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Feind im Ansturm
Multiresistente Mikroben bringen Bremer Frühchen um

David Katz
Quam frustra et murmure qunato, rief einst Kardinal Mazarin aus, als die Frondeure nieder gerungen waren. Dasselbe liegt einem auf den Lippen, wenn man sich die jüngsten Streiche besieht, die sich zu Füßen der Bremer Stadtmusikanten ereignen. Der Anlass ist tragisch und er erschüttert uns sehr, so vorhersehbar er war. Drei Frühchen sind im Klinikum Bremen-Mitte an einer Besiedlung durch das Bakterium Klebsiella pneumoniae verstorben. Es waren Mikroben, denen die jungen Körper mit ihrem unbeschulten Immunsystem wehrlos ausgeliefert waren. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft. Natürlich, sie muss. Ein Verdacht auf einen unnatürlichen Tod muss erhärtet oder ausgeräumt werden, solange er im Raume steht. War es ein unnatürlicher Tod? Nun ja, Frühchen sind die anfälligsten Patienten eines Krankenhauses schlechthin. Ihre Überlebenschancen stehen per se auf des Messers Schneide. Wenn man nun lax mit den Hygienevorschriften umgegangen wäre und den Tod der Kinder leichtfertig verursacht hätte, so läge schon das Verdachtsmoment einer fahrlässigen Tötung vor.
Aber wie stellt sich das Gesamtbild dar, das der Bevölkerung eben nicht vermittelt wird? Diese muss ja, wenn der Staatsanwalt auf den Plan gerufen wird, schon fast zwangsläufig zu einer Vorverurteilung der Verantwortlichen des Krankenhauses neigen.
Doch nehmen wir zugunsten des Klinikums an, man habe alle Vorschriften hinsichtlich der Desinfektion ordentlich und penibel befolgt. Wäre der Tod der Kinder dann zu vermeiden gewesen?
Wir wollen den Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörde nicht vorgreifen. Eines aber wollen wir zu bedenken geben. Als der Kollege Hübner, der ein ausgebildeter Mediziner ist, vor über einem Jahrzehnt auf einem Rettungsdienstkongress zu Nürnberg das Wort ergriff, postulierte er, die Welt der Mikroben, Viren, Bakterien und Pilze werde den Kampf gegen die Menschheit letzten Endes gewinnen. Flemings Penicillin habe uns nur eine ganz kurze Atempause verschafft. Die schier unüberbrückbare Masse und Vielfalt des mikrobiologischen Lebens und der Viren – Grenzgänger zwischen Leben und Tod, vagabundierende Aminosäuren, Desoxyribonucleinsäure, verpackt in dünne Proteinhüllen, deren Invasion intakte menschliche Zellen zu willenlosen Zombies mutieren lassen, ist mit einer aberwitzig raschen Proliferationsrate dem menschlichen Geist immer mehr als nur eine Nasenlänge voraus. Es kommt nicht darauf an, ob bei einem Einsatz von Desinfektionsmitteln, Virostatika, Antibiotika und Antimycotica Billionen dieser Geschöpfe sterben oder denaturiert werden. Es werden immer einige wenige das Massaker überstehen. Und diese wenigen werden durch die hohe Proliferation ein wesensverändertes Genom aufweisen, ihre Gestalt verändert und ihre Oberfläche modifiziert haben, dass alle weiteren menschlichen Attacken gegen sie ins Leere greifen. Gerade ein inflationärer Umgang mit den Abwehrmitteln machte ihnen das Dasein leichter. Und nun präsentieren sie dem Menschen die Rechnung. Bremen ist nur der Anfang.
Was bedeutet den MRSA, oder ausgesprochen: multiresistenter Staphylokokkus aureus? Das bedeutet, dass dieses Bakterium gegen viele Antibiotika resistent ist. Das bedeutet, dass die in letzter Zeit hin und wieder durch die Medien geisternden Krankenhauskeime nunmehr zu einem spektakulären Fall geführt haben. Denn wer interessierte sich schon für einige alte Leute, deren altersbedingt geschwächtes Immunsystem den in den Krankenhäusern kontaktierten Keimen nichts mehr entgegenzusetzen hatte und sie vor ihrer Zeit sterben ließ. Drei Frühchen machen da schon mehr her. Das ist was für den Boulevard.
Doch viel mehr ist es ein Menetekel. Die Mikroben haben uns ins Mittelalter zurück geschickt, in dem die Menschheit ihren Angriffen nicht minder hilflos ausgeliefert war. Was nutzt es uns nun, dass wir die Struktur und Funktionsweise dieses mikroskopischen Lebens und Daseins kennen? Wir können ihnen, so wie damals, nur noch mit Gebeten begegnen. Und auch Staatsanwälte können die Expansion der Mikroben nicht bekämpfen.
Deshalb soll man nicht mit Kanonen nach Spatzen schießen und die Kirche im Dorfe lassen. Eine sachliche Analyse, die alles Getöse von staatsanwaltlichen Untersuchungen außen vor lässt, und eine zeitgleiche Intensivierung der Arbeit an den Pasteur- und Robert-Koch-Instituten mit entsprechender Ausstattung an Mitteln wäre angeratener. Man soll vom Domestos-Wahn abstehen und den Kindern, welche die schwierige Neugeborenenzeit überstanden haben, die Möglichkeit lassen, ein ordentlich geschultes Immunsystem auszubilden. Der Rest ist Theaterdonner, der dem winzigen, aber massereichen Feind zuarbeitet – sonst gar nichts.

20. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
07.11.2011