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Pleitegeier über dem Capitol

die weisen Gänse der Juno sind verstummt

David Katz
Stellen Sie sich mal vor, Sie verdienen im Monat etwa € 2000,- brutto. Das macht im Jahr nach Adam Riese € 24.000. Genauso hoch sind Ihre Verbindlichkeiten gegen – sagen wir – Ihre Hausbank. In der Garage Ihrer Villa steht ein Mercedes 600 SEL. Das alles können Sie sich zwar gar nicht leisten – aber: scheiß drauf! Sie sind der Bully in Ihrem Viertel und bis jetzt haben alle anderen ob Ihres glamourösen Lebensstils zu Ihnen aufgeblickt. Dass in vielen Ihrer 50 Zimmer die Spinnweben von den Decken hängen, der Putz von den Wänden bröckelt und Apfelsinenkisten statt Stühlen und Tischen die Stubenmitte dekorieren – da schaut keiner so genau hin. Und Sie schon gleich gar nicht. Hauptsache der Daimler glänzt. Seit dreißig Jahren verhält sich ihre persönliche Schuldenbilanz wie eine Exponentialkurve und verzeichnet in den letzten Abrechnungszeiträumen einen Anstieg wie die Flugbahn der Challenger OV-99 der STS-51-L-Mission.
Erinnern Sie sich? Am 28. Januar 1986 explodierte die Raumfähre 73 Sekunden nach ihrem Start in einer Höhe von 15 Kilometern. Der Count Down für die amerikanischen Staatsfinanzen wird übrigens auf Seymour Dursts Nationaler Schuldenuhr an der New Yorker Kreuzung 42ste Ecke Avenue of the Americas angegeben. Und bald werden wir einen viel gigantischeren Feuerball am globalen Finanzhimmel zu sehen bekommen, als die Explosion über Cape Canaveral.
Wie wir jetzt auf einmal auf die amerikanischen Staatsfinanzen kommen? Schauen wir mal!
Vorerst zurück zu Ihrer fiktiven persönlichen Haushaltslage: Wir haben also festgestellt, dass Sie seit Jahren enorm über Ihre Verhältnisse leben. Ein Ende ist nicht abzusehen. Ganz im Gegenteil, es wird immer verrückter. Sie schimpfen auf die hohen Benzinpreise und kürzen Ihren Kindern einfach mal das Taschengeld – die Luxuskutsche bleibt unangetastet.
Nun ist der Zeitpunkt gekommen, wo sie die Hosen 'runter lassen müssen. Ihre Verschuldung hat die Höhe Ihres Jahreseinkommens erreicht. Die Bank will Ihre Kreditlinie nicht mehr strecken und neues Geld pumpen will sie auch nicht mehr. Irgendwann möchte sie ihr Geld ja auch einmal wieder sehen und das möglichst verzinst. Ja, was machen Sie nun?
Wir schlagen folgendes vor: Gehen Sie zu Ihrem Bankberater, stellen Sie sich hin und sagen Sie: "Entweder ich erhöhe jetzt meinen Dispositionskredit bei Ihnen, oder ich mache pleite. Und dann werden Sie schon sehen, was Sie davon haben!" Was macht der Bankier? Holt er die Herren mit dem weißen Jäckchen und dem Reißverschluß auf dem Rücken? Dreht er Ihnen den Hahn zu und schickt Ihnen den Gerichtsvollzieher auf den Hals?
Nichts dergleichen! Er starrt sie mit Schweißtropfen auf der Stirne an wie das Karnickel die Schlange. Glauben Sie nicht? Dann dürfen Sie jetzt einen Blick über den Großen Teich werfen! Nur zu! Sehen Sie hin! Die U.S.A. haben mit ihrer Staatsverschuldung beinahe 100% ihres Bruttoninlandproduktes (BIP) erreicht. Die erste Staatspleite in der 235jährigen Geschichte drohte für den 2. August 2011. Nicht dass sie jetzt denken, die Amis selber wären pleite. Der vermögenden Oberschicht des Landes wäre es ein Leichtes, ihren hoch verschuldeten Staat komplett auszulösen. Aber da wären sie ja schön dämlich! Amerikanischer Patriotismus definiert sich über ein ergriffenes Gesicht, möglichst tränenumflort, wenn zum Klang der Nationalhymne Stars and Stripes im Winde flattern. Man fasst sich mit der Hand auf die Brust, in etwa dort, wo man das Herz vermutet – bei vielen reichen Amerikanern entbehrt diese Annahme jedoch jeglicher Begründung – und hält mit der anderen Hand den privaten Geldbeutel zu. Es gibt doch genug Neger, Indios und Araber auf der Welt, die bezahlen können!
Also halten wir fest – die Administration ist de facto pleite. Das bedeutet, die braven Beamten und Soldaten können sich ihren Sold in den Wind schreiben und zusehen, wie sie ihre privaten Verbindlichkeiten decken. Die Sozialhilfefonds werden ausgedünnt oder gleich ganz zusammengestrichen. Verkauft Papa seine S-Klasse? Zieht er in eine angemessene Vier-Zimmer-Wohnung?
