
hat sich gebildet. Folgt er der uralten Revolutionsdynamik? Frißt auch
dieser arabische Umsturz seine eigenen Kinder? Bekommen die jetzigen
Machthaber an der Großen Syrte die unterschiedlichen Ethnien des Landes
in den Griff. Wie werden sie die libyschen Stämme einigen, wenn es um
die Zugriffsrechte auf die inhomogen verteilten Ölvorkommen geht?
Freiheit bedeutet immer auch die Gefahr des Chaos bei einem unkontrollierten
Umgang mit eben dieser Freiheit. Kontrolle aber ist ein natürlicher
Antagonist der Freiheit. Ebendiese neue Freiheit bedeutet daher politische
sowohl als auch wirtschaftliche Unberechenbarkeit. Nur eine Macht wie
die Volks-Dschamahirija konnte für die regelmäßigen Öllieferungen nach
Europa garantieren und gleichzeitig den Zustrom unliebsamer Einwanderer
aus Afrika zuverlässig unterbinden. Vielleicht hat diese Überlegung
das deutsche Auswärtige Amt zu seiner skandalösen Entscheidung getrieben,
die Libyer in ihrem Befreiungskampf allein zu lassen.
Wie dem auch sei – die Sache scheint ausgestanden. Der verrückte Dschinn
ist zwar nicht wieder in seine Flasche gebannt und wuselt noch irgendwo
umher, dennoch ist es unwahrscheinlich, dass er oder seine Brut je wieder
zurückkommen. Gerät aber in Tripolis die Rede auf die Deutschen, dann
runzelt der Übergangsrat bedrohlich die Stirn. Das kann den Außenminister
vielleicht doch noch das Amt kosten. Denn hier geht es um Öl und damit
um Macht – und die hat Guido Westerwelle im Kanon mit der Kanzlerin
grandios verpokert.
Der Nato zollt Herr Westerwelle für ihren Einsatz nunmehr nolens volens
Respekt. Das aber scheint eine Einbahnstraße zu sein – diesen Respekt
braucht die bleiche Marketenderin Deutschland mitnichten erwarten. Das
einzige was Deutschland jetzt noch tun kann, scheint uns in einem diskreten,
aber effektiven Engagement zu bestehen, welches die Stabilität des gebeutelten
Landes aufzubauen und zu sichern hilft. Das wird erst einmal sehr, sehr
viel kosten. Jede Dummheit kostet. Wenn das nicht gelingt, dann sehen
wir schwarz. Chaos in der libyschen Wüste und ein deutscher Reputationsverlust
– was für ein Scherbenhaufen! Und der zeichnet sich schon deutlich am
Horizont ab. Doch was will man schon erwarten von dieser jämmerlichen
Führung am Werder'schen Markt!