Ja, spinnen Sie denn?! Die Gören kriegen noch weniger zu fressen, die Klamotten vom vorvorigen Jahren kann man noch ganz gut auftragen und wenn der Zahn fault, fällt er irgendwann von alleine heraus. Eine Hungers krepierte Blage ist eine kostenintensive Plage weniger, mein Gott, wir haben schon noch Sparpotential! Der Benz bleibt!
Es gibt nur zwei Wege, das amerikanische Desaster zu vermeiden – jedenfalls für die U.S. A.: Erstens, sie verabschieden sich in eigener Machtvollkommenheit von der selbst auferlegten Schuldengrenze, deren Sinngehalt damals wie heute durchaus gegeben ist. Zweitens, sie nehmen den Armen das Letzte und lassen den Reichen das Ergaunerte. Die Militärausgaben kürzen, die Vermögenden anteilig zu besteuern – na, so was kommt ja nicht mal ansatzweise in die Tüte!
Die U.S.A. haben ihren Ruf als führende westliche und globale Wirtschaftsmacht auf das Schwerste beschädigt. Nicht so bei sich selbst. Schuldengrenze erhöht – wie gesagt, gehen Sie mal zu Ihrem Bankier und erhöhen Sie selbst Ihren eigenen Dispo ohne den Banker um Erlaubnis zu fragen – und trotzdem gibt Fitch seinem bankrotten Vaterlande ungerührt ein Triple A! Geht doch! Die U.S.A sind nach Aussagen Präsident Obamas schließlich nicht Griechenland oder Portugal! Wo der Unterschied liegt? Ganz simpel: Griechenland und Portugal besitzen keine Flugzeugträgerflotte und zweitens muss man, um eine US-Administration zu kaufen, noch ein paar Nullen mehr auf den schmierenden Scheck schreiben. Unterschied hin oder her: Dennoch sind die Vereinigten Staaten so arg dran wie vorher und es wird schlimmer. Sie machen es wie seinerzeit die Russen, die über den Spalt eines in der Mitte durchgerissenen Hauses in der kaukasischen Stadt Kislowodsk ein langes Plakat mit der Aufschrift "Slawa Trudu, Slawa Kommunismu!"1 hingen. Spitze – schon ist die Immobilie wieder erstklassig! Sicher, für die Zukunft plant man ein paar Putzarbeiten an der Fassade, irgendwann mal...
Man fasst sich an den Kopf und stöhnt gequält auf, denn die Finanzwelt ist ob dieses offensichtlichen, schönfärberischen Selbstbetruges zutiefst erleichtert und kehrt an die Roulettetische zurück. Der Kollaps ist aufgeschoben. Wie lange? Wer weiß? Ist doch auch egal: Vielleicht kommt ja Fortuna zwischenzeitlich vom Himmel herab geschwebt und schüttet ihr Füllhorn über den Pleitiers im XXL-Format aus! Das einzige, was die U.S.A. beunruhigt, ist die Schelle, die sie von den Chinesen kassiert hat. Diese verdammten Kulis! Da haben die Schlitzaugen gestern noch für die Union Pacific Railroad malocht, Schwellen verlegt und sich beim Tunnelbau in die Luft sprengen lassen – und heute reißen sie das post-kommunistische Maul auf! Da soll doch der baptistische Teufel dreinfahren! Aber die Chinesen sind nun mal mittlerweile Großgläubiger - nota bene, nicht Leichtgläubiger, denen Fitch mit aberwitzigen Ratings die Taschen voll hauen kann. Deutschland indes sollte sich schon mal um die Aufnahme in das Reich der Mitte bemühen! Der Dampfer sinkt. Also rette sich wer kann. Alles in die Boote, Pardon – in die Dschunken! Und für jede mitteldeutsche Kommune, die wie die Verlagsstadt des Landboten am Rande der Zwangsverwaltung entlangschrammt – lasst euch nicht von der Landesregierung beirren! Verlängert eure Konotkorrentkreditlinien bei euren ebenfalls dahinschlingernden Landesbanken. Und lasst euch von denen nichts erzählen! Von denen schon gleich gar nicht! Wenn die das Vermögen des Landes versiebt haben, weil sie mit demselben idiotischen und sinnfreien Vertrauen auf die amerikanischen Ratingagenturen und die von denen bewerteten Pleiteobjekte gestarrt hatten, wie weiland der Hirtenjunge und Anführer des französischen Kinderkreuzzuges Stephan auf das Mittelmeer, das sich allen Verheißungen trotzend nicht zurückziehen und den Weg ins Heilige Land freigeben wollte, dann dürft ihr getrost auch nach Amerika blicken und euch dessen Handeln zum Vorbild nehmen. Nur Mut! Und das "allsehende Auge" von der Dollarnote, vor dem sich nur Lehman Brothers so erfolgreich verstecken konnte, sei mit euch! Nebenbei bemerkt: Wie heißt es doch gleich über jenem die Rückseite des Greenbacks zierenden Auges? Annuit Coeptis? Warten Sie mal, das stammt von Vergil und bedeutet ins Deutsche übertragen: "Er heißt das Begonnene gut!" Na denn...


1 Ruhm der Arbeit, Ruhm dem Kommunismus

20. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
04.08.2011